Philosophie-Professor Booms„In der gegenwärtigen Situation liegt auch eine Chance“
- Prof. Dr. Martin Booms ist Direktor der Akademie für Sozialethik und Öffentliche Kultur in Bonn sowie Professor für Philosophie an der Alanus Hochschule in Alfter.
- Im Interview spricht er über das Denken in Krisenzeiten.
- Und er erklärt, warum die Coronakrise auch eine Chance für die Gesellschaft sein kann.
Prof. Dr. Martin Booms ist Referent der „Philosophischen Stunde“, die am Dienstag, 24. März, im Siegburger Stadtmuseum starten sollte und nun verschoben worden ist. Mit dem Bonner Philosophen sprach Annette Schroeder über das Denken in Krisenzeiten.
Zum Auftakt der Reihe in Siegburg wollten Sie die Frage stellen: „Was ist Wahrheit?“
Das Thema ist in der Coronakrise aktueller denn je. Wir sind ja nicht nur einer Pandemie, sondern auch einer Infodemie ausgesetzt. Wir werden erschlagen von einer Lawine an Informationen, und niemand weiß, wie die Dinge einzuordnen sind. Selbst Experteneinschätzungen widersprechen sich. Wir brauchen eine neue Mündigkeit und Urteilsfähigkeit, um uns in diesen Zeiten orientieren zu können. Das ist auch eine Bildungsfrage. Leider wurde eine solche Art der Bildung in Schule und Hochschule immer weiter heruntergefahren – zugunsten bloßer Qualifizierung. Das ist aber in Zeiten gesellschaftlicher Verunsicherung gefährlich.
Wie gehen Sie selbst mit dieser Informationsflut um?
Indem ich versuche, sie in größere Zusammenhänge einzuordnen. Denn Informationen allein sind ja lange noch kein Wissen, aus dem man Orientierung schöpfen kann – auch Selbstorientierung. Dazu muss ich auch einmal abschalten und mich bewusst dem Informationsfluss entziehen. Man muss aufnehmen, was passiert, darf aber nicht zum Getriebenen des Geschehens werden.
Wie erleben Sie selbst und in Ihrem Umfeld die Krise?
Aktuell zeigt sich wie in einem Brennglas, dass der Fortschrittsoptimismus der Aufklärung umgeschlagen ist in Pessimismus und Zukunftsangst – beides verstärkt sich in der Krise massiv. Die Menschen, mit denen ich spreche, haben gar nicht so sehr Angst vor einer Infektion, sondern eher vor den gesellschaftlichen Folgen ihrer Bekämpfung.
Was passiert mit einem sozialen System, das monatelang weggeschlossen wird?
Vor allem sollten wir die massive Einschränkung von Freiheitsrechten nicht als selbstverständlich hinnehmen. Einschränkungen mögen in dieser Ausnahmesituation eine gewisse Zeit berechtigt sein, aber darin liegt ein hohes Risiko. Wenn nämlich tragende Prinzipien unserer Wertekultur in Frage gestellt werden, dann ist der gesellschaftliche und moralische Schaden am Ende vielleicht noch problematischer als der gesundheitliche. Wir müssen die Pandemie bekämpfen, ohne dass unsere Grundwertekultur nachhaltig Schaden nimmt. Auch darin liegt eine Verantwortung.
Kann die Philosophie in dieser Krise eine innere Haltung vermitteln?
Das ist sogar eine ihrer wesentlichen Aufgaben. Epikur hat gesagt: Die Philosophie ist nichts wert, wenn sie nicht dazu dient, den Menschen zu befreien. Er meinte: von falschen Ängsten. Damit ist nicht gemeint, so zu tun, als sei immer alles gut. Sondern gemeint ist, sich nicht von Ängsten und Erschütterungen dominieren zu lassen. Aktuell heißt das: nicht zum Objekt einer sich selbst bestätigenden Katastrophenstimmung zu werden.
Und dann zu fürchten, dass es kein Toilettenpapier mehr geben wird . . .
