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Erinnerung an Nazi-OpferWeitere Stolpersteine in Troisdorf und Niederkassel

Lesezeit 4 Minuten

Die Angst vor dem Tag war schnell verflogen: Karola Adami und ihre Tochter ((hinten, Mitte) mit Gunter Demnig in Rheidt.

  1. Karola Adami wurde als 19-Jährige verhaftet und konnte aus dem Lager nach Leverkusen fliehen.
  2. Der Künstler Gunter Demnig hat schon fast 75.000 Stolpersteine als Erinnerung an Nazi-Opfer verlegt.
  3. Georg Langen forscht seit Jahren mit seinen Schülern zu den Jahren des Terrors in Niederkassel.

Niederkassel/Troisdorf – Sie habe vor dem Tag „ein bisschen Angst gehabt“, sagt die alte Dame. „Weil das ja alles wieder hochkommt“: die Geschichte von Verfolgung und Inhaftierung, von Lebensgefahr und Flucht der Karola Adami, die als Karola Stern geboren wurde. Sie hat den Naziterror überlebt, seit gestern erinnert ein Stolperstein an ihre Kindheit in der Rheidter Oberstraße.

„Es gibt noch Nazis, die stecken dir das Haus an“

Mit eineinhalb Jahren war sie aus einem Waisenhaus in Köln dort in Pflege gegeben worden. „Ich war schon katholisch, als ich dort hinkam“ , erzählt die alte Dame. Ein Lehrer an der Volksschule aber fand heraus, dass ihre Mutter Jüdin gewesen war. Das reichte aus, um verfolgt zu werden.

Das Haus ihrer Kindheit und die Pflegefamilie zeigt Karola Adami (hier mit Georg Langen) im Niederkasseler Heft von 1998.

„Im Telefonbuch“ habe er sie gefunden, erzählte Georg Langen vor dem Gebäude der Kreissparkasse, das heute am Platz des kleinen Hauses steht. Als Lehrer am Kopernikus-Gymnasium forscht er seit Jahren mit seinen Schülern zu den Jahren des Terrors in Niederkassel. „Verschreckt“ habe Karola Adami damals auf seinen Anruf reagiert, für eine Ausstellung im Rathaus schützte sie sich mit dem Namen Elisabeth Schindler. „Es gibt noch Nazis, die stecken dir das Haus an“, sei sie damals gewarnt worden, erzählt die rüstige 94-Jährige.

Sie überlebte, weil andere sie versteckten und versorgten

Aber: „Es waren nicht alle Nazis“, betont sie. Nicht die Mitglieder des Kirchenchors, die sie versteckten und mit Essen versorgten. Nicht der Schwager aus der Pflegefamilie, der zwar die braune Uniform trug, sie aber trotzdem beschützte. Und auch nicht der Ordnungsamtsleiter, der ihre Akte vor dem NS-Bürgermeister verbarg. „Sonst wäre ich schon mit dem ersten Transport deportiert worden.“

„Einen Fehler ausgebügelt“ hat die Verlegung eines Steines für Benno Levy an der Mondorfer Oberdorfstraße.

Eine Überraschung war ihre Verhaftung dennoch nicht für die damals 19-Jährige. „Ich hatte immer darauf gewartet, die Juden waren ja schon weg.“ Aus einem Lager in Kassel gelang ihr die Flucht, eine Schulkameradin versteckte sie in Leverkusen. Auch Menschen, die sie gar nicht kannte, boten ihr kurzfristig Schutz. Die Deutschen zu hassen kam für Karola Adami auch deshalb nicht in Frage; in Rheidt hat sie mit ihrem Mann gebaut und gelebt, erst mit 82 Jahren zog sie in die Nähe der Tochter nach Much.

„Wir geben ihnen die Namen zurück“

Zuvor hatte der Arbeitskreis, der sich seit Jahren für die Verlegung der Stolpersteine einsetzt, in Mondorf „einen Fehler ausgebügelt“: In der Oberdorfstraße wird nun auch an Benno Levy erinnert, begeisterter Fußballer und ein Gründungsmitglied des TuS Mondorf. Ihn rettete auch die Flucht in die Niederlande nicht, 1942 wurde er nach Auschwitz verschleppt und dort am 28. Februar 1943 ermordet.

Gertrud Brenner wurde 1944 in Hadamar ermordet.

„Wir geben ihnen die Namen zurück“, würdigte Bürgermeister Klaus-Werner Jablonski in Troisdorf zwei Opfer des Terrors: die Brüder Philipp und Anton Hamacher, die im SA-Heim am Stationsweg 4 gefoltert wurden. „Die Nachbarn hörten die Schreie“, erinnerte der Bürgermeister. Anton starb wenige Monate später im Krankenhaus Sieglar, sein Bruder überlebte. Ihre politische Gesinnung hatte die Hamachers ins Fadenkreuz der Nazis gebracht; Gertrud Keller wurde als psychisch krank für „lebensunwertes Leben“ eingestuft und 1944 in Hadamar vergast.

Erst als Erwachsener erfuhr der Enkel vom Schicksal seiner Oma

Nach Misshandlungen durch ihren Ehemann wollte sie sich das Leben nehmen und wurde daraufhin schon 1926 in die Heilanstalt nach Bonn eingewiesen. Bedburg-Hau und Göttingen waren weitere Stationen. „In Göttingen war man spezialisiert auf Sterilisationen und medizinische Versuche“, weiß ihr Enkel Detlev Brenner. Nachforschungen aber seien dort abgeblockt worden. In Hadamar endete das Leben von Gertrud Brenner.

75 000 steine

Am 29. Dezember wird Gunter Demnig in Memmingen den 75 000. Stolperstein verlegen: „Vor dem Haus des örtlichen AfD-Vorsitzenden“, sagte er gestern.

Neun Personen treiben das 2003 gestartete Projekt voran, in 26 Ländern liegen Stolpersteine, zwischen Süditalien und Nordnorwegen. „Auf einer Insel bei Hammerfest lebte ein einziger Jude. Und der wurde verraten.“ (dk)

Mit 50 Menschen in eine Gaskammer von vier auf vier Meter gepfercht, als der Arzt den Kohlenmonoxidhahn öffnete. Ihr Enkel hat davon erst als Erwachsener erfahren: Die Oma sei „jung gestorben“, hatte man ihm gesagt, das wahre Schicksal stets verschwiegen.