Die Kreisarchivarin Claudia Arndt stellte am 27. Januar die Geschichten der Familie Linz, Seelig und Fröhlich vor.
Gedenktag für NS-OpferSchicksale hinter drei Siegburger Stolpersteinen – Aktionen im Rhein-Sieg-Kreis

Henriette „Yetta“ Linz (v.l.) und ihre Tochter Anneliese Linz flüchteten aus Siegburg im Jahr 1940.
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Jede der fast 100 quadratischen Messingtafeln in Siegburg verweist als Mahnmal auf die Deutsche Geschichte. Am Tag des Gedenkens für die Opfer des Nationalsozialismus (27. Januar) sprach die Kreisarchivarin Claudia Arndt bei einer Führung über die Hintergründe von drei Stolperstein-Orten in der Innenstadt. Am frühen Abend fanden mehrere Aktionen statt, wie Mahnwachen oder Reinigungen von Stolpersteinen im Rhein-Sieg-Kreis, unter anderem in Troisdorf.
Der Künstler Gunter Demnig begann 1992, Stolpersteine zu verlegen. Mit dem Projekt will er an die Menschen erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, vertrieben, deportiert, ermordet oder in den Suizid getrieben wurden, wie es die Pressestelle des Rhein-Sieg-Kreises formuliert.
Flucht nach New York: Familie Linz musste Siegburg verlassen
Familie Linz' letzter Wohnort in Siegburg liegt an der Holzgasse 21, in die Straße sind drei Stolpersteine eingelassen. Die drei jüdischen Menschen seien gezwungenermaßen nach New York emigriert, erzählte Claudia Arndt. Zunächst verließ Bernhard Linz Siegburg im Jahr 1936. Seine Mutter Henriette, geborene Hirsch, und seine Schwester Anneliese Linz folgten vier Jahre später – ungewöhnlich spät, doch ihr Bruder soll für sie gebürgt haben.

Die Kreisarchivarin Claudia Arndt stellte bei einer Führung Hintergrundgeschichten zu drei Siegburger Stolpersteinen vor.
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Bevor die Familie das Land verließ, verschlechterten sich ihre Lebensumstände: Tochter Anneliese Linz durfte nicht mehr zur Schule gehen, „wegen der damals einsetzenden rassistischen Verfolgung“, wurde sie von Claudia Arndt zitiert. Anneliese Linz arbeitete anschließend als Schneiderin in der Kölner Firma Hirsch & Cie. Doch nach den Novemberpogromen verlor sie ihren Arbeitsplatz.
Ende 1936 musste Familie Linz ihr Geschäft in Siegburg aufgeben. Der Familienvater Benjamin Linz starb im Jahr 1938. Sein Grabstein steht auf dem Siegburger Friedhof, die freigehaltene Hälfte für seine Frau Henriette Linz blieb leer.
Salomon Seelig war ein angesehener Lehrer und geschätzter Mensch
Salomon Seelig, der fast 37 Jahre an der jüdischen Schule in Siegburg unterrichtete, wurde im Alter von 74 Jahren deportiert. Von seinem letzten Wohnort, der Hochstraße 67 in Sankt Tönis, brachten die Nationalsozialisten ihn zum Lager Treblinka. Am 23. September 1942 wurden er und die anderen Häftlinge nach ihrer Ankunft ermordet.

Die Stolpersteine von Salomon und Julie Seelig
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Zwei Stolpersteine beim Synagogen-Denkmalbrunnen in Siegburg erinnern an Salomon Seelig und seine Frau Julie, geborene Vosen. Claudia Arndt zitierte in Hinblick auf das Ansehen Salomon Seeligs an der jüdischen Schule, dass er als „bedeutendste Lehrerpersönlichkeit der Schule in der gesamten Zeit ihres Bestehens“ gelte.
Anlässlich seines 50. Geburtstags im Jahr 1918 hob das Siegburger Kreisblatt das „rechtschaffende und leutselige Wesen“ Salomons hervor. Seine Art soll ihm die „Liebe und Achtung“ eingebracht haben, heißt es darin weiter.

Salomon Seelig (5. v.l.) auf einer persönlichen Aufnahme im Kreis seiner Liebsten
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Der vierfache Vater hat gemäß einem Antrag, der dem Kreisarchiv vorliegt, eine „umfangreiche Bibliothek“ mit „wertvoller jüdischer wissenschaftlicher Literatur“ hinterlassen.
Die tragische Geschichte von Ilse Fröhlich
Bei den dritten Stolpersteinen, die Claudia Arndt einordnete, standen Leben und Tod von Ilse Fröhlich im Vordergrund. Der Troisdorfer Heimathistoriker Norbert Flörken hatte ihre Geschichte recherchiert. Ilse Fröhlich wurde 1919 geboren. Ihre Mutter Hulda Isaak starb vier Tage nach der Geburt.
Im Jahr 1920 wurden sie und ihr Vater Michael Fröhlich per Urkunde als Deutsche eingebürgert. Nach der Machtergreifung sollte diese Einbürgerung rückgängig gemacht werden. Der damalige Siegburger Bürgermeister war Claudia Arndt zufolge NS-treu. Er versuchte, Michael Fröhlich als Staatsfeind darzustellen. Diese Anschuldigungen waren zwar haltlos, überschatteten aber das Leben der Familie.

