Rund 40 Bücherschränke stehen mittlerweile im Rhein-Sieg-Kreis. Immer wieder werden sie Opfer blinder Zerstörungswut.
40 AngeboteImmer mehr Bücherschränke entstehen in Rhein-Sieg – Vandalismus als großes Problem
Noch ist viel Platz im neuen öffentlichen Bücherschrank am Pfarrer Rupprecht Saal in Stallberg, doch mit „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf wartet dort immerhin schon ein veritables Kultbuch auf neue Leser. Zur Eröffnung steuerte Bürgermeister Stefan Rosemann einen historischen Roman und ein Fantasy-Buch bei. „Bücherschränke sind Orte der Begegnung und des Austauschs“, sagte Rosemann und deutete an, dass der Stallberger Standort vielleicht durch eine Bank weiter aufgewertet werden könnte.
Das Prinzip ist simpel: Offene Bücherschränke sind im öffentlichen Raum für jedermann zugänglich. Wer mag, nimmt sich Werke heraus oder stellt ausgelesene Bücher hinein; kostenlos, unverbindlich, anonym und frei von Formalitäten. Acht dieser Bücherschränke wurden in letzter Zeit in Siegburg eingerichtet, ein weiterer könnte im kommenden Jahr folgen.
Im Rhein-Sieg-Kreis stehen rund 40 Bücherschränke
Nach den Standorten in Kaldauen, Braschoß, auf dem Brückberg, dem Deichhaus sowie auf der Zange folgten zuletzt der Nordfriedhof und der Gemeinschaftsgarten in der Cecilienstraße. Die Stadt schafft die Schränke an, die Patenschaften übernehmen örtliche Vereine und Initiativen, wie die Bürgergemeinschaft Stallberg: „Wir achten auf die Sauberkeit der Schränke und schauen nach, dass die eingestellten Bücher unbedenklich sind“, sagte Geschäftsführer Achim Kerp. Das Interesse und die Erwartungen sind hoch: „Ich hoffe, es gibt bald auch Kinderbücher“, meinte jedenfalls die zehnjährige Mia kurz nach der Eröffnung.
Seit dem Ende der 1990er Jahre haben sich Bücherschränke zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt. Deutschlandweit gibt es inzwischen knapp 4000 dieser Angebote, alleine gut 40 davon im Rhein-Sieg-Kreis. Einige davon ragen heraus, wie die ausrangierte englische Telefonzelle am Markplatz von Eitorf – schön anzusehen, aber leider nicht barrierefrei. In anderen Städten setzt man auf massive Holzkonstruktionen, frühere Telekom-Zellen oder umgebaute Lebensmittelautomaten.
Bücherschränke brannten in Sankt Augustin und Siegburg
Immer wieder werden Bücherschränke aber auch Opfer von Vandalismus. In Birlinghoven wurde der Bücherschrank Ende 2020 durch Brandstiftung zerstört, er ist inzwischen wieder ersetzt. Im Oktober 2022 überstand am Siegburger Verbindungsweg nur ein Buch einen Brand. In Hanglar wurde der Bücherschrank komplett leergeräumt, Stempel in den Büchern sollen Täter künftig überführen.
Die in Siegburg aufgestellten Bücherschränke wurden eigens für diese Aufgabe entwickelt und kommen von dem Kölner Anbieter „Publica libri“. Für Geschäftsführer Ulrich Mitchell-Figueras spielt Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle: „Wir vermeiden Verschnitt, Plastikmüll und Schrott. Zudem sind die Schränke wartungsarm und können Generationen überdauern.“ Die in Stallberg aufgestellte Variante ist zudem barrierefrei: „Durch ihre Konstruktion kann sie auch von Menschen im Rollstuhl oder mit Rollator problemlos angefahren und genutzt werden.“
Bücherschrank in Siegburg verfügt über besonderes Lüftungssystem
Die Schränke punkten auch mit einem ausgefeilten Innenleben: „Ein besonderes Lüftungssystem verhindert, dass die Bücher einstauben und dann muffig riechen.“ Auf Wunsch lassen sich die Bücherschränke auch mit einem Solarpanel für das Aufladen von Smartphones oder einer Feuerlöschanlage ausrüsten. Die Grundausstattung kostet je nach Modell zwischen 5000 und 6000 Euro.
Der Bestand der Bücherschränke ist immer auch ein Kulturbarometer ihres Umfelds. An manchen Standorten dominiert die leichte Kost von Konsalik bis Simmel, an anderen findet man auch Weltliteratur. Dann wieder gibt es Bücherschränke mit reichlich Mord und Totschlag oder die umfassende Anschlussverwertung des legendären Bertelsmann Leserings. Auch Bücher in kyrillischer Schrift oder türkischer Sprache sind inzwischen keine Seltenheit mehr; sie stehen einträchtig neben religiöser Erbauungsliteratur und Handbüchern für längst aussortierte Software-Programme.
Bücherschrank-Konstrukteur Mitchell-Figueras sieht aber noch einen ganz anderen Wert in seinem Produkt: „Mir gefällt einfach die Vorstellung, dass sich Alt und Jung zum Gespräch am Bücherschrank treffen und sich gegenseitig Bücher empfehlen.“