Vor zehn Jahren in Siegburg„Das Kloster wurde nach 947 Jahren vor die Wand gefahren“
Siegburg – Ein Gewitter lag in der Luft. Stickig war es in dem Bierzelt, in dem am 19. Juni 2011 all jene das Pontifikalamt zum Abschied der Benediktiner auf einem Bildschirm verfolgen sollten, die nicht offiziell eingeladen waren oder nicht früh genug einen Sitzplatz in der Abteikirche gefunden hatten. So auch Ulrich Herkenrath, seit der Gründung 2005 Vorsitzender der Stiftung Benediktinerabtei Michaelsberg.
„Wie ein Seraphim“ habe Bruder Linus Appel in der Tür zur Abteikirche gestanden und ihm den Eintritt zu der Messe mit Kardinal Joachim Meisner verwehrt. Angeblich aus Sicherheitsgründen, da auch der damalige Bundesumweltminister Norbert Röttgen auf der Gästeliste stand.
„Die Messe im Zelt zu verfolgen, fand ich unwürdig“, schildert der in Hennef lebende Mathematikprofessor, der die Abteikirche seit Ende der 80er Jahre als „geistliche Heimat“ sieht und besonders die gregorianischen Gesänge der Mönchsgemeinschaft liebte. Unverhofft kam er dann doch zu einem Eintrittsausweis und schaffte es just auf jene Bank, die seit 20 Jahren sein Stammplatz gewesen war. Heute gibt ihm das immer noch zu denken: „Wer immer nur Fügung sagt, sagt zu viel. Wer immer nur Zufall sagt, sagt zu wenig.“
Die Stadtarchivarin wunderte sich über das Festbuffet
Andrea Korte-Böger, ehemalige Stadtarchivarin und seit 2014 Vorsitzende des Vereins der Freunde und Förderer der Abtei (VFF), wunderte sich über das üppige Catering im Zelt und darüber, dass überhaupt ein Fest gefeiert wurde. „Das Kloster wurde nach 947 Jahren vor die Wand gefahren. Da geht man doch in Sack und Asche.“
Wenig war damals die Rede davon, warum es nach 947 Jahren der Benediktiner auf dem Michelsberg soweit kommen musste. Herkenrath, der auch Vorstandsmitglied des VFF ist, bringt die Entwicklung aus seiner Sicht auf den Punkt: Der Konvent sei nach seiner Beobachtung am Ende „zerrüttet“ und gespalten gewesen, es habe ein Generationenkonflikt zwischen jüngeren und älteren Benediktinern bestanden. „Da hat es Verletzungen gegeben.“
Zerrüttet waren offenbar auch die Finanzen der Gemeinschaft, was Herkenrath erst durch eine Art Schlüsselerlebnis klar wurde: Mit einer energetischen Sanierung stand in der Abtei eine wichtige Aufgabe an. Der VFF und die Stiftung wollten helfen, das Erzbistum aber den größten Teil der Kosten übernehmen. Doch die Vertreter der Mönche hätten die nötigen Anträge immer weiter verschleppt, wohl weil sie die Prüfung ihrer Finanzen durch das Erzbistum fürchteten.
Die Auflösung des Konvents führte auch zu Problemen bei der Altersvorsorge der Mönche. „Zu den Satzungszwecken der Stiftung gehörte im Bedarfsfall auch, die Altersversorgung der Mönche aus den Erträgen zu bezuschussen“, schildert Herkenrath. Doch die Liquidatoren der Abtei hätten anwaltlich prüfen lassen, ob die Stiftung bei Auflösung des Konvents zu liquidieren sei.
Das Geld wäre ans Erzbistum gegangen. Die gleichen Anwälte seien allerdings später zu dem Ergebnis gekommen, dass die Stiftung sehr wohl weiter existieren könne, wovon Kuratorium und Vorstand ohnehin ausgegangen seien. Zudem: „Um die Jahreswende 2010/2011 meldete die Kirchenzeitung, das Erzbistum stehe in Verhandlung mit dem Benediktinerorden, einen neuen Konvent auf dem Michaelsberg anzusiedeln“, berichtet Herkenrath.
Führende Benediktiner wollen sich nicht äußern
Doch es kam anders. Heute sind eine Gemeinschaft der Unbeschuhten Karmeliter und das Katholisch-Soziale Institut auf dem Berg. Die Stiftung fördert bis heute religiöse und karitative Projekte in Siegburg und Umgebung.
Gleichwohl sorgte sich Herkenrath damals um das Schicksal der hochbetagten Brüder Pater Mauritius und Altabt Placidus Mittler, die 2013 und 2016 starben. Altabt Placidus habe ihm aber versichert, sie seien beide vom Erzbistum gut versorgt und im Altenheim Haus zur Mühlen gut aufgehoben.
Ein Wiedersehen, eine Art Ehemaligentreffen habe es seines Wissens nach nicht mehr geben. Pater Christian Dieckmann, der zuletzt die Alltagsgeschäfte führte, und Altabt Albert Altenähr, damals Delegierter des Abtpräses in Rom, wollten sich auf Anfrage der Redaktion hin nicht zu den Geschehnissen von damals äußern.