Die Stolpersteine von Albert Neumann, Karoline Neumann und Ilse Fröhlich
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Ilse Fröhlich wurde im jüdischen Glauben erzogen. Später verliebte sie sich in Rudolf M., dessen Vater Jude war. Er selbst war, wie seine Mutter, katholisch und wurde 1937 zur Wehrmacht eingezogen. Aufgrund der sogenannten Nürnberger Gesetze (1935) stand die „deutsch-jüdische“ Liebesbeziehung der beiden unter Strafe. Die jungen Menschen müssen wohl keine Perspektive gesehen haben.
Im Sommer 1939 trafen sich Ilse Fröhlich und Rudolf M. in Greifswald. Das Paar fuhr mit der Eisenbahn auf die Insel Usedom. Am 13. Juni wurden am Strand von Ahlbeck ihre Leichen in einem Strandkorb gefunden.
Nach einer Rekonstruktion der Polizei soll Rudolf M. zunächst zweimal auf Ilse Fröhlich geschossen haben. Danach richtete er die Pistole gegen die eigene Schläfe. In einem Bericht von Gendarmeriemeister B. steht: „Es ist anzunehmen, dass beide freiwillig aus dem Leben scheiden wollten, weil sie umarmend im Strandkorb vorgefunden wurden.“
Am Vorabend des 12. Juni hatte Ilse Fröhlich einen Brief an ihren Vater und seine Mitarbeiterin abgeschickt, darin steht: „Lieber Vater, liebe Degen! Wenn Ihr diesen Brief bekommt, dann haben Rudi und ich uns erschossen. Trotz aller Schwierigkeiten sind wir zusammen gekommen. Ich danke Euch von ganzem, ganzem Herzen für alles [...]. Meine letzte Bitte ist nur, dass ihr Rudi und mich zusammen in ein Grab legt, wir können ja hier beerdigt werden. Ich flehe Euch an, erfüllt mir diese Bitte, damit ich wenigstens im Tode Ruhe habe. [...]“
Die Leichen des jungen Paares wurden zurück ins Rheinland gebracht. Ilse Fröhlich wurde auf dem jüdischen Friedhof in Siegburg bestattet. Rudolf M. wurde in einem Reihengrab auf dem Bonner Nordfriedhof beigesetzt.
Reinigung als Zeichen des Respekts
Das Troisdorfer Aktionsbündnis für Demokratie (Tadü) hat am Holocaust-Gedenktag Stolpersteine in der Innenstadt geputzt und poliert, die am 6. Dezember 2008 verlegt worden waren. Die Mitwirkenden wollten damit den Opfern ihren Respekt erweisen. Sie trafen sich am Elsenplatz und zogen dort, ausgestattet mit Putzutensilien, zur nahe gelegenen Frankfurter Straße 56. Dort wird mit zwei Stolpersteinen des Ehepaars Erich und Rosa Marx gedacht, das am 20. Juli von Köln nach Minsk deportiert und vier Tage später in Maly Trostinec ermordet wurde.
Weiter ging es zur Hofgartenstraße 8. Dies war der letzte selbst gewählte Wohnort des Ehepaares Alfred und Rosalie Pins. Alfred Pins war schon 1938 im KZ Dachau inhaftiert gewesen. Am 8. Juli 1942 wurde er mit seiner Frau nach Theresienstadt deportiert, am 15. Mai 1944 weiter ins Vernichtungslager Auschwitz, wo beide ermordet wurden.
Im Gehweg der Kirchstraße sind insgesamt fünf der mit je einer Messingplatte versehenen, knapp zehn mal zehn Zentimeter großen Quader eingelassen. Vor der Hausnummer 6 erinnern sie an die Familie Levy, die Eltern Samuel und Hedwig sowie Tochter Ruth Johanna. Alle drei wurden am 30. Oktober 1941 von Köln ins Ghetto Litzmannstadt gebracht, von dort am 10. Mai 1942 ins Vernichtungslager Kulmhof. Dort wurden sie ermordet. Eduard und Johanetta Sommer lebten im Haus an der Kirchstraße 11. Sie waren im selben Transport wie das Ehepaar Marx, starben am selben Tag, dem 24. Juli 1942, in Maly Trostinec.