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Mit Küche, Esszimmer und SchlafzimmerHebamme eröffnet das erste Geburtshaus im Rhein-Sieg-Kreis

Lesezeit 5 Minuten
Ein Neugeborenes liegt in ein Handtuch gewickelt auf einem Bett und wird vermessen.

Hebamme Emma Sassenscheid mit einem Neugeborenen: Drei Babys erblickten bislang im Geburtshaus das Licht der Welt.

Immer mehr Kreißsäle werden geschlossen. Jetzt gibt es eine Alternative: Eine Hebamme hat das erste Geburtshaus im Rhein-Sieg-Kreis eröffnet.

Geburtsort: Lohmar. Dieser Eintrag im Ausweis galt bislang nur bei den - seltenen - Hausgeburten. Jetzt gibt es eine Alternative: Vor neun Monaten (!) eröffnete Hebamme Nicole Emma Sassenscheid in Honsbach das erste und bislang einzige Geburtshaus im Rhein-Sieg-Kreis.

An der Fachwerk-Wand neben der Eingangstür hängt Babywäsche, an der Ecke steht ein Holz-Storch. Innen ein heimeliger, großer Raum mit Holzdielen, breitem Bett, Sitzelementen, niedrigem Tisch. Und mit einer Badewanne, groß genug für drei, einem von der Decke hängenden Tragetuch, einem speziell geformten Hocker, einem Gymnastikball, Equipment für eine natürliche Geburt.

Siegburgerin hat sich mit dem Fachwerkhaus in Lohmar einen Traum erfüllt

Die Frau könne sich bewegen, wie sie wolle, und sich einen Platz aussuchen. Sie habe auch die Freiheit, alle Menschen, die sie dabeihaben wolle, mitzubringen, „hier ist Platz“. Falls der Partner sie nicht begleiten wolle, sei vielleicht eine Doula eine Alternative, eine erfahrene, nichtmedizinische Helferin.

Zum Geburtshaus gehören eine Küche, ein Esszimmer, ein Schlafzimmer; viel Holz, warme Farben, Kerzenschein. „Manche Paare wollen nach der Geburt hier schlafen, dann frühstücken wir zusammen“, erzählt die 44-Jährige, die sich mit dem Haus einen Traum erfüllt hat. Sie legte mit Hand an bei der Renovierung, richtete es nach ihren Vorstellungen ein.

Eine Frau mit Baby sitzt auf einem Teppich, eine zweite kniet neben ihr, im Hintergrund steht eine große Badewanne

Gedämpftes Licht, warme Farben und eine große Badewanne: Ihr Geburtshaus hat die Hebamme (hier im Gespräch mit Linda Ogul) selbst eingerichtet.

Sassenscheid, die aus Siegburg stammt, ist Mutter von vier Kindern, zwei Töchter, zwei Söhne im Alter von 22 bis 13 Jahren. Schon in der Schule habe sie Hebamme werden wollen, doch ihre Eltern hätten damals Wert auf ein Studium gelegt. Die Sozialpädagogin arbeitete im Sozialen Dienst und gab nebenbei jahrelang in einer Kölner Hebammenpraxis Elternkurse, ein Schwerpunkt: die Frauengesundheit.

„Es ging um die mentale Vorbereitung, viele hatten schon traumatische Geburten in einer Klinik erlebt und einfach Angst.“ Dann wurde sie Hebamme, mittlerweile kein Ausbildungsberuf mehr, sondern ein Fachhochschulstudium. Als Studentin erwarb sie bereits Praxis, assistierte bei vielen Geburten im Kreißsaal.

Die Frauen können frei entscheiden, ob sie im Geburtshaus in Lohmar ihr Kind bekommen möchten

Seit rund fünf Jahren ist Sassenscheid selbstständig und spezialisiert auf Hausgeburten. Die Schwangeren, die sie betreut, hätten „bis zur letzten Minute“ die Wahl, daheim ihr Kind zu bekommen oder im Geburtshaus. Oder doch in der Klinik. Sie ermuntere die Frauen, ihren eigenen Weg zu finden.

Kleine Wohnungen, hellhörige Wände, Geschwisterkinder könnten allerdings die Ruhe stören, die für eine entspannte, natürliche Geburt so wichtig sei. Für Honsbach, am Rande von Neuhonrath gelegen, spreche zudem, dass der nächste Kreißsaal in Bergisch Gladbach-Bensberg nur eine Autoviertelstunde entfernt liege. Für den Fall des Falles.

Eine Frau in einem Tragetuch, das von der Decke hängt

Das Tragetuch unterstützt die natürliche Geburt.

