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„Die Leute sind gewaltbereiter“Wie Türsteher in Siegburg eine Partynacht erleben

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Die Türsteher kontrollieren jeden Gast.

  1. In Siegburg wurde ein 24-Jähriger in der Disco „Klangfabrik“ durch Messerstiche tödlich verletzt.
  2. Nur wenige Tage zuvor begleitete unser Reporter die Türsteher im Siegburger „Cashbah Clubbing“ eine Nacht lang.
  3. Sie berichteten von einer gestiegenen Gewaltbereitschaft in den Diskotheken.

Siegburg – Im Treppenabgang klirrt es mit einem Mal laut – zu laut, findet Dietmar Meyn. Jemand muss eine Flasche geworfen haben. Er und sein Kollege stürmen die Treppe hinunter, aber es war doch nur ein Mitarbeiter, dem eine Flasche aus der Hand gefallen ist.

Ihr Blick gilt nun wieder dem Siegburger Marktplatz und den Menschen, die in dieser Nacht ins „Casbah Clubbing“ wollen. Ob sie rein dürfen, entscheiden allein die beiden Türsteher.

Die Pforte des Tanztempels ist ein unscheinbarer Hauseingang mit einer Tür, die meist verschlossen bleibt. Freitag- und samstagabends bilden Absperrgitter eine Gasse zu dem Kellerabgang, vor dem sich Meyn und sein Kollege, der einfach nur Nick genannt werden möchte, aufgebaut haben.

Auf einem Barhocker sitzt Kim Wolf, die die Kasse macht. Sieben Euro kostet der Eintritt zur Schlagerparty, von der man nur etwas hört, wenn jemand unten die Tür zum Treppenaufgang öffnet. Regelmäßig schallen Helene Fischer, der „Pur Hitmix“ und „Layla“ nach oben. Wolf singt manchmal stumm mit.

Meyn wirkt als Türsteher auf den ersten Blick unauffällig, er ist schlank und trägt seine Haare zum Pferdeschwanz gebunden. Nick ist kräftig gebaut und hat ein freundliches, rundes Gesicht. Er trägt ein Basecap, ein schwarzes Shirt und eine Bomberjacke, mit der er noch breiter wirkt, als er ohnehin schon ist.

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Dietmar Meyn und Kollegen scannen die Umgebung des Clubs.

Etwa 50 Menschen, junge wie Junggebliebene, füllen gegen 1 Uhr die Lücken auf der Tanzfläche. Eine Gruppe von Frauen schneit herein, Meyn winkt sie durch. „Von denen 200 Leute, und es wird eine nette Party“, sagt er. „Meine Frau ist jedes Mal froh, wenn ich heil nach Hause komme und keine Anzeige bekommen habe.“

Seit 31 Jahren stehe er an der Tür, zunächst am „Single“, dann am „Cave“ und „Steffi’s“ – Discos in Siegburg, die es längst nicht mehr gibt. Zwei junge Männer in sommerlichen Hemden erscheinen vor dem Eingang. Nick fängt sie am Eingang der Gittergasse ab und verwickelt sie in ein lockeres Gespräch, bevor er um ihre Ausweise bittet.

„Ich arbeite in der Latino Lounge“, sagt der eine und deutet auf das Lokal auf das gegenüberliegenden Seite des Marktplatzes. „Sag das doch gleich!“, ruft Nick und macht eine einladende Geste in Richtung Eingang.

„Mir ist völlig egal, wo jemand arbeitet“, erwidert er, nachdem die Jungs hinuntergegangen sind. „Mich interessiert auch nicht, was auf den Ausweisen steht. Ich schaue, wie sie reagieren, wenn ich danach frage. Das kommt immer sehr plötzlich im lockeren Gespräch, aber wenn die Stimmung kippt, lasse ich sie nicht rein.“

Türsteher ist nicht der Hauptberuf

Nick stand mit 18 Jahren zum ersten Mal vor einer Clubtür, inzwischen mehr als sein halbes Leben lang. „Ich habe mit 17 Kampfsport gemacht, und irgendwann hat mich jemand gefragt, ob ich mir das vorstellen kann. Ab da war ich Teil der Szene“, sagt er achselzuckend.

Eine Szene? „Na klar. Namen, Alter, Wohnort, Familienstand, all das fragst du einen Türsteher nicht. Du steckst mit deinem Privatleben da drin. Womöglich triffst du am nächsten Tag den Typen im Supermarkt, den du am Abend vorher nicht reingelassen hast.“

Türsteher sei nicht sein Hauptberuf, tagsüber arbeite er als leitender Angestellter. An seinem Hosenbund steckt Pfefferspray. Ein junger Mann taucht an der Kasse auf, und Meyn tut das, was Türsteher dem Klischee nach eben tun: Er lässt den Gast wegen seiner Sporthose nicht hinein.