In der Tat ein surreal anmutendes Phänomen unserer Tage! Hier zeigt sich, dass die von uns selbst betriebene Angst-Aufladung der Dinge häufig viel größer ist als das reale Problem. Generell sollte man sich bei Lebensängsten einmal fragen: Was ist das Schlimmste, das mir passieren kann – und ist meine Angst wirklich angemessen? Das kann helfen, die Dinge einzuordnen. Wir sollten uns darauf besinnen, dass es keine vollkommene Gelingensgarantie für unser Leben gibt. Was wir viel zu lange ausgeblendet haben: Die Zerbrechlichkeit und Endlichkeit, die Unsicherheit gehören zur menschlichen Existenz. Mein Appell ist, dass wir das bewusst annehmen, statt es zu verdrängen. Philosophieren heißt auch, mit diesem Urfaktum umgehen zu lernen.
Zur Person
Prof. Dr. Martin Booms, Jahrgang 1971, ist Direktor der Akademie für Sozialethik und Öffentliche Kultur (ask) in Bonn sowie Professor für Philosophie an der Alanus Hochschule in Alfter. Booms hat an der Universität Bonn studiert und über die Philosophie Schopenhauers promoviert.
Mit Gerhart Baum, dem ehemaligen Innenminister (FDP), gründete Booms 2007 in Bonn die ask, die mit Veranstaltungen und Vorträgen in die Öffentlichkeit hineinwirkt. 2016 wurde er zum Professor für Wirtschaftsethik an der Steinbeis-Hochschule Berlin ernannt. (as)
Das ganze Unglück des Menschen rühre daher, das er nicht ruhig in einem Zimmer bleiben kann, meint der französische Philosoph Blaise Pascal. Das ist aber jetzt gefordert.
Pascal hatte im 17. Jahrhundert aber noch nicht die tausend digitalen Zimmer vor Augen, in denen sich heute jeder gleichzeitig aufhalten kann. Man kann Tage und Wochen allein am Küchentisch sitzen, aber mit der Welt vernetzt sein. Nur: Ist das die richtige Form, mit der Welt und mit sich selbst verbunden zu sein? Ich sehe es problematisch, wenn wir jetzt in isolierten häuslichen Blasen nur noch kurzgetakteten digitalen Info-Hypes ausgesetzt sind, ohne unmittelbaren Austausch mit anderen. Das trägt sicher nicht dazu bei, jene innere Autarkie und Gelassenheit zu erreichen, die heute wichtiger sind denn je.
Der Konsum von Statussymbolen wie Reisen, Kultur- und Sportveranstaltungen, der auch eine abgrenzende Wirkung hat, ist stillgelegt. Sehen Sie darin auch eine Chance für mehr Gleichheit?
Es kommt darauf an, welche Gleichheit gemeint ist. Viel wichtiger als die materielle finde ich die innere Gleichheit: jeden Menschen in seiner Einzigartigkeit als gleich wertvoll anzuerkennen. Das ist die Grundlage unseres Würdebegriffs. Und auch die Basis echter, gelebter Solidarität – ein aktuell ja stark beanspruchter Begriff. Verinnerlichte Solidarität zeigt sich zum Beispiel im Alltagsverhalten. Etwa beim Einkaufen im Supermarkt, und da kommen wir zum Phänomen des gehamsterten Klopapiers zurück.
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Bei allem Unglück und Elend, das ich keineswegs kleinreden möchte, liegt in der gegenwärtigen Situation auch eine Chance. Der Shutdown könnte uns etwas verschaffen, das schon aus der Mode gekommen schien: Muße. Einmal Abstand nehmen und überlegen: Bin ich eigentlich im richtigen Leben, stimmt der Kurs? Werde ich meinen sozialen Beziehungen gerecht? Wie viel brauche ich wirklich, und zu welchem Zweck? Wenn wir in ein ausgeglichenes Verhältnis zu uns selbst kommen, können wir vielleicht wieder ein anerkennendes Verhältnis zu anderen und zur Natur schaffen. Denn in Zeiten von zunehmendem Hass und Naturzerstörung warten ja noch andere Herausforderungen auf uns. Die Coronakrise beschäftigt jetzt alle. Aber sie zwingt uns auch, Farbe zu bekennen. Darüber, wohin wir wollen, wenn sie einmal vorbei ist.