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Ihre Figuren müssen leidenSankt Augustinerin ist als Thrillerautorin erfolgreich

Lesezeit 4 Minuten
Judith Merchant

Die aus Sankt Augustin stammende Autorin Judith Merchant schreibt immer in Cafés, hier im Café Cultura in Bonn-Beuel.

  1. Gibt es überhaupt ein Opfer – und falls ja, wo ist er oder sie versteckt?
  2. Judith Merchant lässt ihre Leser im neuen Roman „Atme!“ lange im Ungewissen.
  3. Vor kurzem ist die 43-Jährige in die heimische Buchhandlung in Sankt Augustin zu einer Lesung zurückgekehrt – als Autorin auf der Spiegel-Bestsellerliste.

Sankt Augustin/Bonn – „Wenn es gut läuft, ist Schreiben das Schönste auf der Welt. Wenn nicht, ist es eine Qual.“ Judith Merchant kennt beides, das Auf und Ab im kreativen Prozess ist ihr seit Studienzeiten vertraut. Um der Langeweile ihrer Doktorarbeit zu entfliehen, schrieb sie als angehende Germanistin ihre erste Kurzgeschichte.

Geheimnisse ohne Ende

„Nach drei Seiten hatte ich zwei Leichen“, sagt sie, „und so ist es geblieben“. Nicht ganz, denn im neuen Roman „Atme!“, in der Tat ein atemberaubender Psychothriller, lässt die Autorin ihre Leser lange im Ungewissen, ob es überhaupt ein Opfer gibt – und falls ja, wo es versteckt ist.

„Eine Geschichte muss ein Geheimnis haben“, davon war Judith Merchant schon als Kind überzeugt. „Ich habe lieber Spannungsliteratur als Tierbücher gelesen.“ Aufgewachsen ist sie in Sankt Augustin. „Morgens lasen meine Eltern die Zeitung, in der Mittagspause lasen sie Bücher. Was uns Herr Matheis von der Bücherstube Sankt Augustin empfahl, hatte Gewicht.“

Rückkehr als Bestsellerin

Vor kurzem ist die 43-Jährige in die heimische Buchhandlung zu einer Lesung zurückgekehrt – als Autorin, die mit ihrem neuen Buch seit vier Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste steht.

„Eine Tür stand offen, und ich bin hindurchgegangen“, umschreibt Merchant den Anfang ihrer Schriftstellerinnen-Karriere. Für ihre zweite Kurzgeschichte nämlich wurde sie 2009 unerwartet mit dem renommierten Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet (den sie zwei Jahre später noch einmal erhielt). „Bei der Preisverleihung kamen Agenten und Lektoren auf mich zu und fragten, ob ich einen Roman in der Schublade hätte. Und dann habe ich einfach ja gesagt, obwohl es nicht stimmte.“

Zum Studium nach Bonn

Die Dissertation blieb unvollendet, stattdessen kam es zum „Nibelungenmord“, der wie die nächsten drei Romane stark von Geschichte, Mythen und der romantischen Rheinlandschaft geprägt war. Letztere konnte Merchant, die damals in Königswinter lebte, direkt vor der Haustür in sich aufsaugen.

Vor fünf Jahren ist die Mutter zweier Söhne (13 und sechs Jahre) nach Bonn gezogen. Hier lehrt sie an der Universität kreatives Schreiben, wie sie auch in Workshops ihr Wissen an Nachwuchs-Schriftsteller weitergibt. Gelernt hat bei ihr etwa die Troisdorfer Autorin Nina Röttger. „Wir alle wissen nicht, wo der Baum steht, auf dem die Kreativität wächst. Der schöpferische Prozess ist für alle gleich. Das macht die Unterrichtssituation so authentisch. Vielleicht tun sich die Profis aber mit dem Überarbeiten leichter“, berichtet Merchant.

Geduld ist gefordert

Ihren Schülern empfiehlt sie, nicht an Schreibgewohnheiten zu rütteln, sobald die sich bewährt haben. „Ich arbeite zum Beispiel ausschließlich in Cafés. Hier bin ich durch nichts abgelenkt, auch nicht durchs Internet – ich habe kein Smartphone. Denn ich brauche einen absoluten Tunnelblick auf meine Figuren.“ Zuvor aber durchlebt Merchant stets eine Phase, „in der ich auf der Jagd nach Ideen bin. Ich lese, gehe kreuz und quer durch die Stadt, trinke Kaffee, schreibe ganz viel in mein großes Notizbuch. Das meiste davon wird später verworfen. Ich muss mich dem Chaos anvertrauen“, sagt die Krimi-Spezialistin.

Bis sich eine Handlung herauskristallisiert, können Monate vergehen. Drei Jahre insgesamt hat sie an dem neuen Buch gearbeitet. „Ich schreibe langsam und muss bis 12 Uhr mittags etwas zu Papier gebracht haben, sonst wird das nichts mehr“, bekennt sie. „Wenn man Spannungsautorin ist, geht es den Figuren schlecht. Die muss man als Autor lieben; egal, wie krass sie sich verhalten“, meint Merchant. Die Intuition freilich unterfüttert sie mit solidem Handwerk. Als Mitglied der Krimiautoren-Vereinigung „Syndikat“ ist sie gut vernetzt und nimmt einmal jährlich an einem Fortbildungsprogramm teil. „Wir lernen, wie man schießt, vergiftet, Schlösser knackt. Spezialisten bieten dafür Kurse an.“ Wenn ihre Heldin Nile in einem Akt der Verzweiflung eine Tür aufbricht, dann weiß Judith Merchant also genau, wie das geht, und kann sagen: „Sie macht das sehr dilettantisch.“

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Ist ein Werk abgeschlossen, „dann spüre ich eine Leere. Es ist wie nach einer Trennung. Man hat ja viel Zeit mit den Figuren verbracht“, erzählt Judith Merchant. Was diese Phase aktuell versüßt, sind die Verhandlungen mit einer Agentur, die den Thriller „Atme!“ verfilmen will. Und natürlich die Arbeit an einem neuen Buchprojekt. Über den Inhalt wird nichts verraten. Auch das ist ein Rezept aus der Autorenwerkstatt.