Nach SilvestervorsatzAuf der Strecke blieben 120 Kilo – und ein altes Leben
- Guido Sander aus Niedersachsen wog über 180 Kilo.
- Als guten Vorsatz nahm er sich Silvester 2016 vor, abzunehmen und suchte Hilfe bei Thomas Eickmann und dem LAZ Puma in Siegburg.
- 120 Kilo nahm er ab und ist heute ein durchtrainierter Marathon-Läufer.
Siegburg – Jahreswechsel 2015/16: „Ich war gesundheitlich am Abgrund“, sagt Guido Sander. Monströse 193 Kilogramm schwer, der Blutzuckerwert irgendwo über 500 und nicht mehr messbar. „Mensch Guido, wenn du das überleben willst, musst du dich ändern“, dachte der damals 43-Jährige. Massive innere Unruhe, Schweißausbrüche tagsüber und nachts, Füße und Beine brannten wie nichts Gutes. Mehr als reif war die Entscheidung für den Wandel und mehr als ein leerer Vorsatz zum Jahreswechsel.
Mehr Zeit für die Familie, für Ehefrau Renate und die beiden Kinder, ausreichend schlafen, weniger arbeiten - schon immer hatte sich der 1,87 Meter große IT-Spezialist aus der Niedersächsischen Gemeinde Wagenfeld besonderes vorgenommen bei Jahreswechseln. Diesmal sollte die schwindende Gesundheit, eine lebensgefährliche Situation, den Weg mit vielen Unbekannten weisen, mit vielen Stolpersteinen und Schritten im wahrsten Sinn des Wortes.
Heimlich Bahnen im Schwimmbad gezogen
Erster Schritt: Mit 43 Jahren tat er, was schon Jahre nicht mehr stattgefunden hatte, er schaute in den Spiegel, „da hat es „Klick“ gemacht“. Vier Jahre, hunderte Kilometer auf dem Rad, heimlich gezogene Bahnen im Schwimmbad und vor allem einigen tausend Laufkilometer später ist das jetzt her.
Auf der Strecke blieben 120 Kilo und ein altes Leben. Im Leichtathletikzentrum (LAZ) Puma Rhein-Sieg in Siegburg ist man stolz auf den heute 46- jährigen Amateursportler, der längst regelmäßig anreist, Mitglied ist in dem Verein mit rund 800 Mitgliedern und mit den Leistungssportlern trainiert. Da liegt die Frage auf der Hand: Wie hatte es soweit kommen können?
„Ich habe gelebt bis zum Anschlag.“
Sanders hatte alles im Griff, in der eigenen IT-Firma mit rund 20 Angestellten, alles konnte er kontrollieren und den Erfolg der Firma steuern. „Ich war immer derjenige, der als erster gerufen hat, ich löse das.“ Über 30 Jahre lang funktionierte die Präzisionsmaschine, der Beruf war sein Baby und er selbst bezeichnet sich als „extrem erfolgshungrig, ich habe gelebt bis zum Anschlag.“
Gleichzeitig stopfte er Nudeln, Kartoffeln, Pizza, Fertiggerichte in sich hinein, immer größer und mächtiger wurden die Berge von Nahrungsmitteln, am Ende um 4000 Kalorien täglich, manchmal mehr. Gut erinnert er sich an die halbstündigen Fahrten ins 20 Kilometer entfernten Spaßbad bei Lübbecke, „als Fettleibiger geht man nicht wie jeder andere Mensch einfach so in ein Schwimmbad.“ Gut erinnert er sich auch an das scharf sirrende „Ping, Ping“, als er aufs Fahrrad gestiegen war und nach einem halben Kilometer die Speichen rissen.
Erfolg mit Rückschlägen
Bei 120 Kilo fing das Umfeld an zu rebellieren. „Alle kannten mich fett und nicht so.“ Zwar fühlte er sich besser, „ich wusste aber, ich bin noch immer krankhaft übergewichtig.“ Ein Fallschirmsprung half, die selbst in Aussicht gestellte Belohnung, wenn auch mit Rückschlag: Zwei, drei Monate lang war er beleidigt, tief getroffen, weil er für einen Extra-Tandem-Master einen Sonderzuschlag für plus 93 Kilo hatte zahlen müssen. Dennoch: Das erste Mal unter 100 Kilo – „es war ein unvorstellbar großes Gefühl“.
Natürlich saß die Sucht im Nacken, zwei Teufelchen, eins links und eins rechts auf der Schulter. Ständig flüstern sie ihm ins Ohr: „Ist doch egal, du willst jetzt was essen.“ Was hilft gegen gefährliche, scheinbar unwiderstehliche Verführungskünste innerer Dämonen? Schon so oft in seinem Leben hatten sie sich eins ins Fäustchen gelacht, wenn wieder mal eine Diät gescheitert und die Gier gewonnen hatte. „Ich war schon immer heiß auf Eiscreme, die knallte schön in den Kopf.“
Nachts mit Stirnlampe losgelaufen
Januar 2017. „Du könntest doch mal schauen, ob Du auch laufen kannst. Es könnte funktionieren.“ Tat es auch, und wie. Sander kaufte sich eine Stirnlampe, „ich geh´ jetzt ´raus laufen“, sagte er seiner Frau, das war um 22 Uhr abends – keiner sonst war unterwegs in der Kälte. Genau deshalb lief er los, „da habe ich das einfach gemacht.“
Und ab da purzelten die Kilos rapide weiter, ab da glaubte er, was 30 Jahre lang undenkbar war: du kannst laufen. „Der Stress fällt dabei ab, der Kopf wird frei, ich konnte einfach gut abschalten.“ Und Spaß hat es gemacht, Sander steigerte seine Leistung schneller als es gut war, musste mit dem Training aussetzen und sich eingestehen: „Ok, von Bewegungssport hast du keine Ahnung.“
Nach Recherche auf LAZ Puma gestoßen
Bundesweit recherchierte er schließlich, suchte Lauf-Experten und stieß auf die Siegburger Wettkampfgemeinschaft LAZ Puma und deren Lauftrainer Thomas Eickmann. Der sportliche Leiter des Vereins, selbst erfolgreicher Marathonläufer betreute Bundeskader-Athleten, Joe Kelly und den Extrem-Läufer Rafael Fuchsgruber.
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Eickmann schrieb Pläne für Sanders, drückte ihm Wettkämpfe herein. Nach zehn Monaten schaffte der Niedersachse seinen ersten Halbmarathon in 1:55 Stunden, ging in Berlin an den Start, beim Kölner Marathon, bei Wettkämpfen in Leverkusen, Soest, Siegburg und wurde vierter bei den Deutschen Meisterschaften in Köln. Stolz schwingt mit, wenn er von der langen Distanz erzählt, die er inzwischen in 3:17 Stunden läuft. Auch oder gerade dafür kürte ihn der Deutsche Leichtathletikverband zum Hobbyläufer des Jahres 2019.
„Du kannst deine Gesundheit in ein paar Monaten umdrehen“
In seiner Geschichte sieht er eine Vorbildfunktion, will sich beruflich damit befassen. Es geht ums Grenzen verschieben. „Du kannst deine Gesundheit in ein paar Monaten umdrehen.“ Ein Bild hat ihm geholfen: Du bist der Garagenwagen einer alten Oma, der schon immer neu so dagestanden hat. Du kannst jetzt starten.“