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Blick hinter die KulissenSo läuft ein Tag an den Ständen des Siegburger Mittelaltermarktes ab

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Elena Broich hat auf dem Mittelaltermarkt bei der Schneiderin ausgeholfen.

Elena Broich hat auf dem Mittelaltermarkt bei der Schneiderin ausgeholfen.

Unsere Reporterin hat an zwei Ständen auf dem Mittelaltermarkt ausgeholfen. Was sie hinter den Kulissen erlebt hat.

„Bei Ihnen kann man wahrscheinlich nicht mit Karte zahlen?“, fragt eine Kundin am Schmuckstand. „Doch, ohne den kommen wir nicht aus, ohne den Kontakt zu Merlin“, antwortet „Meisterin“ Petra Diekmann-Veltman. Ihr Stand ist einer von vielen auf dem diesjährigen Siegburger Mittelaltermarkt, genauso wie Jens Gennings Stand für die passende Gewandung. Ein paar Stunden lang habe ich die beiden Stände begleitet – natürlich selbst im mittelalterlichen Aufzug.

Ich beginne im Gewandungsstand, wo ein wahrer Wald aus Kleidern, Röcken, Hemden und allerlei anderen mittelalterlichen Kleidungsstücken auf mich wartet. Obwohl der Blick nur auf das dämmrig-blaue Zelt der Wahrsagerin fällt, ist die Geräuschkulisse des Marktes beachtlich, wie ich im Laufe des Tages feststelle: Krakeelende Gaukler, trötende Trompeten, das Trommeln und Dudeln der Spielleute, das Glockenspiel der Kirche, Kinder, die nach dem „Gruselwusel“ suchen oder auf dem Karussell kreischen: „Schneller! Schneller!“

Wachs muss mit einer Schere aus den Gläsern gekratzt werden

Noch vor der Markteröffnung um elf Uhr gibt es am Kleiderstand einiges zu tun: Die Plane abnehmen und zusammenfalten, Kleiderpuppen nach draußen stellen. Zuerst ist es noch sehr ruhig am Stand. Anders als am Wochenende, wenn der große Trubel sofort ausbreche, erzählt die 27-jährige Anna Nitschke, die hier arbeitet. „Montag ist der schlimmste Tag, absolut tote Hose“, bestätigt auch Sarah Veltman, Tochter der Meisterin vom Schmuckstand.

Elena Broich hat auf dem Weihnachtsmarkt beim Schmuckberkauf ausgeholfen.

Elena Broich hat auf dem Weihnachtsmarkt beim Schmuckberkauf ausgeholfen.

Die Gewandungsteile an Nitschkes Stand seien alle aus reinen Materialien gefertigt, aus Wolle, Baumwolle, Leinen oder Hanf. Die Doktorandin Nitschke arbeitet seit 2018 auf dem Markt.

Während sie die ersten Kunden und Kundinnen bedient, beginne ich damit, die alten Kerzen von gestern auszutauschen. Das Wachs muss ich mit einer Schere aus den Gläsern kratzen. „Sonst hatte ich dafür ein stumpfes Messer“, erklärt Nitschke. Aber dieses Jahr seien die Sicherheitsvorkehrungen verschärft und Messer auf dem ganzen Markt verboten worden – als Folge des Messerangriffs in Solingen, vermutet Sarah Veltman.

Zwischen den Siegburger Marktleuten herrscht großer Zusammenhalt

Das starke Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Marktleuten ist für mich immer wieder spürbar: Ein Besucher des Gewandungsstandes erzählt, er würde sonst jedes Jahr am Flammlachs-Stand arbeiten. Obwohl er das dieses Jahr nicht tut, besucht er seine Bekannte Nitschke hier. „Wir sind beide Marktgeburtstagskinder“, stellen die beiden herzlich fest. Anders als Nitschke hat Diekmann-Veltman früher hauptberuflich auf verschiedenen Märkten gearbeitet. Sie und ihr Mann hätten sich für die Mittelalter-Thematik interessiert und seien früher viel mit den anderen Marktleuten unterwegs gewesen. „Und meine Tochter ist damit groß geworden.“ Diese bezeichnet sich selbst als „Marktkind“.

Elena Broich hat auf dem Mittelaltermarkt bei der Schneiderin ausgeholfen.

Elena Broich hat auf dem Mittelaltermarkt bei der Schneiderin ausgeholfen.

„Man muss seine Rolle finden“, erklärt die „Meisterin“ mir außerdem. Sie selbst, die nach Indien und Nepal fährt, um ihren Schmuck einzukaufen, lebt ihre Rolle leidenschaftlich aus: Gleich bei meiner Ankunft an ihrem Stand fällt mir der orientalische Flair auf, der hier vorherrscht. Buddha-Figürchen überall, Schalen mit Räucherstäbchen, die ihr würziges Aroma verbreiten und Diekmann-Veltmans Gewand, das mit kleinen Spiegeln und Münzen besetzt ist. „Wir sind ‚Ungläubige‘, die früher vor den Toren der Stadt bleiben mussten.“

In ihrem Schmuckstand gibt es Armbänder und –reifen, Ketten, Schmuckdöschen, Medaillons und Ringe mit vielen verschiedenen Steinen zu bewundern. Es sei wichtig, die Steine der Schmuckstücke zu kennen, betont sie. „Das braucht schon etwas Zeit.“

Sarah Veltmans betreibt die Seilerei auf dem Siegburger Mittelaltermarkt

Der Verkaufsraum des Standes ist klein und zu Beginn fühlt es sich an, als würde ich hauptsächlich im Weg stehen – obwohl meine erste und ständige Aufgabe, nach Dieben Ausschau zu halten, wirklich wichtig zu sein scheint, Diebstahl komme am Stand immer wieder vor. „Ich hasse es, das Steckerbrett aufzufüllen“, sagt Sarah Veltman – die perfekte Aufgabe für eine arglose Praktikantin!

Die winzigen Ohrstecker aus dem Vorrat mit den auf dem Brett ausgestellten Stücken abzugleichen und bei Bedarf aus ihren Tütchen heraus zu pfriemeln, ist Kleinstarbeit. Ich berechne Preise, reiche den Handspiegel an und ordne die Ringe neu. Schließlich muss mein Handgelenk für die Begutachtung eines Armreifs herhalten.

Sarah Veltmans wahre Leidenschaft ist der Schmuck aber nicht – sie betreibt die Seilerei des Marktes. Zum Abschluss meines Tages auf dem Mittelaltermarkt nimmt sie mich noch dorthin mit. „Die Reeperbahn kennst du wahrscheinlich nur aus Hamburg?“, fragt mich dort ihre Mitarbeiterin und zeigt mir das Gerät, das der Begriff ursprünglich bezeichnet. An der Reeperbahn darf ich dann noch mein eigenes Seil aus einzelnen aufgespannten Fäden zusammendrehen. Offenbar genügt ein Tag, um mich in der öffentlichen Wahrnehmung als eingefleischte Marktfrau zu qualifizieren – während ich fleißig kurble, werde ich gefragt, wo es denn hier Reibekuchen gebe.