„Sonst habe ich da unten ein Fitnessstudio“, sagt er. Der Mann, ein Stammgast, grinst ihn an. „Dann ziehe ich halt eine andere Hose an“, antwortet er und geht davon. Für gewöhnlich stehen die beiden vor Diskotheken in Bonn – dort aber nie ohne Sicherheitsweste.

Die Narbe im Arm stammt von einem Messer

„Die Leute sind gewaltbereiter als vor zehn Jahren. Und sie nehmen mehr Drogen“, sagt Nick und deutet auf eine Narbe am Arm. „Da steckte ein Messer drin.“ Seinem Partner müsse er voll und ganz vertrauen können. „Wir blicken ständig über die Schulter des anderen, ich habe quasi ein Auge im Rücken. Wir scannen die ganze Zeit die Umgebung und sind sehr aufmerksam.“

Mittlerweile ist es nach 2 Uhr. „Jetzt geht’s los“, sagt Nick und meint die Betrunkenen, die Übermüdeten, die Gereizten, die Lauten, die die Clubtür jetzt für eine Raucherpause oder den Nachhauseweg ausspuckt. Mehrmals ermahnt Nick sie mit einem grellen Pfiff oder einer strengen Ansage, Rücksicht auf die Nachbarn zu nehmen.

Doch der Sicherheitsbeauftragte kann sich auch anders Respekt verschaffen: Er beherrscht einfachste Handgriffe, mit denen er jeden, der ihn körperlich angeht, aus dem Gleichgewicht bringen kann. Ein Faustschlag an die Hüfte, und der Angreifende gibt seine Schutzhaltung auf, andere Körperstellen liegen offen.

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Dietmar Meyn macht den Job, seitdem er 18 Jahre alt ist.

Eine Hand auf seiner Brust klemmt er mit seinem Unterarm ein und dreht sie nach hinten. Selbst die Demonstrationen, bei denen Nick nicht voll durchzieht, sind schmerzhaft. Doch die Botschaft ist klar: Wer ihm blöd kommt, fängt sich eine.

Während er erklärt, ruft jemand in einer Rauchergruppe einige Meter weiter laut: „Du Idiot!“ Ein Scherz, doch Nick wirbelt herum. Fahrzeuge und Menschen, die sich dem Club nähern, mustert er schon von Weitem.

„Der Gang, das Auftreten, ob sie betrunken sind, all das gibt Hinweise darauf, ob die gleich Stress machen könnten“, meint er. „Als Türsteher bist du ein Sozialarbeiter. Alles ist lustig, locker, freundlich, aber in dem einen Moment, in dem es Stress gibt, musst du klar sein und die Situation schnell unter Kontrolle bringen.“

Die Polizei sehe Türsteher nur als Aggressor, habe kein Verständnis für ihre Lage. „Die Leute machen hier Stress, wir wehren uns, und dann verstecken sie sich hinter der Polizei. Als Türsteher bist du dem Klischee ausgesetzt, dass du dich ab 22 Uhr boxen willst.“

Diesen Eindruck wird man auch nicht ganz los, als er und Meyn Wetten abschließen, ob der Typ mit tätowiertem Gesicht, der zuvor bei ihnen abgeblitzt war, gleich nochmal auf sie zugehen würde. Nick streift sich einen Lederhandschuh über. Dass er beobachtet wird, hat der Mann nicht mal bemerkt. Als er einem Umstehenden sein Handy in die Hand drückt, zieht Nick auch den zweiten an.

Die beiden Türsteher erzählen Geschichten von gewaltbereiten Gruppen, zurückhaltender Polizei bei Massenschlägereien, von Dingen, die ihrer Sicherheit zuliebe nicht in der Zeitung stehen sollen – alles nicht in Siegburg. Und doch benutzt Nick das Wort „Gosse“, wenn er von streitlustigen Clubgästen spricht, die vor dem „Casbah Clubbing“ eine Schlägerei vom Zaun brechen wollten.

Die Musik hat von Schlagern zu gewöhnlichen Partyhits gewechselt, mancher Gast kommt mosernd die Treppe empor. Kassiererin Wolf singt nicht mehr mit, sie ist längst nach Hause gegangen, der Eintritt ist nun frei. Der junge Mann mit der Sporthose kommt in angemessener Bekleidung wieder und darf rein.

Warum sie den Job immer noch machen? „Wegen des Geldes“, antwortet Meyn, der in einer Fabrik arbeitet und Pferde züchtet. „Mir macht das selten Spaß.“ Und auch Nick räumt ein, heute andere Entscheidungen treffen zu wollen als früher.

Um kurz nach 4 Uhr schlichtet Meyn einen Streit vor der Tür, den die Gruppe, wenn man mit halbem Ohr zugehört hat, durchaus auch selbst hätte lösen können. Dann schließen er und Nick die Clubtür von innen – bis zum nächsten Partyabend.