Vor dem Bonner Landgericht musste sich eine Sprachreisen-Agentur aus dem Rhein-Sieg-Kreis verantworten. Die Familie einer 16-Jährigen forderte Schadenersatz.
SchadenersatzklageGastschuljahr in den USA wurde zum Horrortrip

4000 Euro Entschädigung sprach das Bonner Landgericht einer Familie zu, nachdem das Gastschuljahr der Tochter wegen zahlreicher Mängel vorzeitig endete.
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Das klang nach etwas Großem, nach Freiheit, nach einem völlig anderen Leben, als die Schülerin Marie sich für ein Gastschuljahr bei einer Sprachreisen-Agentur im Rhein-Sieg-Kreis angemeldet hatte. Ihr elftes Schuljahr wollte die 16-Jährige in den USA verbringen, ihr Wunschort: die Küstenregion von Florida, auch Miami.
Aber nicht nur dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung. Marie landete zunächst in Reidsville in North Carolina, viele Kilometer vom Meer entfernt. Auch mit Gastmutter und Tochter gab es extreme Probleme, sodass Maries Eltern die Agentur nach einigen Monaten dringend um einen Standortwechsel baten. Mit der zweiten Gastfamilie in Ohio jedoch kam Marie vom Regen in die Traufe. In dem vermüllten Anwesen hielt sie es nur einen Tag aus und flehte ihre Eltern an, sie vorzeitig nach Hause zu holen. Die Eltern buchten sofort einen Flieger.
Schülerin wurde in der Besenkammer untergebracht
Nach diesem Desaster hat Maries Vater die international vernetzte Agentur für Sprach- und Studienreisen vor dem Bonner Landgericht auf 15.717 Euro Schadensersatz sowie Schmerzensgeld verklagt. Neben der nicht in Anspruch genommene Gastschulzeit von 190 Tagen (6753,31 Euro), dem Minderwert der 107 Tage vor Ort (3233 Euro), die Inlandsflugkosten von North Carolina ins 400 Meilen entfernte Ohio (582 Euro), Ausfall des Schuldgeldes (1575 Euro) sowie Auslandskrankenversicherung (556 Euro) hat der Vater zudem rund 3000 Euro Schmerzensgeld für entgangene Urlaubsfreuden gefordert. Seine Tochter sei mit den mangelhaften Leistungen vor Ort und den desolaten Familiensituationen, in die sie unverschuldet gerutscht sei, völlig überfordert gewesen.
Bei der ersten Gastfamilie in Reidsville, so der Kläger, hing der Hausfrieden schief: Die Tochter des Hauses hatte sich just einer Geschlechtsanpassung unterzogen, weswegen Mutter und Tochter sich nächtelang gestritten hätten. Marie hatte sich zunächst damit abgefunden, da sie ein schönes Zimmer bewohnte und sie sich mit dem Hund des Hauses angefreundet hatte.
Die Situation eskalierte jedoch, als die Mutter sich einer Magenverkleinerung unterzogen und 16 Tage im Krankenhaus lag: In dieser Zeit wurde Marie Zeugin von dreisten Diebstählen der Tochter, von der sie zudem regelmäßig beschimpft wurde. Von da an wurde die Agentur aufgefordert, eine Alternative für Marie zu suchen. Das lange vergebliche Suchen der Vermittler beendete der Vater wiederholt mit Fristsetzungen, bis eine Familie in Ohio gefunden wurde.
Gleich nach der Landung bereits erzählte ihr die neue Gastmutter, dass ihre Tochter gewalttätig und deswegen ausgezogen sei. Es sei nicht ausgeschlossen, warnte sie die Gasttochter, dass sie jederzeit wieder auftauchen könne. Der Horror aber waren die hygienischen Zustände, das ländliche Anwesen ein Gerümpellager, die Wohnzimmermöbel von Tieren (Hunde, Gänse, Katzen) verkotet - und Marie selbst sollte sich in einer Besenkammer ohne Licht und Schrank aufhalten. Die Schülerin, deren Nerven bereits blank lagen, zog die Reißleine: „Ich möchte nicht mehr.“
Bonner Richter halten Forderung für überzogen
Die Agentur verteidigte sich mit dem Argument, bei den Aufenthalten gehe es ja auch immer darum, „andere soziale Verhältnisse“ kennenzulernen. Schließlich habe man versucht, alle Hebel in Bewegung zu setzen, als die Situation eskaliert sei. Die Schlusskatastrophe in Ohio sei auch darin begründet, dass Marie ja ad hoc angereist und die Familie für einen ordentlichen Empfang nicht vorbereitet gewesen sei.
Trotz aller Sympathie für die „Überforderungssituation für eine 16-Jährige“ hielt die 1. Zivilkammer die Forderung des Klägers für überzogen. Zum einen gebe es in der Rechtssprechung bei einem Gastschüleraufenthalt keinen Anspruch wegen entgangener Urlaubsfreuden, entsprechend auch kein Schmerzensgeld, hieß es im Gütetermin. Auch seien die ersten Monate des USA-Aufenthalts, trotz der schwierigen Familiensituation, durchaus erfreulich gewesen. Schließlich sei fraglich, ob die Reise einseitig hätte abgebrochen werden dürfen, gab die Kammer zu bedenken.
Dennoch sahen die Zivilrichter gute Gründe, dass es für das gescheiterte „Gastspiel“ wenigstens eine Entschädigung gibt. Der Vergleichsvorschlag der Kammer, dass die Agentur der Familie 4000 Euro zahlt, wurde am Ende angenommen, auch wenn Maries klagender Vater über die Höhe „nicht ganz glücklich“ war, aber das Prozessrisiko schien zu hoch. Die Geschäftsführerin der Studien-Agentur schien mit dem Kompromiss umso zufriedener.