Ein 35-Jähriger soll im April 2021 seinen Stiefsohn durch Schüsse aus einem Luftgewehr lebensgefährlich verletzt haben.
ProzessNeues Verfahren nach Schüssen auf autistisches Kind in Königswinter gestartet
Ruhig, in sich gekehrt und zeitweise den Tränen nahe verfolgte der 35-jährige Hausmeister die Verlesung der Anklage. Vor der 2. Großen Strafkammer unter dem Vorsitz von Richter Wolfgang Schmitz-Justen hat am Mittwochmorgen die Neuauflage des Verfahrens gegen den Stiefvater des autistischen Jungen begonnen, der im April 2021 im Königswinterer Ortsteil Bockeroth mit drei Luftgewehrschüssen lebensgefährlich verletzt worden war.
Der Angeklagte, ein gelernter Dachdecker, war am 28. April 2022 wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen und gefährlicher Körperverletzung zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Kaum merklich schüttelte er jetzt den Kopf, während Staatsanwalt Martin Kriebisch den in der Anklageschrift unterstellten Mordversuch vortrug.
Im ersten Prozess verhängte der Richter vier Jahre Haft gegen Königswinterer
Dieser Anklagepunkt ist allerdings nach dem erstinstanzlichen Urteil definitiv vom Tisch: Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hatte die Entscheidung auf den Revisionsantrag des Angeklagten hin zwar in Teilen aufgehoben. An der Feststellung des eigentlichen Tatbestands hatten die Karlsruher allerdings nichts zu bemängeln und der Angeklagte war seinerzeit vom Vorwurf des versuchten Mordes freigesprochen worden.
Nach einer erfolgreichen Revision wird allerdings immer die ursprüngliche Anklage erneut verlesen. Auch, wenn es „nur“ noch um gefährliche Körperverletzung und die Misshandlung eines Schutzbefohlenen geht, wird sich die Kammer Zeit für die Verhandlung nehmen müssen: Die vom BGH erteilte Sachrüge dreht sich nämlich neben dem Verhältnis des Angeklagten zu seinem Stiefsohn auch um die von der erstinstanzlich angenommene maximale Schussweite von 170 Metern.
Staatsanwalt muss alte Anklage des versuchten Mordes verlesen
Nach einem Sachverständigen-Gutachten war die Kammer davon ausgegangen, dass die Schüsse theoretisch noch aus einer derart großen Entfernung Verletzungen hervorrufen können, wie sie bei dem Kind festgestellt worden waren. Der BGH gab dem Gericht auf, die Frage zu beleuchten, inwieweit dies mit einem Luftgewehr vom Typ Diana 11 und dem verwendeten Kaliber 177 tatsächlich möglich ist.
Zentral ist außerdem die Frage der für den Tatbestand der Misshandlung eines Schutzbefohlenen erforderlichen „gefühllosen Gesinnung“: Es erschließe sich nicht ohne weitere Erläuterung, warum der Angeklagte, der – soweit unstreitig – gerne mit dem Geschädigten spielte, für ihn Vaterfigur und Vertrauensperson war und an den Rettungshandlungen nach den Schüssen mitwirkte, gleichwohl bei der Misshandlungstat das – notwendig als Hemmung wirkende – Gefühl für das Leiden des Stiefsohnes verloren haben sollte.
Die mysteriösen Schüsse hatten im Frühjahr 2021 weit über das Siebengebirge hinaus für Aufmerksamkeit gesorgt: Nach der Rückkehr von einem benachbarten Spielplatz bemerkte die Familie drei merkwürdige, blutende Wunden bei ihrem Sohn.
Als die Beschwerden des autistischen Kindes, das sich nicht über Schmerzen äußern kann, beim Abendessen massiver wurden, fuhr die Mutter mit dem Kind ins Krankenhaus. Dort stellten die Ärzte fest, dass es sich um Schussverletzungen handelte. Noch in der Nacht beschlagnahmte die Polizei daraufhin das Luftgewehr des Stiefvaters.