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Gespenstischer „Lost Place“Altes Höhlensystem im Siebengebirge für immer verschlossen

Lesezeit 3 Minuten
Blick in einen Eingang zu einer Höhle im Siebengebirge.

Blick in einen Eingang zu einer Höhle im Siebengebirge.

So manchem Wanderer könnten die dunklen Eingänge zu den unterirdischen Gängen und Hallen schon einmal aufgefallen sein.

Für ein Video auf Youtube hat sich ein abenteuerlustiger Wanderer in das Höhlensystem im Siebengebirge geschlichen. Die Aufnahmen sind faszinierend und gleichzeitig erschreckend. Der Eingang, eine schmale Öffnung unter einem Baum, führt in einen steil abfallenden engen Gang, der mitten in den Fels gehauen wurde.

„Es geht hier auch richtig tief runter“, kommentiert der Youtuber, während er weiter in den Tunnel vordringt. Überall liegen Unrat, Flaschen, alte Metallteile von Autos. „Ich muss hier auch richtig aufpassen, wo ich hintrete.“

„Lost Place“ im Siebengebirge: Achtung, Lebensgefahr!

Doch was der Influencer wohl nicht ahnt: Mit dem Eindringen in die alten unterirdischen Gänge und Höhlen im Siebengebirge brachte er sich in Lebensgefahr. Denn das Tunnelsystem ist massiv einsturzgefährdet. Nicht zu Unrecht kommentiert ein User unter dem Beitrag auf Youtube: „Dank solcher Selbstdarsteller ist das gesamte System nun endgültig verschlossen. Absolut verantwortungslos, sowas öffentlich zu zeigen.“

Leider kein Einzelfall. Immer wieder versuchen sich Neugierige Zugang zu den unterirdischen Höhlen an der Südseite des Mirbachtals zu verschaffen. Inzwischen wurden die Gänge nicht nur durch massive Stahltore, sondern auch durch eine Alarmanlage gesichert.

Geschichte der Ofenkaulen reicht bis ins Mittelalter zurück

Die Geschichte des mehrstöckigen Höhlensystems unweit der Zufahrt zum Petersberg reicht weit zurück. Bis ins Mittelalter. Über Jahrhunderte wurde der langgezogene Ofenkaulberg im Siebengebirge wirtschaftlich genutzt, indem hier Steine für den Backofenbau abgebaut wurden.

Mit dem Fachbegriff „Ofenkaulen“ sind die Gruben oder Stollen, die „Kaulen“ gemeint, in denen große Platten aus Tuffstein erwirtschaftet wurden. Für Königswinter waren die Ofenkaulen lange eine der wichtigsten Wirtschaftszweige.

Lange Gänge und Hallen: Ofenkaulen im Siebengebirge nehmen riesige Dimensionen an

Der besondere Tuffstein, der hier im Fels lagerte, hat eine begehrte Eigenschaft: Er speichert Wärme ideal, zerspringt aber nicht, selbst bei großer Hitze. Im 19. Jahrhundert wurde der Höhepunkt des Abbaus erreicht und die Königswinterer Öfen waren weithin bekannt.

Die Eingänge zu den Ofenkaulen wurden aufgrund des wiederholten illegalen Eindringens immer aufwändiger verschlossen.

Die Eingänge zu den Ofenkaulen wurden aufgrund des wiederholten illegalen Eindringens immer aufwändiger verschlossen.

Die unterirdischen Abbaugebiete im Ofenkaulberg nahmen immer größere Dimensionen an. Insgesamt sieben Sohlen lagen schließlich übereinander. Zwischen den schmalen Gängen entstanden Hallen mit bis zu 20 Metern Höhe. Betrieben wurde der Bergbau zwischenzeitlich von rund dreißig Kleinbetrieben. Insgesamt wurden etwa 48.000 Quadratmeter Abbaufläche nachgewiesen.

Die wechselhafte und schmerzhafte Geschichte der Ofenkaulen im Siebengebirge

Doch der Niedergang des Gewerbes kam abrupt mit der Einführung moderner Elektro- und Gasöfen, aber auch durch die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges.

Eine völlige Zweckentfremdung erfuhren die Königswinterer Ofenkaulen, als das nationalsozialistische Regime sie, wie viele andere große Bergwerke, für die sogenannten U-Verlagerungen auswählte. Die bombensicheren, unterirdischen Stollen wurden dabei zur Produktion kriegswichtiger Industrie herangezogen.

Zwangsarbeiter mussten im „Aero-Stahl-Stollen“ unter katastrophalen Bedingungen schuften

Die Ofenkaulen erhielten in dieser Zeit auch ihren Spitznamen „Aero-Stahl-Stollen“, denn die in Köln-Porz ansässige Firma Aero-Stahl Fluggerätebau GmbH baute hier Einspritzpumpen für Flugzeugmotoren. Dafür zogen sie Zwangsarbeiter ein, die unter katastrophalen Arbeitsbedingungen schuften mussten.

Zum Kriegsende suchten dann Hunderte Menschen teils wochenlang Schutz in den Ofenkaulen vor Bomben und Artilleriebeschuss. Auch der spätere US-Notenbank-Chef H. Robert Heller soll zeitweise in einem der Stollen ausgeharrt haben.

Raubmörder versteckte sich in Tunnel im Siebengebirge

Nach dem Krieg wurden die unterirdischen Gänge und Hallen dann endgültig verschlossen. Als Reparationsleistung wurden manche Stollen auch zurückgebaut und gesprengt. Das Betreten ist seitdem verboten, die Höhlen sind zudem einsturzgefährdet, es besteht Lebensgefahr.

In diesem Stollen der Ofenkaulen wurde Dieter Freese zufällig entdeckt.

In diesem Stollen der Ofenkaulen wurde Dieter Freese zufällig entdeckt.

Anfang 1962 wurden die Ofenkaulen dann Schauplatz einer spektakulären Verbrecherjagd. Bei einer Routinekontrolle in den unterirdischen Gängen schreckte ein Polizeibeamter nichtsahnend den Sparkassenräuber und Raubmörder Dieter Freese auf. Nach dem Verbrecher wurde damals bundesweit gefahndet.

Freese hatte sich in den unterirdischen Gängen versteckt. Ein Großaufgebot an Einsatzkräften riegelte das Gelände ab. Auch ein Hubschrauber kreiste stundenlang über dem Gebiet. Dem Bankräuber, dem insgesamt 250 schwere Straftaten vorgeworfen wurden, gelang es jedoch, den Beamten zu überwältigen und sich mit einem gestohlenen Wagen abzusetzen. In Bayern wurde er schließlich gestellt und festgenommen.