Kurz nach dem Ausbruch des Krieges brachte Gunther Maassen die ersten Hilfsgüter in die Ukraine – mit seinem Auto. Wie aus einem spontan Impuls eine Hilfsorganisation wurde.
Ukraine-KriegWie in einem Sankt Augustiner Wohnzimmer eine Hilfsorganisation geboren wurde
Vor einem Jahr, am Morgen des 24. Februar 2022, saß Gunther Maassen entgegen seiner Gewohnheit vor dem Fernseher und schaute Nachrichten. Er sah, wie russische Panzer in die Ukraine einrückten. Am selben Tag traf sich der 60-Jährige mit seinem Freund Guido Kröger. Sie beschlossen: „Wir müssen etwas machen.“
Wenig später stand für die beiden fest: „Wir fahren hin.“ Maassen kaufte 500 Verbandskästen, sammelte bei Ärzten Verbandsmaterialien und packte seinen Sharan voll bis unters Dach. „Wir müssen den Ukrainern doch zeigen, dass Hilfe kommt“, das sei seine Motivation gewesen, erzählt er.
Maassen und ein Freund fuhren in zwei Tagen 1400 Kilometer nach Polen
In zwei Tagen fuhren die beiden Männer 1400 Kilometer nach Polen in den Grenzort Medyca, wo die ersten Flüchtlinge in einem Einkaufszentrum untergebracht waren. Maassen sah dort Menschen völlig erschöpft auf dem Boden liegen, er erlebte den unermüdlichen Einsatz der Hilfsorganisationen und Freiwilligen, die aus vielen Ländern nach Polen geeilt waren. Aber er bekam auch mit, wie Kriminelle versuchten, die Not und das Durcheinander auszunutzen. „Ich habe gesehen, wie Männer versucht haben, Kinder zu stehlen.“
Nur wenige Tage später brachte Maassen medizinische Hilfsgüter bis in eine neutrale Zone in der Ukraine, diesmal schon mit vier Autos. Einen Monat später hatte er 50 Helfer. Ein Konvoi aus zwei Lkw, einem Sprinter und etlichen Privatfahrzeugen machte sich auf den Weg. Geladen hatten sie zwölf Tonnen Hilfsgüter, vor allem medizinische. „Darauf haben wir uns etwas spezialisiert“, erklärt der Sankt Augustiner.
Das waren die Anfänge einer Hilfsorganisation, die wenige Monate später schon 80 Tonnen Hilfsgüter in die Ukraine gebracht hatte. Der ehemalige Rettungssanitäter und Unternehmer Maassen knüpfte Kontakte am Universitätsklinikum Kiew und begann zu besorgen, was dort dringend benötigt wurde, von Antibiotika über ein Ultraschallgerät bis zum OP-Tisch.
Haus in Niederpleis wurde zu einem Lager für Hilfsgüter
Sein Haus in der Marderstraße in Niederpleis war inzwischen ein Lager geworden. Fremde Menschen gingen ein und aus, packten Spenden in Kisten, stapelten sie im Wohnzimmer oder im Flur. Die Konvois wurden immer größer, schließlich fuhren sie bis ins Kriegsgebiet in den Kreis Butscha.
„Die Infrastruktur ist relativ gut, wo wir uns bewegen“, berichtet Maassen. „Die Hauptstraßen sind einigermaßen intakt.“ Straßensperren gebe es schon lange nicht mehr. Ihm ist es wichtig, die Güter selbst zum Zielort zu bringen. „Hilfe, die ankommt – das ist unser Slogan. Das kann ich nur garantieren, wenn ich auch da bin“, sagt er. Für die Spender, zu denen auch große Unternehmen gehören, dokumentiert er die Einsätze und zeigt, „dass der Holzofen bei der Oma im Hühnerstall steht, in dem sie wohnt, weil ihr Haus weggebombt wurde“.
Wie aus einer Initiative in Sankt Augustin ein Verein wurde
Er fühle sich bei seinen Fahrten ins Kriegsgebiet sicher, sagt Maassen. In der 17.000-Seelen-Stadt Dmytrivka habe er Freunde gefunden. „Dort hat seit sechs Monaten nichts mehr eingeschlagen; aber da ist eh alles kaputt.“ Die Sirenen seien in Dmytrivka abgestellt, die Menschen bekämen Warnungen über eine Handy-App. Das zehre weniger an den Nerven als der schrille Alarmton. „Wir tragen Schutzwesten und Helme“, so Maassen. „Wir sind vielleicht etwas mutiger als andere, aber nicht blöd. Wir wollen wieder nach Hause.“
Fünf Kinder hat der Unternehmer, der sich seit Kriegsbeginn gänzlich der Hilfsorganisation widmet, aus der im Juli der Verein „Sankt Agustin and Friends hilft“ wurde. Um seine Firma kümmern sich zwei seiner Kinder. Seine Pläne für den Ruhestand – mit einem Feuerwehrauto in die Mongolei zu fahren – hat er ad acta gelegt. „Da müsste ich ja durch Russland“, sagt er. „Aber ich werde nie wieder einen Fuß in dieses Land setzen.“
Vermutlich ist das auch besser so: Seit den großen Hilfseinsätzen sind ihm und seinen Mitstreitern mehrmals Reifen zerstochen worden und das „Z“ als Symbol für den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wurde auf ein Fahrzeug geschmiert. Der Staatsschutz ermittelt, und Maassen macht weiter: „Ich lasse mir von denen nicht vorschreiben, wem ich helfe.“
Von Fahrt ins Kriegsgebiet zum Jahrestag wurde Maassen abgeraten
Am Jahrestag ins Kriegsgebiet zu fahren, davon habe man ihm dort aber explizit abgeraten, berichtet er. Also geht der Tieflader mit sechs Transformatoren aus der Eifel erst am kommenden Freitag auf die Reise. Für Krankenhäuser sind sechs Beatmungsgeräte dabei. An der Grenze wartet ein Laster, in den die Güter umgeladen werden, damit der Lkw gleich wieder zurückfahren kann. „Organisieren kann ich ganz gut“, sagt Maassen.
Die nächsten Projekte warten schon: „Wir haben zwei große Busse bekommen, die bauen wir um zu Wärmestationen mit Isolation, Heizung, Solarzellen. Damit die Leute einen Treffpunkt haben, wenn der Strom ausfällt.“ Doch manchmal überkommt auch ihn ein Gefühl der Hilflosigkeit: „Wenn wir in den Krankenhäusern die Verletzten sehen, etwa in der Psychotraumatologie in Kiew.“ Zwei bis drei Millionen schwerst traumatisierter Patienten gebe es mindestens durch den Krieg. „Ihnen muss geholfen werden, aber in der Ukraine gibt es die Strukturen nicht. Dabei können wir leider nicht helfen. Wir können zwar einiges bewegen, aber nicht alles.“