Die Zeit der SolidaritätSchauspielschule Siegburg sieht Coronakrise als Chance
Siegburg – „Es steht schlecht um uns.“ So beginnt der eindringliche Appell, den René Böttcher und Maike Mielewski, die künstlerischen Leiter der Studiobühne, an Publikum und potenzielle Unterstützer richten. Denn bis auf weiteres sind das Theater, die Schauspielschule und das Theater Tollhaus für Kinder geschlossen.
„Bis auf weiteres“ beschreibt einen Zustand, der für die Siegburger Institution schlicht unerträglich ist, es geht um die Existenz. „Alle Strukturen, die wir mühevoll in den letzten 16 Jahren aufgebaut haben und die bei laufendem Betrieb auf sicheren Füßen stehen, drohen in nur wenigen Wochen in sich zusammenbrechen“, warnen die beiden, „wir leben nicht nur für das, was wir tun, wir leben auch von dem, was wir tun“ – auch 13 Honorarkräfte, Techniker, Verwaltung und Putzkräfte.
Kein Nachholen möglich
Das einstweilige Aus führe in den kommenden vier Wochen zu einem Verlust von 15 000 Euro, ab dem kommenden Monat von 31 000 Euro. Mit fehlenden Projektfördermitteln seien es bis zum Sommer mehr als 100 000 Euro, die fehlen. Böttcher und Mielewski bitten um Unterstützung, durch den Beitritt zum Förderverein, den Kauf von Gutscheinen, Spenden oder die Werbung von Mäzenen. Ausgefallene Spieltermine oder Kurse nachzuholen sei nicht möglich, „weil der Tag nur 24 Stunden hat“.
Im Gespräch zeigt sich aber auch, dass Böttcher jetzt keinesfalls die Flinte ins Korn wirft. „In der Krise gibt es auch Dinge, die positiv sind“, sagt er, und dazu zählt für ihn vor allem das bedingungslose Grundeinkommen, das wieder verstärkt diskutiert wird und das er auch schon im Theater thematisiert hat. Gerade in der Kulturszene könne es sehr hilfreich sein. „Künstler leben von der Hand in den Mund und von einem Monat auf den anderen.“ Gerade jetzt müssten Bund und Land Einkommensverluste übernehmen. Kredite seien keine Lösung, da die Gewinne fehlten, um sie zurückzuzahlen.
Böttcher ist überzeugt, dass das bedingungslose Grundeinkommen ungeheure Potenziale freisetzen könnte, nicht nur in der Kultur, sondern allgemein in der Wirtschaft. „So aber schrammt das kapitalistische System weit an seinen Möglichkeiten vorbei.“
Auch Schauspielschule geschlossen
Er hebt hervor, dass nicht nur das Theater geschlossen ist, sondern auch die Schauspielschule. Doch wie andere Lehrer auch hält Böttcher den Kontakt zu seinen Eleven über eine Internetplattform aufrecht: „Jeder schreibt jetzt eine Inszenierung“, lautet die Vorgabe, nach der die Schüler das Leben in Zeiten von Corona aufgreifen sollen.
Gegründet vor 22 Jahren
Wolf Bongôrt von Roy gründete die Studiobühne 1998, die Premiere war Bertolt Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti“. 2004 übernahm der gemeinnützige Verein „Theaterschatz“ das Theater, René Böttcher und Maike Mielewski die Leitung, nachdem von Roy im Jahr 2001 eine Schauspielschule in Leipzig gegründet hatte.
Mehr als 100 Vorstellungen werden pro Jahr geboten, wobei das Theater rund 80 Besuchern Platz bietet. Es ist Lehrbühne der privaten Schauspielschule Siegburg. 2004 kam das Theater Tollhaus hinzu, für mehr als 70 Kinder und Jugendliche.
Für die Finanzierung sind Eintrittsgelder, Spenden, Projektförderungen und die Unterstützung durch den Förderverein unerlässlich. Die Stadt Siegburg stellt die Räume in einem für die Bauhaus-Ära typischen Gebäude unentgeltlich zur Verfügung.
Seit 2013 gibt es einen „Preis der Verantwortung“: An der Theaterkasse kann freiwillig ein um 50 Prozent erhöhter Eintrittspreis gezahlt werden, der dann Empfängern von Arbeitslosengeld II kostenlosen Eintritt ermöglicht. 2013 wurden künstlerische und administrative Leitung getrennt. Geschäftsführer sind heute Claudio Lemaire (Personal/Finanzen) und Claudia Böttcher (Kommunikation/Vertrieb). (ah)
www.theaterseite.de
„Diese Zeit wird etwas Besonders, und sie ist es auch schon“, ist Böttcher überzeugt. Der gebürtige Dresdner vergleicht die Corona-Krise bereits jetzt mit dem Mauerfall 1989, den er als Wendepunkt in seinem Leben sieht, und mit dem 11. September 2001. Vergleichbares erlebe man nicht oft in einem Leben, und das zeige sich in der ganzen Gesellschaft. „Wir alle haben ein gemeinsames Thema. Man fühlt sich mit jedem verbunden.“ Zuvor hab es nur „Stress und Gewinnmaximierung“ als gemeinsamen Nenner gegeben, jetzt sehe er Solidarität und Gemeinsinn. Gut habe ihm auch die Ansprache der Bundeskanzlerin vom Mittwoch gefallen, geordnet, strukturiert, vernünftig und empathisch sei diese gewesen. „Ich werde ein Liebhaber des Unaufgeregten.“
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Als Poetry Slam, Rap, durch Interviews mit Freunden und Bekannten könnten die Schüler den Puls der Zeit fühlen. Die Ergebnisse sollen nach der Krise sofort auf die Bühne gebracht, einzeln oder mit anderen zusammen. Das Ergebnis könne ein Kabarett sein, eine Revue oder etwas ganz anderes. Böttcher: „Ich bin schon jetzt sehr darauf gespannt.“