Wahlkampfhelfer und -helferinnen fürchten nicht nur körperliche Angriffe. Auch beschmierte Wahlplakate sind eine unterschwellige Bedrohung.
Nach Angriffen auf WahlkämpferPolitiker in Rhein-Sieg zwischen Verunsicherung und Trotz
„Da drüben geht’s nicht, nachher kriege ich Ärger mit der Feuerwehr – dann gehen wir unter die Agnes“, sagt Michael Richter und hat die Laterne mit dem FDP-Plakat im Blick. Der Kreisgeschäftsführer der SPD ist in seinem Wohnort Buisdorf auf der Suche nach dem passenden Platz für ein Wahlplakat – allein. Bundesweit müssen viele Helferinnen und -helfer fürchten, im Wahlkampf angegangen zu werden – so wie der sächsische SPD-Spitzenkandidat Matthias Ecke, der brutal zusammengeschlagen wurde. Im Rhein-Sieg-Kreis macht den Parteien eher das Beschmieren von Plakaten zu schaffen – und doch herrscht Verunsicherung.
Michael Richter schneidet die Enden der Kabelbinder mit einer Gartenschere ab. „Den Trick hat mir mal ein älteres Parteimitglied gezeigt: Kein Küchenmesser, nur mit der Gartenschere geht’s“, sagt er. Wahlplakate hängt der 31-Jährige, der auch Ratsmitglied in Sankt Augustin ist, ehrenamtlich auf. „Dass man bedroht wird oder so, erleben wir bislang nicht. Aber es trifft die Wahlplakate, die gefühlt häufiger heruntergerissen werden. Oft kommt ein Anruf aus dem Ortsverein, ob wir hier oder da noch ein paar aufhängen können“, sagt Richter. In Zahlen fassen lasse sich das aber nicht.
Politiker in Rhein-Sieg sind nach Angriffen im Wahlkampf verunsichert
Er habe erwogen, den Mitgliedern im Ortsverband zu empfehlen, nicht mehr bei Dunkelheit oder nur noch zu zweit loszuziehen. „Eine Bedrohungslage sehe ich derzeit nicht. Aber es ist nicht so, dass das nichts mit unseren Leuten macht. Viele sind verunsichert nach dem Angriff in Sachsen und schlagen vor, der Polizei die Orte unserer Wahlkampfstände mitzuteilen“, sagt Richter. „Viele sind auch umso motivierter.“
Es sind nicht nur körperliche Übergriffe, die Wahlkampfhelferinnen und Wahlkampfhelfer fürchten, es ist auch die unterschwellige Bedrohung durch das Beschmieren von Wahlplakaten. Auf ein Plakat der FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann in Hennef hat jemand „Mörder“ geschrieben. „Beschmiert wurden Plakate ja schon immer, aber heute ist es unverschämter, beleidigender“, sagt Kurt Lausus, Pressesprecher der FDP in Hennef.
Die tätlichen Angriffe auf Politikerinnen und Politiker im Land machen ihm Sorgen. „Vor 20, 30 Jahren hätte ich mich noch wehren können, jetzt gehe ich auf die 80 zu. Wenn da einer beim Plakatieren die Leiter umtritt, habe ich nichts zu lachen.“
Vor ein paar Tagen sei er in Siegburg persönlich angegangen worden. „Jemand hat mich aufgefordert, sofort die Stadt zu verlassen. Ich weiß nicht, ob der mich erkannt hat, vielleicht war das auch nur ein Spinner“, sagt der Hennefer. Er selbst möchte noch ein paar Plakate in seinem Wohnort Bröl aufhängen. „Das mache ich nicht alleine, schon aus praktischen Gründen.“
Ihm bereite die Kommunalwahl im kommenden Jahr Sorge, die nach jetzigem Stand der Planung zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfinden soll. „Ich fürchte, dass da nicht mehr differenziert wird und die Leute Sachen an uns Kommunalpolitikern auslassen, über die sie sich auf Bundesebene ärgern“, sagt Lausus.
An der Kreisstraße 17 in Ruppichteroth haben Unbekannte einen Aufsteller der Grünen-Spitzenkandidatin mit rechten Parolen beschrieben. Worte wie „AfD Vaterland“ und „Volksverräter“ – mit Rechtschreibfehler – sind dort zu lesen, außerdem „1161“, ein in rechten Kreisen verwendeter Code für „Anti-Antifacist-Action“, gegen antifaschistische Gruppen, soll das bedeuteten.
Rechte Parolen wurden auf Plakate der Grünen geschmiert
Die Empörung von Ruth Kühn, Fraktionsvorsitzende der Grünen in Ruppichteroth, hat sich in Trotz umgewandelt. „Wir haben Anzeige erstattet, aber uns dagegen entschieden, drüber zu plakatieren. Wir sind der Meinung, dass sich eine Gesellschaft dafür schämen und so etwas verhindern muss. Jeder und jede in Ruppichteroth muss sich das ansehen“, sagt sie. Die mit rechten Parolen beschmierten Plakate seien „eine Art Mahnmal“.
Dass die Verantwortlichen aus Ruppichteroth kommen, glaubt sie nicht. „Das ist eine Kampagne, die von irgendwo gesteuert wird. Nazis gibt es überall, in der Stadt wie im Ländlichen.“ Es helfe nicht, als Kommune mit dem Finger auf Andere zu zeigen. „Parteien müssen fraktionsübergreifend zusammenarbeiten, sauber analysieren und entsprechende Maßnahmen treffen, ohne die falschen Menschen zu pauschalisieren.“ Das gelte nicht nur für Parteien, sondern für auch andere demokratische Kräfte.
Persönlich fühle sie sich nicht bedroht, „aber uns Grüne als Partei. Das ist sehr radikal: Volksverräter, das ist sachlich falsch, das ist Propaganda“, so Kühn. „Als Politikerin bin ich noch nie bedroht werden, als Frau aber sehr häufig. Frauen und Kinder sind tagtäglich mit Gewalt konfrontiert – das sollten wir mehr in den Blick nehmen.“