Wie Cannabis, nur legal: Das versprechen Verkäufer des Stoffes HHC, der sogar im Kiosk verkauft wird. Das sagen Suchtberater aus Rhein-Sieg.
„Nachfrage ist da“Deswegen ist der „legale Cannabis-Rausch“ der Kioskdroge HHC gefährlich
Die Verpackungen sind bunt, die Schriftzüge darauf nicht selten in Graffiti-Optik. In unterschiedlichsten Aromen wie „Blueberry Kush“ oder „Super Lemon Haze“, die nach Blaubeere oder Zitrone schmecken sollen, gibt es in diversen Kiosken in der Region Dampfsticks zu kaufen. Sie enthalten den Wirkstoff Hexahydrocannabinol (HHC), eine chemische Verbindung, die in der Hanfpflanze vorkommt. Kostenpunkt: Etwa 40 Euro pro Dampfer.
Aktuell fallen der Verkauf und der Konsum von Produkten mit HHC in eine Nische des Betäubungsmittelgesetzes. Es ist durchaus möglich, dass der Gesetzgeber nachträglich reagiert und die Substanz vom Markt nimmt. Damit rechnet auch der Mitarbeiter eines Siegburger Kiosks, der die Verpackungen hinter der Kiosktheke platziert hat – eingebettet zwischen Zigaretten und Schokoriegeln. Derzeit gebe es keine Einschränkungen, deshalb habe er das Produkt ins Sortiment aufgenommen. „Die Nachfrage ist da.“
Corona, Krieg: HHC kommt aus Sicht von Suchtberatern zur „Unzeit“
„Zur Unzeit“, kommt die Verbreitung von HHC aus Sicht von Anna Clasen, Leiterin der Caritas-Suchtberatungsstellen im Kreis. Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine hätten dafür gesorgt, dass sie mehr und mehr Jugendliche mit sozialen Phobien und Angstzuständen erlebe, sagt Clasen. „Viele Jugendliche haben massive Ängste – gerade deshalb greifen viele zu Substanzen, die angstlösend wirken.“ Sich selbst ein wenig in Watte zu packen scheine erstrebenswert in einer Welt, in der man viel mit Ängsten zu tun hat. „Hersteller solcher Produkte wissen, wie sie den Markt bedienen müssen und zu welchem Zeitpunkt es sich lohnt“, sagt die Suchtberaterin.
Noch, so Clasen, sei HHC kein Thema in den Beratungsstellen der Caritas. „Das kann sich in den nächsten Monaten aber durchaus ändern.“ Der Umgang mit den sich häufenden Krisen und ihren Auswirkungen auf das Suchtverhalten von Kindern und Jugendlichen, es beschäftigt Anna Clasen mehr als eine mögliche Verbotsdebatte. Derzeit häuften sich Anfragen von Jugendzentren im Kreis, die sich mit komplexen Situationen konfrontiert sehen. „Junge Menschen greifen derzeit vermehrt zu krassen Sachen“, berichtet Clasen.
Nur 0,9 geförderte Stellen für Präventionsarbeit im Rhein-Sieg-Kreis
Nachdem in Zeiten der Pandemie weniger hingeschaut werden konnte, sei der Austausch mit Lehrern, Schulsozialarbeitern, Eltern und natürlich den Jugendlichen nun umso wichtiger. Dafür – so die Suchtberaterin – brauche es im Kreis mehr Mittel für Präventionsarbeit. „Warum sollten wir erst abwarten, bis sowas wie HHC bei uns zum Thema wird?“
Einen Ausbau der Präventionsarbeit in der Region wünscht sich auch Jürgen Graff, Leiter der Suchthilfe der Diakonie im Kirchenkreis An Sieg und Rhein. Zwar müsse sich der Rhein-Sieg-Kreis sicher nicht verstecken, 0,9 vom Kreis geförderte Stellen seien aber „deutlich zu wenig“. Noch, so Graff, sei HHC auch in den Beratungsstellen der Diakonie nicht angekommen.
Bei „Spice“, das aus synthetischen Cannabinoiden besteht, „haben wir aber erlebt, wie problematisch Substanzen werden können, die in der Konzeption und Herstellung schneller als der Gesetzgeber sind“, sagt der Suchtberater. Auch „Spice“ kam vor einigen Jahren zunächst legal in Umlauf – und wurde schließlich verboten. Zuletzt landete die Substanz im vergangenen Jahr in den Schlagzeilen, als drei Jugendliche in Duisburg nach dem Konsum im Krankenhaus behandelt werden mussten.
Eltern und Jugendliche sollen mit Fragen zur Suchtberatung kommen
Auch wenn HHC nicht synthetisch hergestellt wird, fordert Jürgen Graff die staatlichen Institutionen zum Handeln auf: „Wenn hier in der Region eine Gaststätte aufmacht, wird vorher eine Prüfung durchgeführt. Im Kiosk steht aber HHC. Regulierungsbehörden müssen so etwas besser im Blick haben. Wir wünschen uns einen besseren Schutz der Menschen“, sagt der Suchtberater.
Wie Anna Clasen stellt auch er fest, dass Jugendliche nach der Corona-Pandemie besondere Bedürftigkeiten zeigen. „Wenn die Seele in Not ist, beschleunigt das den Weg zum Konsum“, sagt er. Graff und sein Team bei der Diakonie rufen Eltern und Jugendliche dazu auf, „mit jeder Frage zu uns zu kommen.“ Und auch der Austausch mit den Schulen sei in diesen Zeiten besonders wichtig, um Achtsamkeit zu schaffen. „Denn Kinder und Jugendliche sollen stark und widerstandsfähig heranwachsen.“
Im Labor hergestellt
Bisher waren vor allem zwei Wirkstoffe der Cannabispflanze bekannt: das berauschende Tetrahydrocannabinol (THC) und das inzwischen legale Cannabidiol (CBD), dem eine beruhigende Wirkung zugeschrieben wird. Nun gibt es einen neuen Trend. Unter anderem in Kiosken werden Öle und E-Zigaretten-Liquids angeboten, die das Cannabinoid HHC enthalten. Anders als CBD und genau wie THC soll HHC den Konsumenten „high“ machen. Das Cannabinoid kommt in geringen Mengen auch auf natürliche Weise in Cannabispflanzen vor.
Im Handel erhältliches HHC wurde aber in der Regel im Labor hergestellt. Obwohl es eine rauschhafte Wirkung entfaltet, ist HHC in Deutschland legal – oder zumindest nicht verboten. Das wäre es erst dann der Fall, wenn der Gesetzgeber den Wirkstoff in das Betäubungsmittelgesetz aufnimmt. (cfs)