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Prozess am AmtsgerichtSiegburger Abiturient will tausende Kinderpornos „vergessen“ haben

Lesezeit 4 Minuten
Ermittler begutachten oft tausende Fotos und Videos mit teils schlimmen Darstellungen von Kinder- und Jugendpornografie.

Die Ermittler in Deutschland werden meist nach Hinweisen aus den USA tätig, so auch im Fall des Siegburger Abiturienten. (Symbolbild)

Knapp 1900 Kinderporno-Dateien hatte ein Siegburger Abiturient auf dem Handy. Die Bilder hatte er ganz vergessen, beteuerte der 19-Jährige vor Gericht.

Im Gerichtsflur saß die Mutter mit rotgeweinten Augen, im Saal schilderte ihr Sohn mit tränenerstickter Stimme, wie es ihm mit seiner Tat gehe. Er habe, nachdem die Polizei vor der Tür stand und auf seinem Handy tausende Fotos und Videos mit Kinder- und Jugendpornografie fand, Suizidgedanken gehabt. „Es tut mir aufrichtig leid, was da passiert ist.“

Der Angeklagte habe sich in eine Telegram-Gruppe begeben, schilderte seine Strafverteidigerin, „als er mit 15,16 die eigene Sexualität entdeckte“. Wohl auf der Suche nach sexuellen Darstellungen, eine pädophile Neigung habe er nicht, er sei an Gleichaltrigen interessiert.

Siegburger Ermittler gingen Hinweis aus den USA nach

Die Bilder und Videos, die unter den Mitgliedern kursierten, seien automatisch auf seinem Handy gespeichert worden, auch als er längst nicht mehr aktiv in der Gruppe war, so die Rechtsanwältin. Der 19-Jährige gab an, diese sich gar nicht angesehen, ja im Laufe der Zeit gar vergessen zu haben.

Das wertete die Vorsitzende Richterin des Jugendschöffengerichts, Kristin Stilz, als Schutzbehauptung. „Das glauben wir Ihnen nicht.“ Es seien ja nach der Hausdurchsuchung im Juni 2022 auch Bilder auf dem Computer gefunden worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte gerade Abitur gemacht. Heute lebt er immer noch bei seinen Eltern, studiert Maschinenbau.

Auf die Spur kamen die Ermittler dem jungen Mann durch einen Hinweis aus den USA. Hier gelten andere Datenschutzbestimmungen, die Internet-Firmen suchen mit Filtern nach inkriminierten Dateien, müssen ihre Funde samt IP-Adresse und Handynummer, die zu den einzelnen Nutzern führt, an die Behörden melden. Und diese informieren das Bundeskriminalamt.

Das macht Albträume
Jugendrichterin Kristin Stilz zu den Fotos und Videos, die schwersten Kindesmissbrauch zeigen

Die Menge an Dateien wiege schwer, diese zeigten zudem Missbrauch der schlimmsten Art, sagte die Richterin. Sie blätterte in dem Sonderband, der alle Bilder auflistet. „Das macht Albträume.“ Den Schöffen, ehrenamtliche Laienrichter, seien die Abbildungen kaum zuzumuten, sie müssten nicht jeden Beweis in Augenschein nehmen.

Nach der Durchsuchung, an die er sich kaum erinnern könne, habe es mit seinen schockierten und enttäuschten Eltern ein langes Gespräch gegeben, sagte der Angeklagte mit zitternder Stimme. Ergebnis: „Wir stehen das zusammen durch.“ Die Familie wandte sich ratsuchend ans Jugendamt.

Jugendamtsvertreterin sprach sich im Siegburger Prozess für die Anwendung von Jugendstrafrecht aus

Die Vertreterin der Behörde, die in einem Jugendgerichtsverfahren zwingend gehört werden muss, sprach sich dafür aus, in diesem Fall noch Jugendstrafrecht anzuwenden. Der Abiturient war zu dem Zeitpunkt, als die Dateien bei ihm entdeckt wurden, zwar volljährig. Heranwachsende bis 21-Jahren fallen unter bestimmten Umständen nicht unter das strengere Erwachsenenstrafrecht.

Der Student führe noch kein eigenständiges Leben, so die Jugendamtsmitarbeiterin; er zahle an die Eltern keine Miete, verdient nach eigenen Angaben mit einem Minijob 150 Euro im Monat. In den Semesterferien lerne er für die Klausuren am Ende der vorlesungsfreien Zeit. Sie sprach sich für eine Geldstrafe und eine Therapieauflage aus.

Eine Vorstrafe auf dem polizeilichen Führungszeugnis kann seine Berufsaussichten einschränken
Strafverteidigerin vor dem Siegburger Jugendschöffengericht

Die Verteidigerin schlug eine Einstellung des Verfahrens für ihren nicht vorbestraften, voll geständigen Mandanten vor. „Eine Vorstrafe auf dem polizeilichen Führungszeugnis kann seine Berufsaussichten einschränken.“ Das sei angesichts der Menge an Bilder und Videos nicht möglich, sagte die Staatsanwältin. Sie plädierte für eine Geldstrafe von 900 Euro, das entspreche dem Einkommen von sechs Monaten (also 180 Tagessätzen).

Dem Angeklagten müsse geholfen werden, sagt die Richterin. Er sei aber auch deutlich und spürbar zu bestrafen. Nach derzeitigem Recht sei bereits der Besitz eines einzelnen Bildes ein Verbrechen. Und auch nach der Gesetzesreform sei dieser Fall ein gravierender. Sie folgte der Staatsanwältin und verhängte die 900-Euro-Geldstrafe.

Zusätzlich müsse der Angeklagte nachweisen, dass er sich um eine Therapie kümmert: „Sie müssen auf mindestens fünf Wartelisten stehen.“ Die Teilnahme an sechs Sitzungen sei ebenso zu belegen wie die monatliche Ratenzahlung der Geldstrafe. „Klappt das nicht, müssen Sie in Ungehorsamsarrest“, drohte Stilz. Das könne Studium und Klausuren empfindlich stören. Der Angeklagte nahm das Urteil an.

Im Jugendstrafrecht stehen, anders als bei Erwachsenen, in erster Linie erzieherische Maßnahmen im Mittelpunkt, es geht nur in zweiter Linie um eine Bestrafung. Hohe Jugendstrafen tauchen auf dem polizeilichen Führungszeugnis auf. Auf dem erweiterten Führungszeugnis, das zum Beispiel für alle Tätigkeiten mit Kindern beruflich und im Ehrenamt vorgelegt werden muss, werden auch weniger gravierende Sexualstraftaten vermerkt. Diese werden erst nach zehn Jahren gelöscht.