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Finale in SiegburgJan Cönig gewinnt den Poetry-Slam „Mutanfall“

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Das Publikum in der Rhein-Sieg-Halle bildete die Jury.

Siegburg – „Respect the poet“. Keinen Zweifel ließ Moderator Mario el Toro an der wohl wichtigsten Spielregel beim großen Poetry Slam-Jahresfinale in der Rhein-Sieg-Halle. Denn für Buh-Rufe oder Pöbeleien aus dem Publikum ist generell beim literarischen Wettstreit junger Dichter und Dichterinnen kein Platz. In Siegburg sollte sich das am Samstagabend bestätigen. Stattdessen wurde geklatscht in verschiedenen Lautstärken auf einer Skala von eins bis zehn.

Davon und von ihren Stimmkarten machten die Gäste auf voll besetzten Stuhlreihen rege Gebrauch. Neun Nachwuchspoeten hatten sich aus den vier Vorrungen im vergangenen Jahr im Siegburger Stadtmuseum in der Reihe „Mutanfälle“ qualifiziert. In jeweils sechs Minuten trugen die Slammer ihre Textkunst vor, gefragt waren ausschließlich selbst geschriebene Verse. Auf Art und Inhalt des Beitrages kam es an, aber auch auf Körpersprache und Gesamteindruck, Instrumente sind tabu.

1000-köpfige Jury

Den Stimmzettel hochhalten oder nicht, vor dieser Aufgabe standen beim Jahresfinale alle rund 1000 Juroren im Saal. Für Kay Formalczyk war das Hauptkriterium klar definiert. „Wer mich berührt und das Vorgetragene meiner momentanen Gefühlslage entspricht, bekommt meine Stimme“, erklärte der 53-Jährige. Formalczyk ist glühender Fan von Slammer Johannes Floehr, kaufte das Buch des Krefelders.

„Richtig schwer ist das“, erklärte Juror Ralf Dettinger (48). Bei Dreien stimmte er mit, letztendlich kam es dem Hennefer auf die Haltungen der Künstler an, „was dahintersteht“. Die einen wollten mehr unterhalten, andere eher etwas Gesellschaftskritisches rüberbringen. Slammerin Patricia Staudt etwa gefiel ihm gut, ihr Auftritt berührte ihn. Die 19-Jährige aus Troisdorf stand im vergangenen Jahr erstmals auf der Bühne und hatte seither bereits zehn Auftritte landesweit, darunter die NRW-Poetry Slam-U20-Meisterschaft in Essen.

 Cornelia Fank (53) hob ihr Kärtchen nach Bauchgefühl.

Sexueller Missbrauch, Drogen, Einsamkeit und Ausgrenzung – mucksmäuschenstill war es in der Halle, als die Studentin „das Märchen vom Gutenachtkuss“ vortrug, ohne Manuskript über Facetten von Gewalt sprach, die tausendfach wohl Gänsehaut erzeugten. Mehr als 600 Punkte schließlich verhalfen zum dritten Platz in der Vorrunde.

Im Halbfinale unterlag die junge Frau der amtierenden Vizemeisterin im deutschsprachigen U20-Slam, Victoria Helene Bergemann, sowie dem Koblenzer und Trierer Stadtmeister und Gewinner zahlreicher Poesiepreise , Jan Cönig. Dem Frankfurter gehörten an diesem Abend in Siegburg die meisten Stimmen; Cönig durfte die Trophäe – ein großes geschnitztes „C“ – als Sieger des Wettbewerbs nach Hause tragen.

Sie lobten die freie Rede: Eva Steeger (27)  und Chantal Berzbach (25).

Tiefgründig, das war ebenfalls der Text von Ella Anschein. Dem Leben ein wenig Wahrhaftigkeit verpassen will die U20-Meisterin in NRW und sprach über das Erwachsen werden, kritisierte eine Jugend, die es sich bequem macht, anpasst und „sauber geworden ist.“ Die Jury honorierte ihre Textkunst zwar mit 401 Punkten, doch für den Einzug ins Halbfinale reichte das der Siegburgerin nicht.

„Alle sollen ihre Chance haben“, sagte Tina Hamann über die Newcomer. Doch insgesamt enttäuschend empfand sie alle neun Vorträge, keiner davon hatte die 58-Jährige aus Lohmar überzeugt.

Carla Kuttenkeuler dagegen fand Lustiges und Interessantes, „ein breites Spektrum, das einen Sinn hat und mich anspricht“. Sie fühlte sich von tiefgründigen Texten überzeugt, aber auch Humorvolles kam bei der 17-jährigen Henneferin gut an. „Gar nicht lange nachdenken“, beschrieb Jurorin Sonja Hensel (47) ihr Stimmverhalten, „ein Herz für Außenseiter haben.“

Freie Rede wurde honoriert

Die 47-Jährige entschied intuitiv, versucht es mit Spontaneität. Ihre persönlichen Kriterien hatte die Henneferin dennoch im Blick. „Es ist einfacher, einen lustigen Text zu dichten, als schwierige Themen in Reimform zu gießen. Den Mut zum ernsten Thema sollte man schon honorieren.“

Die Performance fand Siri Grischke (45) wichtig.

Siri Grischke honorierte vor allem die freie Rede, Performance und Verständlichkeit. „Wer aufgeregt ist, redet schneller, und das geht auf Kosten der Verständlichkeit. Das Publikum ist dann abgehängt, obwohl die Inhalte gut sind“, so die Siegburgerin. Den Sympathiefaktor hatten Eva Steeger (27) und Chantal Berzbach (25) für sich ausgemacht, außerdem die freie Rede ohne Spickzettel: „Die ganze Performance eines souveränen Auftritts. Es kommt ganz darauf an, wie jemand insgesamt rüberkommt.“