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NeunaugeEin Blutsauger, der als Delikatesse galt

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Das Neunauge lebt auch in den Flüssen im Rhein-Sieg-Kreis.

Michaela Paus – Es verbringt sein ganzes Leben im Wasser, bewegt sich schwimmend fort und ist doch kein Fisch. Gemeint ist das Neunauge. Mit seinem länglichen Körper, dessen seitliche Kiemenlöcher an Augen erinnern, ähnelt es einem Aal. „Trotzdem haben Neunaugen und Fische eine ganz unterschiedliche Anatomie und Entwicklungsgeschichte“, sagt Holger Sticht. Der Vorsitzende des Bündnis Heideterrasse und stellvertretende NRW-Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) erklärt schmunzelnd: „Man könnte auch sagen: Fische und Neunaugen haben ungefähr so viel miteinander zu tun wie Menschen und Eidechsen.“

Neunaugen (Petromyzontidae) sind Wirbeltiere und gehören zu den Rundmäulern. Diese Bezeichnung haben sie ihrem saugnapfartigen Maul zu verdanken, das keine Kiefer, aber kleine Hornzähne besitzt. Der lange Neunaugen-Körper ist mit einem flossenartigen Saum besetzt.

„In unseren Gewässern kommen Meer-, Fluss- und Bachneunaugen vor“, weiß Sticht.

Meerneunaugen, die mit rund einem Meter größte heimische Art, leben zwar als erwachsene Tiere überwiegend im Meer. „Die Fortpflanzung findet jedoch in Flüssen statt“, erklärt Sticht. „Man findet Meerneunaugen dann vereinzelt in Rhein und Sieg.“ Flussneunaugen (rund 30 bis 40 Zentimeter lang) wandern beispielsweise in Agger und Dhünn. „Die knapp 20 Zentimeter langen Bachneunaugen schließlich bewohnen Nebenflüsse der Sieg wie die Bröl und den Naafbach.“ Neunaugen leben nach dem Schlüpfen rund fünf Jahre als sogenannte Querder. Diese augen- und zahnlosen Larven graben sich im Bachboden ein und filtern Pflanzenteilchen und Algen aus dem Wasser. „In diesem Stadium nimmt man sie eigentlich gar nicht wahr“, sagt Sticht. An die mehrmonatige Wandlung vom Querder zum erwachsenen Neunauge schließt sich eine zwei- bis vierjährige „Fressperiode“ an, in der Fluss- und Meerneunaugen parasitär leben. „Mit ihrem Maul saugen sie sich an Fischen fest, raspeln mit ihren Zähnen Fleischstücke heraus und saugen Blut“, sagt Holger Sticht. Für Menschen seien Neunaugen jedoch ungefährlich.

Eine andere Lebensweise wiederum haben Bachneunaugen (Lampetra planeri). Die oberseits blaugrünen, am Bauch weißen Tiere leben nach dem Querder-Stadium nur noch wenige Wochen, um sich fortzupflanzen. Sie legen ihren Laich in Bodenmulden ab und sterben nach der Besamung. „In dieser Zeit wandern sie nicht und fressen auch nichts mehr“, sagt Sticht. Mit ihrem Saugnapf-Mund halten sie sich höchstens mal am Gewässergrund fest. „In diesen Wochen, etwa von April bis Juni, sind Bachneunaugen am besten zu beobachten.“

Neunaugen, die in ganz Europa vorkommen, galten früher als Delikatesse, genannt Lampreten. Heute sind sie vielerorts bedroht und deshalb kaum mehr auf Speisekarten zu finden. In NRW waren Fluss- und Meerneunaugen vor 30 Jahren aufgrund von Flussbegradigungen, -verbauungen und -verschmutzungen fast ausgestorben. Durch die Verbesserung der Wasserqualität haben die Bestände in den vergangenen Jahren zwar wieder zugenommen, das Flussneunauge steht aber nach wie vor als gefährdet, das Meerneunauge als vom Aussterben bedroht auf der Roten Liste von NRW.