Jüdischer FriedhofNazis trieben Liebende in den Selbstmord
- Kreisarchivarin Claudia Arndt führte Besucher zu den Grabstätten auf dem jüdischen Friedhof.
- Die Nazis trieben Liebespaar in den Freitod und selbst ihr letzter Wunsch wurde nicht erfüllt.
- Es gab einen völlig anderen Einblick in das Leben einst in Siegburg.
Siegburg – „Hier ruht mein innigst geliebtes, einziges Kind.“ Die Inschrift auf dem Grabstein, die Michael Fröhlich seiner Tochter Ilse zudachte, berührt tief, auch wenn man den historischen Kontext nicht einmal kennt.
Die 20-jährige Jüdin und ihr katholischer Geliebter Rudolf Marx wählten 1939 den Freitod, im antisemitischen Reich der Nationalsozialisten sahen sie für sich keine Zukunft. Den Vater ermordeten die Nazis nur zwei Jahre später in einem weißrussischen Waldstück.
Archivarin kennt Geschichten hinter den Grabsteinen
Kreisarchivarin Dr. Claudia Arndt kennt viele der Geschichten hinter den alten Grabsteinen auf dem jüdischen Friedhof Siegburgs. Und sie hält die Erinnerung an die Siegburger mosaischen Glaubens mit Besuchen der Ruhestätte lebendig. Rund 50 Besuchern gab sie Einblick in die jüdische Bestattungs- und Trauerkultur.
„Ein Haus der Ewigkeit“ sei der Siegburger Friedhof, es sei nicht üblich, die Gräber nach einigen Jahren abzuräumen. Auch auf Ornamente ging sie ein. So weise ein kleines Gefäß, die sogenannte Levitenkanne, auf den entsprechenden Stamm und Familiennamen hin, eine Schatulle, in die eine Münze geworfen wird, auf einen zu Lebzeiten großzügigen Wohltäter.
Eine Feuerbestattung ist nicht vorgesehen
„Eine Feuerbestattung gibt es nicht, der Körper soll unversehrt bleiben“, erläuterte Arndt, die zur Fortbildung auch schon jüdischen Religionsunterricht besuchte.
Immer wieder kam sie auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zu sprechen, als rund 350 Menschen jüdischen Glaubens in Siegburg lebten, die viele Geschäfte und vor allem Metzgereien führten.
Ruhestätte des ersten jüdischen Ratsherrn
Verwittert und halb zugewuchert, aber nicht vergessen ist etwa der Grabstein von Isaac Bürger (1791 bis 1864), der damals selbstbewusst seinen Nachnamen auswählte: Er war als erster jüdischer Ratsherr Siegburgs und als Vorsteher der Synagogengemeinde hoch angesehen. Heute ist eine Straße im Gewerbegebiet Zange nach ihm benannt.
Die Historikerin ging auch auf die Vorgeschichte jüdischen Lebens in Siegburg ein. Mit Urkunden belegbar sei, dass Juden im 13. Jahrhundert mit den Benediktiner-Mönchen auf dem Michaelsberg lebten.
Jüdische Gemeinde war wohl zu klein
Unklar sei, warum Belege im 15. Jahrhunderten verschwunden seien. Arndt geht davon aus, dass der Grund nicht in Pogromen zu sehen ist. Fest stehe wohl, dass die Gemeinde zu klein geworden sei: „Zehn jüdische Männer brauchte man aber, um einen Gottesdienst feiern zu können.“
In der frühen Neuzeit seien den Juden bekanntlich Handwerk und Landwirtschaft als Broterwerb versagt gewesen – nicht allerdings Handel und Geldwesen. Ein Aufschwung stellte sich im 19. Jahrhundert mit der rechtlichen Gleichstellung von Juden und Christen ein.
Menschen in den Selbstmord getrieben
Das Ende brachte die nationalsozialistische Gewaltherrschaft. Nazis warfen am Morgen des 10. November 1938 Fensterscheiben von Geschäften ein, schlugen und demütigten die Inhaber, steckten die Synagoge in Brand und trieben letztlich auch Ilse Fröhlich und Rudolf Marx in den Tod.
In einem Abschiedsbrief hatte sich die junge Frau sehnlichst gewünscht, zusammen mit Marx bestattet zu werden, ein Wunsch, der nicht in Erfüllung gehen sollte. Arndt zufolge wurde der Bonner auf dem Nordfriedhof beigesetzt. „Sein Reihengrab auf dem Bonner Nordfriedhof wurde nach 15 Jahren eingeebnet.“