Polizei überlastetBrief des Landrats kommt gar nicht gut an
Rhein-Sieg-Kreis – Einige Bürgermeister waren sprachlos, als sie Ende September einen Brief von Landrat Sebastian Schuster bekamen. Darin stand die Ankündigung, die Polizei könne aus Arbeitsüberlastung nicht weiter wie in bisherigem Umfang abends, nachts und an Wochenenden zu Ruhestörungen vor Ort gerufen werden. Die Städte und Gemeinden sollten mit ihren Ordnungsämtern dann selbst für Ruhe sorgen.
Kommunen haben kein Geld für neues Personal
„Dafür haben die Kommunen aber gar kein Personal und schon gar nicht das Geld, neues Personal einzustellen“, sagte Rheinbachs Bürgermeister Stefan Raetz auf Anfrage. Er und seine Kollegen dachten, das auch in anderen Landesteilen diskutierte Ruhestörungs-Thema sei im Kreis seit einem Klärungsgespräch im Juni vom Tisch. Raetz ist Sprecher der 19 Bürgermeister im Rhein-Sieg-Kreis, die nun bei ihrem monatlichen Treffen Unmut geäußert haben sollen über das Schreiben, das dieser Zeitung vorliegt.
Den Unmut konnte Ruppichteroths Bürgermeister Mario Loskill beim Anruf dieser Zeitung gar nicht verbergen. Seine 10.500-Einwohner-Gemeinde, die kleinste im Kreis, hat gerade einmal 70 Beschäftigte in Rathaus, Bröltalbad, Bauhof und Schulen. Das Ordnungsamt besteht nur aus zwei Personen. Der Mitarbeiter des Standesamtes hilft aus und übernimmt alle drei Wochen die je einwöchige Rufbereitschaft außerhalb der Bürozeiten.
Geschulte Mitarbeiter abends, nachts und am Wochenende nötig
Dabei geht es aber nur um seltene Fälle von psychiatrischen Einweisungen, Unwettern und sonstigem Unvorhergesehenem. Um entsprechend energisch bei Ruhestörungen aufzutreten, müsste man geschulte Mitarbeiter vor Ort abends, nachts und am Wochenende bereithalten und losschicken können. Ohnehin bezweifeln viele, ob Ordnungsamts-Mitarbeiter von oft alkoholisierten Krachmachern ernst genommen werden, wo viele heute schon der Polizei keinen Respekt mehr zollen.
Polizeisprecher: Kein Bürger muss Angst haben
Ruhestörungen gehören nach dem Gesetz in die „originäre Zuständigkeit“ der Kommunen. So schreiten Ordnungsamts-Mitarbeiter immer dann ein, wenn jemand in der Mittagsruhe den Rasenmäher anwirft oder auf andere Weise zu laut ist.
Die Polizei leitet bei ihr eingehende Beschwerden tagsüber an die Ordnungsämter weiter. Das will sie nun auch wegen der eigenen Überlastung abends, nachts und am Wochenende tun.
Es hat sich wie andernorts auch im Kreis eingespielt, dass nach Büroschluss die Polizei kommt. Das tut sie auch weiterhin, und zwar nach Definition „im Eilfall, soweit ein Handeln anderer Behörden nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint“. Dann dauert es aber eventuell eine Stunde oder noch viel länger. Denn viele andere Delikte, so auch Unfälle oder Wohnungseinbrüche, haben eine höhere Priorität im Einsatzplan.
Der „Eilfall“, der gar nicht so eilig erledigt wird, soll aber durch den ständig einsatzbereiten Ordnungsdienst unnötig werden.
Trotzdem werden die Polizeibeamten stets mit Ruhestörungen zu tun haben. Nämlich bei nicht seltenen Aggressionen und uneinsichtigen Krachmachern, bei denen die Handlungsbefugnis der städtischen Mitarbeiter zur Durchsetzung der Ruhe nicht ausreicht.
Stefan Birk, Sprecher der Kreispolizei erklärte auf Anfrage: „Kein Bürger muss Angst haben. Die Sicherheit wird weiter gewährleistet. Wenn Gefahr droht, sind wir da.“ (ca)
„Für neues Personal fehlt das Geld“, sagt Loskill, dessen verschuldete Gemeinde versucht bis 2023 aus dem Haushaltssicherungskonzept zu kommen. Zu 51 Ruhestörungen wurde 2015 die Polizei nach Ruppichteroth gerufen. 74 waren es in der 20.000-Einwohner-Gemeinde Neunkirchen-Seelscheid. Die kann sich erst recht kein neues Personal leisten, sie ist so verschuldet, dass sie wie Windeck schon mit Geld von anderen Kommunen aus dem solidarischen Stärkungspakt NRW durchgefüttert werden muss.
Auch Siegburg hat kein Geld
Siegburg (41.000 Einwohner) sagt derzeit nichts, außer: „Wir beschäftigen uns intensiv mit dem Thema“. so Pressesprecher Wolfgang Hohn. Vermutlich wird im Rathaus gerade schwer gerechnet. Siegburg hat bereits einen wegen der Präsenz in der Fußgängerzone und wegen Streifenfahrten viel gelobten Ordnungsdienst. Aber Geld hat die Kreisstadt auch nicht.
603 Ruhestörungen waren es 2015 in der mit 75 000 Einwohnern größten Stadt im Kreis, Troisdorf, wo Bürgermeister Klaus-Werner Jablonski ausgerechnet ein ehemaliger Polizist ist, und wo es ebenfalls einen über die Bürozeiten erweiterten Ordnungsdienst gibt.
In Hennef mit 47 000 Einwohnern, 324 Ruhestörungen in 2015 und einem Haushaltssicherungskonzept bis 2025 schätzt Bürgermeister Klaus Pipke, dass er bis zu vier Mitarbeiter mehr für die Aufgabe haben müsse.
„Ich bedauere das sehr“
Das kann heiter werden, wenn sich die Bürgermeisterriege im November mit dem Landrat trifft, der auch Leiter der Kreispolizeibehörde ist. Diese „Elefantenrunde“, Konferenz der Hauptverwaltungsbeamten genannt, kommt viermal jährlich zusammen. Betroffen von der Neuerung sind alle rechtsrheinischen Kommunen im Kreis außer Bad Honnef und Königswinter. Die zwei werden wie das linksrheinische Kreisgebiet vom Polizeipräsidium Bonn betreut.
Schuster, anders als sein Vorgänger als Freund der Bürgermeister bekannt, lässt sich nicht ohne Grund auf den heraufziehenden Konflikt ein. Zu wenig Personal hat auch er in seiner Polizei für immer mehr Aufgaben, darunter (Wohnungs-)Einbrüche, Flüchtlingssituation oder terroristische Bedrohungslage. Die bisherigen Gespräche, so schreibt er, hätten „leider nicht zu einem gemeinsamen Ergebnis geführt“. Schuster: „Ich bedauere das sehr.“