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Spanische Grippe an Rhein und SiegInfluenza raffte ganze Familien dahin

Lesezeit 4 Minuten

Ein kleines Mädchen weint am Krankenbett seiner infizierten Schwester.

Rhein-Sieg-Kreis – Mit Corona ist nicht zum ersten Mal eine Pandemie auch über die Menschen in der Region hereingebrochen. Die Spanische Grippe forderte 1918 und 1919 in insgesamt drei Wellen ihre Opfer weltweit und in den Kommunen an Rhein und Sieg. Eine Spurensuche.

„Geheimnisvolle Massenerkrankung“

„Die geheimnisvolle Massenerkrankung“ nennt am 31. Mai 1918 der Kölner Lokalanzeiger die Epidemie; „nun hat sie, wie so oft schon, ihren Weg durch ganz Europa gemacht“, schreibt am 12. Juli 1918 das Siegburger Kreisblatt. „Vor allem Bettruhe und vorsichtige Diät“ hätten sich als Gegenmittel bewährt, noch rätseln aber die Wissenschaftler über die Ansteckungswege.

„Von harmlosem Charakter“

Von einem „harmlosen Charakter“ ist zunächst in den Zeitungen die Rede; immerhin wird schon früh auf die Bedeutung der „Absonderung der kranken Personen“ hingewiesen. Gewiss scheint dem Autor aber eins: „Wir brauchen uns von der Grippe nicht sonderlich ins Bockshorn jagen zu lassen.“ Mit „einiger Vorsicht und schneller Behandlung“ werde man diesen „unfreundlichen Gast“ wohl schnell verjagen.

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Bonner und Bonnerinnen 1918 vor dem Gasthof Zum alten Keller mit Mund- und Nasenschutz

Eine Woche später informiert der Bonner Generalanzeiger seine Leser unter Berufung auf „unterrichtete Kreise“: Frühere Epidemien hätten sechs bis acht Wochen gedauert, die Krankheit werde also ihren Höhepunkt bald erreicht haben und „bei günstiger warmer Witterung“ bald wieder abnehmen.

Dass die Zahl der Erkrankten stark zunehme, berichtet die Kölnische Volkszeitung aus Bonn am 16. Oktober 1918, „An der Allgemeinen Ortskrankenkasse werden täglich durchschnittlich 100 Krankheitsfälle angemeldet.“ Aus dem gleichen Jahr findet sich im Bonner Stadtarchiv eine Bildpostkarte, die zwei Frauen und zwei Männer mit Mund- und Nasenschutz vor dem „Gasthof zum alten Keller“ zeigt.

„Einige Fälle verlaufen gefährlicher und schlimm“

Ein Besuch im Archiv der Stadt Troisdorf zeigt, dass davon vorerst keine Rede sein kann. In Eschmar habe die Grippe „eine derartige Ausdehnung genommen, dass von 97 Schulkindern nur noch neun dem Unterricht beiwohnen“, schreibt schon am 9. Juli 1918 der Schulleiter an den Sieglarer Bürgermeister Lindlau. Tatsächlich habe er den Unterricht bereits bis Mitte des Monats ausgesetzt. Unterdessen macht man in Köln die Erfahrung, dass neben den vielen leichten Erkrankungen „einige Fälle gefährlicher und schlimm verlaufen“, vor allem, wenn eine Lungenentzündung hinzukommt. Eine Tatsache, die sich auch in den Todesanzeigen im Juli spiegelt.

„Nach kurzer schwerer Krankheit"

Dass eine zweite Welle anrollt, zeigt einmal mehr der Blick in die Todesanzeigen, die immer wieder Kindern gewidmet sind. „Nach kurzer schwerer Krankheit“, steht da ab Ende September immer öfter. Heldentod im noch immer tobenden Weltkrieg und Opfer der „spanischen Krankheit“ teilen sich den Anzeigenraum. Dabei trifft es wie andernorts auch die alten und die jungen Menschen, ganze Familien rafft die Influenza hinweg: Am Beerdigungstag seiner Frau stirbt im Oktober 1918 der Siegburger Carl Düx mit 36 Jahren, im November folgt die vier Wochen alte Anneliese Düx den Eltern „in ein besseres Jenseits“.

Auch in den USA wütete die Spanische Grippe: Mit Masken und Tragen warteten Mitarbeiterinnen des Roten Kreuzes in St. Louis im Oktober 1918 auf die Versorgung der Kranken.

„Die Krankenhäuser sind überfüllt“

Schon Mitte Oktober sind in Köln „die Krankenhäuser (...) überfüllt, die Todesfälle häufen sich“; Schulen und Theater werden geschlossen. Einige Tage zuvor hat Bürgermeister Lindlau auch die Schulen in Troisdorf geschlossen. „Ganze Familien liegen darnieder“, ist in der Bergheimer Schulchronik in jenen Tagen zu lesen. „In wenigen Tagen wurden drei Personen dahingerafft, darunter ein Schulkind.“ Ein Drittel aller Schulkinder in Bergheim erkrankt, an einem Tag ist die Hälfte der Kinder entweder selbst krank oder von Krankheit in der Familie betroffen. Bis zum 1. Dezember solle es keinen Unterricht geben, verfügt der „Königliche Landrat“ Strahl.

„Ob die Wiedereröffnung der Schulen . . . zu früh kommt“

Schon damals wird aber in der Bevölkerung auch darüber gestritten, ob die Wiederöffnung der Schulen – in Siegburg und Köln um den 11. November – nicht zu früh kommt. Schließlich könne ein Kind aus einer Familie mit Erkrankung alle anderen Jungen und Mädchen der Schule anstecken.

Nicht alle Bürger lassen sich allerdings von ärztlichen Empfehlungen beeindrucken: „Die Vermeidung von Orten, an denen Massenverkehr herrscht“, so informiert das Siegburger Kreisblatt am 30. Oktober, „um nicht mit vielen Menschen in Berührung zu kommen oder von ihnen angehustet zu werden, vermeiden die Gefahr der Ansteckung mit Grippe“. Gleichwohl wird in Bonn von Versammlungsverboten oder einer Schließung der Theater abgesehen, „sämtlich ausverkaufte Häuser“ verzeichnen die Vergnügungslokale am letzten Oktobersonntag 1918. Die „zahlreichen Erkrankungen unter den Beamten des Fahrdienstes“ bleiben nicht ohne Einfluss auf den Zugverkehr, „wegen der Grippe“ muss Ende Oktober der Straßenbahnverkehr in Bonn eingeschränkt werden.

Ehrenamtliche Helferinnen des Roten Kreuzes pflegen im Hörsaal in Oakland Influenza-Kranke.

„Medizinisches Personal arbeitet bis zum Zusammenbruch“

„Bis zum Zusammenbruch“ muss derweil das medizinische Personal in Köln arbeiten, wie in der Stadtverordnetenversammlung berichtet wird. Öffentliche Maßnahmen zur Prävention hält der Oberbürgermeister für ebenso wenig erfolgversprechend wie eine Schließung der Schulen. Für eine wirksame Prophylaxe aber müsste das gesamte öffentlichen Leben stillgelegt werden.