Kunst-Akademie im SommerNeue Kurse: Das Weglassen erfordert Mut
- Neun namhafte Künstler bieten neue Einblicke.
- Kursteilnehmer schaffen Mehrwert durch Weglassen.
- Die Angst vor dem leeren Blatt Papier hat keine Chance mehr.
Siegburg – Drei gekurvte Linien zeichnet Franziskus Wendels aufs Papier, und schon entsteht die „Idee einer Tasse“. Nach dem Frühstück gibt der Kölner Künstler seinen Kursteilnehmern gern solche Studien auf – unter dem Motto „Weniger ist mehr“. Reduktion als künstlerische Strategie vermittelt er bei der „Kunst-Akademie im Sommer“, die das Katholisch-Soziale Institut (KSI) auf dem Michaelsberg ausrichtet.
„Es erfordert Mut, Dinge wegzulassen“, meint Marlis Blatt-Homrich, die eine Partie ihres Vogelbildes ausgespart hat und dafür Lob vom Dozenten erhält. Die Koblenzerin ist zum ersten Mal beim Workshop dabei, in dem neun namhafte Künstler Kurse anbieten zu den Themen Malerei, Zeichnung, Fotografie, Raum-Installation und Schreiben.
Spontan angemeldet
Blatt-Hombrich hat im vergangenen Jahr beim Atelierfest die Arbeiten der Teilnehmer gesehen und sich spontan an Ort und Stelle angemeldet. Kein Wunder, dass der Workshop mit insgesamt 100 Teilnehmern erneut ausgebucht ist. „Es gab sogar eine Warteliste“, erklärt Kulturreferentin Renate Goretzki, die den Kreis der Dozenten sorgfältig auswählt.
„Dazu führe ich viele und lange Gespräche, denn nicht jeder gute Künstler ist auch ein begnadeter Lehrer.“ Die Chemie muss stimmen, schließlich lebt und arbeitet man fünf Tage lang auf dem Michaelsberg zusammen. Hier schätzt Judith Merchant „die spirituelle Atmosphäre“.
Keine Angst vor dem leeren Blatt Papier
Die Krimiautorin kann den Teilnehmern mit Kreativtechniken die Angst vor dem leeren weißen Blatt nehmen. Erstaunlich, wie mühelos sich der Ausschnitt einer fremden Geschichte von Zeruya Shalev oder Virginie Despentes weiterspinnen lässt.
Und sollte sich eine Schreibblockade einstellen, hilft die sängerische Lockerungsübung im Mittagschor, wo man stimmstark das Leben mit „Viva la Vida“ feiert, oder ein Gespräch der eigens für die Sommer-Akademie engagierten Coaching-Expertin.
„Wir werden hier unglaublich verwöhnt“, meint Angelika von Korff, die an einer Fotostory arbeitet; ihr schwebt „eine bedrohte Idylle mit politischem Akzent“ vor. Die 68-Jährige hat früher als Supervisorin für das KSI gearbeitet, nun freut sie sich über den Seitenwechsel.
„Ich habe zwar mein Leben lang fotografiert, aber erstmals habe ich auch genug Muße und Ruhe dafür.“ Neue Impulse erhält sie von der aus Montenegro stammenden Medien-Künstlerin Vanja Vukovic.
Motivsuche im besonderen Licht
Sie hat ihre Schülerinnen zwar auch in die Stadt geschickt, mit dem Auftrag, auf Motivsuche zur „blauen Stunde“ zu gehen. Doch wichtig ist ihr, „dass die Teilnehmer Entdeckungen machen, etwas Neues probieren.“ Dazu regten zum Auftakt Magazine und Zeitschriften an, aus denen verblüffend witzige und fantasievolle Collagen entstanden.
Dem Unerwarteten gibt auch Bildhauerin Danuta Karsten viel Raum. Frühstückstüten, Schnüre, Kordeln, Verpackungsmaterialien sollten ihre Teilnehmer mitbringen – und einen Gegenstand mit einer persönlichen Geschichte. Alice Stäglich aus dem Hunsrück hat ein verrostetes Fahrradteil aus dem Rhein bei Bingen gefischt. Sie ist selbst professionelle Künstlerin. „Aber Danuta Karsten erweitert meine Perspektive, so kann ich Neuland betreten. Das ist wunderbar.“
Spektakuläre Installationen
Eine Ahnung vermitteln im Kursraum die Fotobände, die spektakuläre Installationen von Karsten im Kirchenraum zeigen – etwa einen weißen Blütenregen aus Backoblaten 2016 in Sankt Peter in Recklinghausen.
Alice Stäglich ist gespannt, was im Kaminzimmer des KSI entstehen wird, wenn die Teilnehmer ihre eigenen Ideen für ein Gemeinschaftswerk einbringen. „Es ist ein schönes Miteinander; alle sind interessant“, sagt sie über ihre Mitstreiterinnen.
Den Blick über die eigene Staffelei hinaus empfiehlt auch Franziskus Wendels. „Lasst euch von den anderen inspirieren“, rät er. Die kreative Gemeinschaft, die Gespräche bei den Mahlzeiten und in den Pausen seien auch eine gute Medizin gegen die Einsamkeit, der jeder Künstler ausgesetzt ist. Weniger wohl ein Musiker, der das Privileg hat, in einer Jazzband zu spielen – wie Wendels. Als Saxofonist wird er beim Abschlussfest mit seiner Band auftreten.