In Lohmar gegründeter UnterstützervereinNazo will afganischen Familien weiter helfen
Rhein-Sieg-Kreis – Ja, bestätigt Britta Wittmacher bei unserem Telefonat. „Es ist das totale Chaos“ – zugleich aber sind die Stellvertretende Vorsitzende des Vereins Nazo Deutschland und ihre Mitstreiter hier wie in Afghanistan fest entschlossen, ihren Einsatz fortzusetzen. „Wir wollen ja eigentlich, dass die Leute im Land bleiben und es wieder aufbauen.“ Seit 2002 engagiert sich der von der Lohmarer Filmemacherin Elke Jonigkeit-Kaminski ins Leben gerufene Verein für Frauen in dem Land am Hindukusch.
Und daran soll auch die erneute Machtübernahme durch die Taliban nichts ändern.Täglich mehrfach hat Wittmacher, die in Overath zuhause ist, in den vergangenen Tagen mit den Projektbeschäftigten in Kabul telefoniert. „Seit Mittwoch haben wir versucht, einige Mitarbeiterinnen herauszuholen“; Sorge um ihr Leben trieb auch einige der in Nazo-Projekten Beschäftigten zum Flughafen der Hauptstadt – ohne den gewünschten Erfolg.
Einsatz für die Ausbildung von Frauen und Mädchen
Der Verein „Nazo Deutschland – Hilfe für afghanische Frauen“ setzt sich in Zusammenarbeit mit dem Schwesterverein „Afghan Luminous Sun“ seit 2002 für die Ausbildung von Frauen und Mädchen in dem krisengebeutelten Land ein. „Wir besorgen das Geld, der dortige Verein macht alles vor Ort selbst“, hat Gründerin Elke Jonigkeit das Wirken einmal beschrieben.
Er betreibt vor allem Werkstätten und Ausbildungszentren in der afghanischen Hauptstadt Kabul und ihrer Umgebung. Zu Schneiderinnen werden dort junge Frauen ausgebildet, andere lernen die Schmuckherstellung. Auch Ledertaschen gehören zu den Produkten, die im Land und im Online-Shop verkauft werden. Zusätzlich lernen die jungen Frauen auch das Lesen und Schreiben, Gesundheitspflege oder Familienplanung.
Es gibt zudem eine Rechtsberatung. In der nördlichen Provinz Kapiza machte ein Projekt des Vereins die Frauen zu Viehbesitzerinnen. (dk)
„Sie haben sich ein wenig beruhigt“, sagt Britta Wittmacher nun, wollten nun eher in der Heimat bleiben. Aber: „Sie sind ein bisschen resigniert und sehr enttäuscht von Deutschland.“ Eine einzige Mailadresse habe es gegeben, um die für einen Hilfsflug nötigen Dokumente zu senden; Antwort ging, wenn überhaupt, direkt an die Antragsteller. „Es hat noch keiner etwas gehört“, weiß Britta Wittmacher. Eine Ausreise über Pakistan hält sie unterdessen für „absolut unrealistisch“: Am Grenzposten werde geschossen, pakistanisches Militär und Taliban bewachten die Grenze ins Nachbarland.
Verein sammelt Spenden für Lebensmittelpakete
Schon am vergangenen Samstag war die Nazo-Führungsriege in Kabul heimlich zusammengekommen. „Wir machen weiter“ ist die Botschaft, die von dieser Zusammenkunft ausging. Aktuell sammelt der Verein Spenden, um Lebensmittelpakete für Familien zu finanzieren.
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Für 50 Euro sind 35 Kilo Reis und fünf Kilo Bohnen darin, fünf Liter Öl und fünf Kilo Zucker sowie sieben Kilo Getreide. Einen Monat könne eine sechsköpfige Familie damit auskommen, heißt es auf der Website des Vereins. „Wir können anfangen, in Kabul einzukaufen und Pakete zu packen“, berichtet Britta Wittmacher. Allerdings stehen die Helfer nun vor dem Problem, dass die Banken geschlossen sind. „Es wir schwierig, Geld dorthin zu bringen.“
„Wir haben die Schülerinnen alle nach Hause geschickt“: 40 junge Frauen zwischen 18 und 35 Jahren, die nach einer Ausbildung in der Teppichwebe- und -knüpfschule sowohl in Kabul als auch in der Provinzstadt Nejrab für vier Monate im Marketing geschult werden sollten. „Die berichten jetzt, dass die Taliban sagen, auch Frauen und Mädchen könnten wieder zur Schule kommen“; das Misstrauen gegenüber solchen Aussagen ist aber in Afghanistan wie in Overath groß.
Taliban pöbeln die Finanzmanagerin des Projektes an
Die Finanzmanagerin des Projekts geht inzwischen wieder in ihr Kabuler Büro, voll verschleiert, immer wieder angepöbelt – weil sie ohne Mann unterwegs ist – und vorbei an toten Menschen auf der Straße. „Beunruhigendes“ hat diese Frau am Telefon auch vom Arbeitsplatz ihrer Schwester berichtet: Eine NGO (Nicht-Regierungsorganisation), die Fortbildungen für Anwälte und Richter organisiert hatte, wurde von Taliban gestürmt, die Mitarbeitenden davongejagt. Nun, so Wittmacher, „haben wir Sorge, dass uns das auch passiert.“
Erst am 12. August haben die Unterstützer aus Deutschland einen Förderantrag beim Bundesministerium für Zusammenarbeit eingereicht, im September des kommenden Jahres soll ein neues Projekt in Afghanistan an den Start gehen. „Wir wollen 300 Hühnerfarmen aufbauen“, beschreibt Britta Wittmacher das Vorhaben.
50 Hühner und das Material für einen Stall soll jede Teilnehmerin bekommen; je sechs Monate Schulung sind ebenfalls vorgesehen. „Auf jeden Fall“ werde man das Projekt weiter verfolgen, versichert Britta Wittmacher. Über die Zukunft der vorgesehenen Rechtsberatung, Alphabetisierung und Kurse zur Familienplanung gibt sie sich keinen Illusionen hin. „Das werden wir bei den Taliban nicht durchkriegen.“