Kriegsmoral zum GeburtstagSiegburger Schüler widmet sich Rede eines Lehrers von 1915
Siegburg – „Ja, brandet nur, ihr Wogen des Hasses, bespritzt mit schmutzigem Geifer den makellosen Hohenzollernthron“, ereiferte sich der Redner, der bereits die „Sieges- und Friedenssonne“ über dem Deutschen Reich wieder aufgehen sah.
So sah es jedenfalls Schuldirektor Dr. Heinrich Rehker, der am 26. Januar 1915 eine Rede an die Schülerinnen des städtischen Lyzeums zu Siegburg hielt. Denn es war Kaisers Geburtstag, und zur Feier forderte Rehker seine Zuhörerinnen auf, ein dreifaches Hoch auf „Se. Majestät“ auszurufen.
Von den dramatischen Wendungen der kommenden Zeit ahnte man damals nichts; „schon gar nicht zog man ernsthaft in Erwägung, der Krieg könnte mehrere Jahre dauern, viele Millionen Tote fordern und am Ende stünde dennoch eine deutsche Niederlage“, schreibt Merlin Thierbach, der die Propagandarede des Pädagogen ausgiebig dokumentiert und analysiert hat.
Wissenschaftliches Arbeiten
Der 18-Jährige besucht das städtische Gymnasium Alleestraße und damit die Nachfolgeinstitution des Lyzeums. Zur letzten Phase vor dem Abitur gehört ein Fachaufsatz, der auf das wissenschaftliche Arbeiten an einer Universität vorbereiten soll. Zwar will Merlin Thierbach nicht Geschichte, sondern Informatik studieren. Aber seine historische Facharbeit hat er so exzellent bewältigt, dass ihm die Bestnote von 15 Punkten zuerkannt wurde.
Der Siegburger hatte seine Arbeit allgemein über den Ersten Weltkrieg schreiben wollen. Im Stadtarchiv suchte er nach Material, dort gab ihm der Leiter Jan Gerull den entscheidenden Tipp zur Rede des Direktors Rehker. Und so trägt die Arbeit nun den Titel „Die Beeinflussung des Schulalltags durch den Ersten Weltkrieg in der Anfangsphase unter besonderer Berücksichtigung des Jahresberichts des städtischen Lyzeums zu Siegburg von 1914“.
Kriegsmoral stärken
Als außergewöhnlich bezeichnete es Schuldirektorin Sabine Trautwein, wie intensiv sich der Schüler ins Quellenstudium vertieft hatte. Bemerkenswert findet die Pädagogin auch die Tatsache, dass und wie ein Schuldirektor seine Schützlinge mit einer politischen Rede zu beeinflussen suchte.
Diese sollte, wie es Merlin Thierbach zeigt, die Kriegsmoral seiner Zuhörerinnen stärken. Der Enthusiasmus über den „gerechten Krieg gegen die Erzfeinde“ nämlich hatte vor allem die konservativen Teile des Bürgertums – dem Rehker angehörte – und des Adels erfasst. Dass „alle die gleiche Opferfreudigkeit“ beseelte, wie es Direktor Rehker suggerierte, davon konnte freilich keine Rede sein. In der Arbeiterschaft gab es Proteste und Sorgen. Nahrungsmittel wurden knapp.
Französich erste Fremdsprache
Päckchen mit Wollsachen – die Mädchen strickten nun Feldmützen, Schals und Strümpfe für die Soldaten –, Zigaretten und Würsten wurden nun im Unterricht gepackt und an die Front geschickt. In allen Schulräumen hingen Karten der Frontverläufe und Eroberungen. Man ließ die Schülerinnen „jeden Tag die schwarz-weiß-roten Fähnchen, dem deutschen Vormarsch folgend, tiefer ins französische Gebiet stecken“.
In der Freizeit sammelten die Jugendlichen nach Anweisung der Lehrer alte Kochtöpfe oder Besteck. Der Hausrat sollte eingeschmolzen und zu Munition oder Waffen weiterverarbeitet werden. Interessant findet es Thierbach, dass Französisch dennoch die erste und Englisch die zweite Fremdsprache blieb.
Der Direktor, der in seiner Rede von einem „erzwungenen Krieg“ gesprochen hatte, blieb in seinem Amt bis 1944. Von seinen Kollegen wurde er als „freundliche und humorvolle Person wahrgenommen“, schreibt Thierbach. Am 28. Dezember, mitten in den Weihnachtsferien, wollte er in seiner Schule nach dem Rechten sehen. Dort fiel er dem schweren Luftangriff der Alliierten auf Siegburg zum Opfer.