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Superfood vom Lohmarer WegesrandBeim Brennnesselsammeln bleiben die „Männer“ stehen

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Aus den Fasern lässt sich eine Schnur zwirbeln, zeigt Mel Hagen. 

Lohmar – Es pikst, es brennt, kein Wunder, dass fast jeder einen großen Bogen schlägt um das waden- bis mannshohe Gewächs mit den wippenden Wedeln. Das unscheinbare Grün hat’s aber in sich, wie Mel Hagen in der Naturschule Aggerbogen verrät. Heilt diverse Zipperlein, wirkt erotisierend – und schmeckt.

Neun Frauen nähern sich der Superpflanze des Jahres etwas zögerlich mit Handschuhen und Nudelhölzern. Sie lernen als erstes, Männlein und Weiblein der Brennnessel zu unterscheiden. Der kleine Unterschied offenbart sich an den Blüten: einmal hellgrün und wie Perlen auf einer Schnur, einmal dunkler und sternförmig.

Brennnesseln helfen nicht nur gegen Rheuma

„Die Männer bleiben stehen“, erklärt Expertin Hagen. Sie bringen nahrungstechnisch nichts. Die weiblichen Pflanzen dagegen bieten rund 500 Inhaltsstoffe in den Samenkernen und den Blättern. Selbst Stumpf und Stiel des vermeintlichen Unkrauts sind zu gebrauchen.

Naturshampoo

Eine Hand voll zerkleinerter Brennnesselblätter wird in 250 Milliliter Wasser 15 Minuten lang zugedeckt gekocht. Die abgeseihte Flüssigkeit mit drei Esslöffeln Heilerde, einem Esslöffel Honig und einem Teelöffel Olivenöl verrühren. Vor Gebrauch gut schütteln. Das Shampoo schäumt nicht und hält bis zu zwei Wochen im Kühlschrank. (coh)

Doris Paas schneidet die Stengel mit einer Gartenschere zehn Zentimeter über dem Boden ab, Christina Winkler-Schoor nimmt sie vorsichtig entgegen. Radfahrern, Gassigeher, Aggerschwimmer kommentieren die Ernte mit fragenden Blicken und Kopfschütteln. Keiner kommt der Gruppe zu nahe.

Mel Hagen, Gründerin der Naturvermittlung mit dem hübschen Namen „Moos und Meise“, braucht als einzige keinen Hautschutz. Selbst das Kribbeln sei gesund, sagt sie: „Hilft gegen Rheuma.“

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Das Nudelholz walzt die piksenden Nesselhärchen platt.

Bei aller Experimentierfreude, das geht den Workshop-Teilnehmerinnen nun doch zu weit. Sie behalten die Handschuhe an, als sie die Blüten und Blätter von den Stielen trennen, mit den Nudelrollen die gewaschenen Blätter und die Stiele platt walzen und die Samenkügelchen zwischen den Handflächen rollend von jedem Spelz befreien – denn die Nesselhärchen sitzen allüberall und enthalten dieselbe Substanz wie ein Wespenstich, wenn auch in kleinerer Menge.

Nun geht’s ans Eingemachte: Die Chips, hauchdünn und knusprig, schmecken krautig, die im Backteig ausgebackenen Blätter weich und weniger intensiv. Wer mehr davon essen und trinken will, zum Beispiel als Mus oder Tee, sollte frische Blätter im Frühling und Herbst sammeln, rät die Leiterin. Das restliche Grün landet mit Wasser im Topf, aus dem Sud wird, mit Heilerde, Honig und Öl vermischt und in Glasfläschchen abgefüllt, Shampoo.

Melanie Bungart zerquetscht derweil die Samen im Mörser: Sie veredeln den grünen Smoothie und machen aus dem groben Meersalz ein Kräutersalz. Simpel und raffiniert zugleich. Kompliziert ist hingegen die Kordel: Mel Hagen hält dünne Fasern über den Kopf, die Frauen im Alter von 30 bis 70 stehen hinter ihr und versuchen, ihre Handgriffe zu imitieren. Wer es schafft, mit Zwirbeln und Drehen einen dauerhaften Strang zu formen, hat ein duftendes Natur-Armband oder eine Anbindeschnur für Rosen und Tomaten.

Ob das Wildkraut wirklich wirkt gegen Verdauungsbeschwerden und Gelenkschmerzen, ob die Wunderpflanze den Haarwuchs anregt und das Liebesleben, das wird die Zeit zeigen. „Gebt mir ruhig Rückmeldung“, bittet die Expertin nach rund drei spannenden Stunden (allerdings nur bezogen auf das Shampoo). Der Workshop machte auf jeden Fall Lust auf Mehr. Und Material gibt’s in Hülle und Fülle.