„Seitdem so viele Gebärstationen geschlossen haben, sind die Wege vor allem aus dem Ländlichen in die Klinik oft viel länger.“ Auf einer Anrichte liegt ein Stethoskop bereit, ein hölzernes Hörrohr und eine Tube Gel für das kleine Ultraschallgerät. Eine Niederkunft ohne örtliche Betäubung per PDA, ohne Wehentreiber, ohne Arzt - macht das den Frauen nicht Angst? Das Risiko könne man gut überwachen, sagt die Hebamme.

Die meisten Verlegungen finden auf Wunsch nach Schmerzmittelbedarf statt - auf 120 Geburten kämen vielleicht ein bis zwei Rettungsdiensteinsätze. Der Notarzt sei nur bei akuter Gefahr gefragt, vielleicht zweimal in fünf Jahren, schätzt sie. In Honsbach sei das bislang nicht nötig gewesen.

Die Hebamme habe ihr die Angst genommen, schildert eine junge Mutter in Lohmar

Sie arbeitet mit einer Kollegin zusammen, Nilüfer Ghanem, etwa eine Stunde vor der Geburt seien sie immer zu zweit. Gesunde Frauen, das zeigten wissenschaftliche Untersuchungen, würden außerklinisch genauso sicher betreut und versorgt wie jene, die sich für eine Klinik entschieden.

Lina Ogul ist zum Gespräch mit der Presse hinzugekommen, sie hält Asya auf dem Arm, achteinhalb Monate alt und ihr zweites Kind. Die erste Geburt, ein Not-Kaiserschnitt in einer Klinik, sei traumatisch gewesen, schildert Ogul. Emma habe ihr die Angst genommen, ja mehr noch: „Sie krempelt dich um.“ Gesunde Ernährung, Bewegung, Kreativität und weniger Zeit vor dem Bildschirm, das habe ihr gut gefallen und gut getan.

In den letzten Wochen der Schwangerschaft komme es darauf an, sich auf sich selbst zu besinnen, auf die eigene Kraft, natürlicherweise komme ein Kind ohne medizinische Interventionen auf die Welt, dafür sei der weibliche Körper gemacht, erklärt die Hebamme: Das sind die physikalischen Gesetze der Mechanik. „In dieser Zeit, in der viele Frauen viel mehr sitzen, sich weniger bewegen, viel Zeit am Bildschirm verbringen, verarbeitete Lebensmittel zu sich nehmen, braucht der Körper eine andere Vorbereitung, um aus eigener Kraft optimale Bedingungen für die Geburt zu schaffen.“

Auf den niedrigen Polstern hat es sich eine weitere Mutter gemütlich gemacht: Viktoria Jüngling mit ihrer Jüngsten, Lorena, und den beiden älteren Schwestern. Sie hatte bei ihrem zweiten und jetzt auch beim dritten Kind für eine Niederkunft daheim entschieden, in ihrem Schlafzimmer. Das Geburtshaus sei aber eine schöne Alternative: „Es gibt Frauen, die wollen die Organisation rund um eine Geburt nicht zu Hause haben.“

Für jede Geburt, ob im Lohmarer Geburtshaus oder im Kreißsaal, zahlt die Kasse dieselbe Pauschale

Von nur einer ihr vertrauten Hebamme betreut zu werden in der Schwangerschaft, bei der Geburt und in der Stillzeit, das schätze sie besonders, sagt Jüngling. Bei ihrer Arbeit gebe es keinen Dienstplan, erzählt Sassenscheid, gerade bei Erstgebärenden vergingen oft viele Stunden: vom ersten Anruf um 2 Uhr nachts bis zur Geburt am späten Nachmittag, zum Beispiel.

Für jede Geburt zahle die Krankenkasse eine festgelegte Pauschale, die Eltern zahlten noch eine Pauschale für die Rufbereitschaft, die die Kassen anteilig beglichen. Der Beruf sei für sie wirkliche Berufung, schwärmt die 44-Jährige. Sie wolle den Familien und der Gesundheit dienen. Es gehe nicht darum, reich zu werden.

Hebammerei Nabelschnürchen Rhein-Sieg-Kreis, Lohmar, Von-Ley-Straße 2, 02206/9509905, www.nabelschnuerchen.de


Zwei Geburtshäuser in Planung

In der Region sind zwei Geburtshäuser in Planung. Bis zu sechs Hebammen wollen die Einrichtung in der früheren Pathologie des St.-Josef-Hospitals im Troisdorfer Zentrum betreiben, die Eröffnung ist für dieses Jahr geplant. Sieben Hebammen haben sich in Königswinter zusammengeschlossen. Dort erschweren bauliche Gegebenheiten das Projekt. Beide Initiativen sammeln Spenden.

Der Kreißsaal in St. Josef war zum 1. September 2024 geschlossen worden. Jetzt gibt es in Rhein-Sieg nur noch eine Geburtstation in St. Johannes in Troisdorf-Sieglar. In der Vergangenheit gab es zeitweise eine Geburtsstation in der Kinderklinik Sankt Augustin und im Siegburger Krankenhaus.