Kündtgen Meurer war die erste in Siegburg verurteilte „Hexe“. Wer war sie, und was erlebte sie bis zu ihrem Tod?
Hexenprozesse in SiegburgWegen des Streits um ein Brot wurde sie als Hexe verbrannt
Einmal der Hexerei beschuldigt, hatten sie bereits den Scheiterhaufen vor Augen. In Siegburg traf das 32 Frauen und fünf Männer, in nur zwei Jahren zwischen 1636 und 1638. Im Keller des heutigen Stadtmuseums in Siegburg wurden sie tagelang unter heftiger Folter befragt, angeleitet durch den berüchtigten „Hexenkommissar“ Franz Buirmann.
Ein beklemmendes Gefühl sei es, im Keller des Stadtmuseums zu stehen, sagt die stellvertretende Leiterin Stefanie Kemp: „Das sind ja keine Geschichten, sondern echte Schicksale von echten Menschen. Sie waren in einer Lage, aus der es kein Entkommen gab.“ Etwa 40.000 Menschen fielen den Hexenverfolgungen allein im heutigen Deutschland zum Opfer.
Kündtgen Meurers Schicksal begann mit einem Streit um ein Brot
Alles begann in dieser Region mit Kündtgen Meurer, der ersten Frau, die in Siegburg am 16. September 1636 als Hexe verurteilt wurde. Die Akten des Prozesses gegen sie sind dem Siegburger Stadtmuseum nicht mehr im Original, dafür aber in einer Abschrift von 1831 vollständig erhalten. Der Geschichtsschreiber Wilhelm Koltzem hält fest, was Kündtgen Meurer während brutaler Folter von sich gab und zeigt, wie sie in ihr Geständnis getrieben wurde.
Als Kind von Leinenwebern in Hennef-Geistingen geboren, heiratete sie den Siegburger Peter Meurer, der ebenfalls im Tuchmachergewerbe arbeitete. Das Paar hatte zwei Töchter, eine davon war zum Zeitpunkt des Prozesses bereits an der Pest gestorben. Sie wisse nicht, wie alt sie sei, sagt Kündtgen Meurer in der Befragung.
Dass das Ehepaar Meurer in schlechten finanziellen Verhältnissen lebte, geht aus einem dem Gerichtsprotokoll beigelegten Schreiben Peter Meurers während des Prozesses gegen seine Frau hervor. Er bittet darum, den Prozess fallen zu lassen, da er die „Unkosten wegen Unvermögenheit und Armuth langer nit ertragen und ausstehen kann“.
Ein einfacher Streit um ein Brot scheint der Auslöser für den Prozess gegen Kündtgen Meurer gewesen zu sein, wie aus den Akten hervorgeht. Meurer soll ihren Nachbarn Christian Lindlar des Diebstahls beschuldigt haben. In seiner Ehre angegriffen, warf dieser Meurer „Hexerei“ vor und zeigte sie an.
Ein Nachbar beschuldigte sie, ihn impotent gehext zu haben
Lindlar beschuldigt sie, ihm unter anderem „seine Mänlichkeit benohmen“, ihm also Impotenz angehext zu haben. Außerdem sei er den „Kreften seines gantzen Leibes“ beraubt worden. Der damalige Siegburger Bürgermeister Wilhelm Kortenbach pflichtete Lindlar kurz darauf bei, Kündtgen Meurer habe auch ihm eine Krankheit angehext.
Wenige Tage nach seinen Anschuldigungen starb Christian Lindlar, hält das Protokoll fest. Dies könnte die Vorwürfe Kündtgen Meurer gegenüber verhärtet haben. Am 20. August 1636 wurde sie verhaftet. Zusätzlich zu den angehexten Krankheiten warf man ihr vor, ihren Nachbarn eine Raupenplage aufgehalst zu haben.
Das Protokoll des Prozesses besagt, der Scharfrichter habe ein „Hexenmal“ auf Kündtgen Meurers Stirn gefunden. Wie es übliche Praxis war, habe man dann „eine lange spitz Nadel darin gestochen ohne daß verhafte einigh zeichen einiges Schmertzes von sich gegeben“. „Zeichen einiges Schmertzes“ könnte hier auch auf ein Bluten hindeuten. Dass Hexenmale nicht bluten, wurde als Beweis dafür angesehen, dass es sich um eine Hexe handele. Anschließend unterzog ein Pastor Kündtgen Meurer einem nicht näher beschriebenen Exorzismus. Dann brachte man sie zum „peinlichen Verhör“ – also zur Folter.
Der Scharfrichter hängte Meurer an den Handgelenken auf, beschwerte sie durch Gewichte an den Füßen und peitschte sie aus. Nach mehreren Stunden der Folter habe Kündtgen Meurer jedoch zunächst nichts gestanden, sondern stets „gerufen sie könte nit zauberen“. Wenige Tage später wandte der Scharfrichter einen mit Stacheln besetzten Folterstuhl an, der laut Protokoll speziell für sie fertiggestellt werden musste.
Auf dem Folterstuhl saß Kündtgen Meurer laut Prozessprotokoll etwa acht Stunden lang, während sie immer wieder darum flehte, sie stattdessen wieder an die Seile zu hängen. Vor ihr standen bis zu zehn Männer, die darauf warteten, dass sie einen der damals üblichen Tatbestände der Hexerei gestehen würde: Schadenszauber, Hexentanz, Teufelsbuhlschaft und Teufelspakt.
„Kündtgen Meurers Aussagen wirken so, als würde sie überhaupt nicht wissen, was man von ihr will“, sagt die stellvertretende Museumsleiterin Stefanie Kemp. „Sie spricht nicht über etwas Übernatürliches, sondern sagt unter schwerer Folter das, was die Männer um sie herum wahrscheinlich von ihr hören wollen.“
So beschreibt Kündtgen Meurer zunächst, ihr sei der Teufel in Gestalt eines schwarzen, sprechenden Hundes begegnet. Dann spricht sie von einem grün gekleideten, später von einem schwarz gekleideten jungen Mann. Es entsteht der Eindruck, dass sie so lange befragt wurde, bis sich ein Bild ergab, das der damals üblichen Teufelsvorstellung entsprach.
Ihr Scharfrichter wurde später selbst als Hexer verurteilt
Auch die sogenannte „Teufelsbuhlschaft“, also die Eheschließung beziehungsweise den Sex mit dem Teufel, gesteht Meurer. „Das klingt bei ihr wie die Beschreibung einer Vergewaltigung“, sagt Stefanie Kemp.
Schließlich beschreibt Meurer ihre Teilnahme an einem „Hexentanz“ in Geistingen. Dieser Tatbestand wurde genutzt, um gefolterten Personen Anschuldigungen gegen weitere Hexen und Hexer zu entlocken. „Die Hexenprozesse wurden so zu einem Schneeballsystem“, sagt Kemp.
Zeitgleich mit zwei weiteren Frauen wurde Kündtgen Meurer am 16. September 1636 durch Erhängung hingerichtet, ihr Leichnam wurde verbrannt. Auf ihre Verurteilung folgten mindestens 37 weitere Siegburgerinnen und Siegburger. Der letzte von ihnen war 1638 Meister Hansen: Kündtgen Meurers Scharfrichter.