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Ein Radar fürs AutoNeue Technik aus Rhein-Sieg soll Fußgänger schützen

Lesezeit 4 Minuten
Fraunhofer Radar

Am Fraunhofer FHR ist der Radarsensor entwickelt worden.

Sankt Augustin – Ein Ball rollt auf die Straße zu. Ein Klassiker, bei dem jeder geschulte Autofahrer sofort an ein Kind denkt, das blindlings dem rollenden Spielzeug folgt. Erscheint das Kind im Sichtfeld, kann es bereits zu spät zum Bremsen sein. Beim Fraunhofer-Institut in Wachtberg hat das Radar-Team von Dr.-Ing. Reinhold Herschel eine Technik entwickelt, die sogar viel komplexere Gefahrensituationen am Rande der Straße ultraschnell erfasst: Etwa in einem Getümmel aus Fahrgästen an einer Bus- oder U-Bahnhaltestelle – oder in einem Pulk von Wartenden an einer Verkehrsampel. „Horis“ heißt dieses Fußgängerschutzradar. Es könnte in Zukunft an Ampelmasten oder Haltestellen installiert werden und Warnungen an Autos funken.

Reaktionszeit kann verringert werden

Bei menschlichen Fahrern kann das in Wachtberg mitentwickelte System durch ein frühzeitiges Signal die Reaktionszeit erheblich verkleinern. Bei selbstfahrenden Autos ist eine Technik zur Wahrnehmung des Geschehens in der Umgebung ohnehin notwendig, um überhaupt eine Reaktion folgen lassen zu können. Denn Computer haben keine Augen und schon gar keinen „siebten Sinn“.

„Es geht um Millisekunden“, sagt Herschel. Das Fraunhofer-Team hat bereits bewiesen, dass sein Radarkonstrukt in nur 22 Millisekunden einen losgehenden Fußgänger erkennen kann, während ein herkömmliches Verkehrsradar 862 Millisekunden benötigt – also fast 40 Mal so lange. „Das ist der Unterschied zwischen Leben und Tod“, stellt Herschel nüchtern fest.

Dass die bisherigen Radarsysteme so langsam seien, liege allein an deren Zuschnitt auf ganz andere Aufgaben. „Deren Schnittstellen sind entwickelt worden, um Fahrzeugen zu folgen, etwa auf verschiedenen Spuren einer Autobahn“, so Herschel. Die mit den herkömmlichen Systemen verschaltete Künstliche Intelligenz sei aber mit so vielen Abfragen und Auswertungen beschäftigt, dass das Ergebnis ab dem Zeitpunkt der Messung zu lange auf sich warten lasse. „Messdaten sind so viele da, dass sicher etwas Brauchbares dabei ist. Der Heuhaufen ist aber auch ganz schön groß“, sagt Herschel. Das Problem ist also die Datenmenge.

Bewegung statt Position sind ausschlaggebend

Der entscheidende Zeitgewinn der Wachtberger Forscher: Sie schauen nicht auf die Position einer Person, sondern auf deren Bewegung – und zwar ausschließlich. Andere Systeme verschenken aus dieser Sichtweise wertvolle Zeit mit der Erfassung stehender Objekte. Im Vergleich mit Daten von typischen, menschlichen Bewegungsabläufen können die Entwickler sogar die künftige Position einer Person voraussagen und aus den möglichen Bewegungsmustern heraus verschiedene Individuen erkennen.

Zwar kostet jede Berechnung der Radardaten Zeit, aber in dieser Hinsicht lässt sich welche gewinnen, und zwar bevor eine Person einen Gefahrenbereich erreicht hat, auf den sie sich geradewegs zubewegt.

Die Kunst liegt derzeit im Ausfiltern unwichtiger Daten. Die richtige Bandbreite der Daten hilft dabei. Acht Personen lassen sich in der aktuellen Konstellation der Technik gleichzeitig verfolgen – ohne dass es die Datenmasse zu groß wird, oder Personen einander unerkennbar überlagern. Dennoch summiert sich die Menge aus bis zu 2000 Radarmessungen pro Sekunde bei der Aufzeichnung so rapide, dass an einen wochenlangen Test nicht zu denken ist. „Schon in kurzer Zeit kämen mehrere Terrabit Daten zusammen“, sagt Herschel. Darum soll der erste Test auf der Straße – voraussichtlich im Sommer in Dresden – auch nur ein paar Tage dauern.

Bis dahin haben Forscher aus verschiedenen Sparten noch einige Aufgaben in ihren Labors und in der Testhalle bei Nürnberg zu erledigen. In einer Laborhalle steht eine Bushaltestelle mit etlichen Messgeräten. Lichtschranken und einem überaus komplexen Kamerasystem zur Aufzeichnung von Bewegungsabläufen.

Aber auch in Wachtberg gehen die Forscher aus Herschels Team immer wieder vor die Bürotür, um Testmessungen durchzuführen. Sein Kollege Patrick Wallrath braucht nur das Laptop an die Radareinheit anzuschließen, die mit einer handelsüblichen Schraubzwinge an einem ganz gewöhnlichen Vermessungsstativ befestigt ist, und schon kann es los gehen. Ein Pulk von Menschen, die sich in verschiedene Richtungen bewegen, ist für die Software keine große Herausforderung, wie das Fraunhofer-Team der Rundschau auf dem eigenen Labor-Flur demonstrierte.

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„Ein Fußgänger bewegt sich eben nicht wie ein Auto einfach mit 30 oder 50 Stundenkilometer geradeaus, sondern er bewegt sich meistens auf der Stelle“, erklärte Herschel. „Darum hilft eine Geschwindigkeitsmessung erstmal gar nicht weiter.“ Es geht um den relativen Unterschied von Bewegungen zueinander. Prinzipiell lässt sich die Technik später leicht auf die Erfassung der Bewegung von Radfahrern anwenden. Die haben aber einen Bewegungsablauf als Fußgänger: „Er ist immer relativ geradlinig, zumal das Fahrrad sonst auch umkippen würde. Die Bewegung ist aber schneller und so müsste diese Bewegung anders aufgezeichnet werden“, begründet Herschel die Ausgliederung des Themas Fahrrad in ein anderes Projekt namens „Consens“. Die Radartechnik ist also noch ein stückweit vor der Alltagstauglichkeit für alle Verkehrsteilnehmer entfernt.

Herschel denkt indes bereits über die Anwendung über den Straßenverkehr hinaus nach. So könnte Radar blitzschnell eine Säge abstellen, wenn jemand in deren Gefahrenbereich gerät. Die Suche nach neuen Anwendungsideen ist gestartet.