Herkenrath kann nachvollziehen, wie hart das Ende für die Mitglieder des Konvents gewesen sein muss: „Ein Benediktiner-Mönch ist ja durch seine Profess lebenslang an einen Ort gebunden. Und dann explodiert das.“ Andrea Korte-Böger ergänzt: „Die haben ihr Zuhause verloren.“
Die Abteiexpertin ist mit vielen Publikationen tief in die Geschichte der Benediktiner eingestiegen, auch heute, im Ruhestand, forscht sie zu den vielen Heiligen, deren Reliquien in Siegburg aufbewahrt werden. Als wichtigste Hinterlassenschaft sieht sie die Schreine und Schmuckstücke in der Schatzkammer von St. Servatius, den größten Kirchenschatz aus der Zeit der Stauffer überhaupt.
Bürger stritten sich um Devotionalien wie auf dem Flohmarkt
Schaudernd denkt sie an den Tag zurück, als der Liquidator der Abtei, Bruder Linus Appel, im April 2012 eine Art Flohmarkt auf dem Michaelsberg organisierte, damit Siegburger sich Erinnerungsstücke an die Benediktiner abholen konnten. Kreuze, halb abgebrannte Altarkerzen, Bilder und Gebrauchsgegenstände rissen sich die mehr als 700 Besucher förmlich unter den Nagel, mit eigenen Augen sah sie, wie ein Erwachsener einen vielleicht zehn Jahre alten Jungen festhielt und ihm einen Rosenkranz aus der Hand reißen wollte. „Das Kind schrie dabei wie am Spieß.“
Sie selbst hatte nur zwei Ikonen für eine Bekannte abholen wollen und wurde körperlich auf dem Weg zum Auto angegangen. Als „unwürdig“ hat sie auch diesen Tag in Erinnerung: „Wie das verramscht wurde, das hat viele Siegburger verstört.“
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Gefragt, was denn der Stadt seit dem Weggang der Benediktiner fehle, denkt Korte-Böger an die Zeit, als der Abt Placidus Mittler für etwa ein Jahrzehnt in den 70er Jahren auch der Pfarrer der St.-Servatius-Gemeinde am Fuß des Bergs war und eine innige Verbindung zu den Siegburgern schuf.
Ordensschwester konstatierte spirituelles Erlöschen der Mönche
Das allerdings war ungewöhnlich. Korte-Böger geht davon aus, dass der Abt im Konvent entsprechend weniger präsent war, in dem sich später ein Generationenkonflikt entwickelte. Eine so starke Bindung der Siegburger aber zur Abtei, auch mit dem Bewusstsein: „Die Benediktiner beten für uns“, habe es bis heute nicht mehr gegeben.
Schon lange vor dem Ende der Gemeinschaft habe sie mit einer Ordensschwester gesprochen, die mit den Mönchen Exerzitien aufnehmen wollte und festgestellt habe, dass der Konvent in spiritueller Hinsicht „erloschen“ sei. Laut Herkenrath sei vor der Auflösung noch von der Ordensaufsicht festgestellt worden: „Es fehlte die Kraft, etwas Neues zu beginnen.“
Der letzte Abt blickt ohne Groll zurück
„Ein Kloster ist kein Paradies“, sagt heute Pater Raphael Bahrs, der 50. und letzte Abt der Benediktiner auf dem Michaelsberg . „Das Klima ging an die Substanz.“ Zu viele Meinungsverschiedenheiten habe es gegeben, irgendwann habe er sich eingestehen müssen: „Ich hatte keine Kraft mehr, die Abtei wirtschaftlich und spirituell zu konsolidieren. Ich musste als Abt den Weg freimachen für einen Neuanfang.“
Im Mai 2010 trat er zurück. Für alles, was bis dahin geschehen sei, übernehme er die volle Verantwortung.
Bahrs ging schon als Schüler ins Internat auf dem Michaelsberg
Dass Verleumdungen und Gerüchte über ihn verbreitet wurden, trägt er nicht nach, „ich hege keinen Groll“. Einen Schlussstrich könne er allerdings auch nicht einfach unter die Siegburger Zeit ziehen: Immerhin sei er schon als Schüler im Internat auf dem Michaelsberg gewesen und habe sich als Benediktiner lebenslang an das Kloster gebunden.
1982 begann sein Noviziat, 1990 wurde er nach dem Theologiestudium zum Priester geweiht und zum Prior ernannt. 2000 wurde er Prior-Administrator, 2003 zum Abt gewählt. „Ich habe nicht alles richtig, aber auch nicht alles falsch gemacht“, resümiert der gebürtige Duisburger.
Zu den guten Seiten hätten sicherlich die Leitung des Jugendgästehauses und gut besuchte Gottesdienste in der Abteikirche gehört und Kulturveranstaltungen, etwa mit Theateraufführungen im Hof der Abtei und dem Ensemble von Haus Birkenried.
Im Erzgebirge rief er anfangs Erstaunen hervor
Nach Zwischenstationen wurde er 2014 Pfarrer im sächsischen Stollberg/Erzgebirge. „Du gehörst in die Seelsorge“, habe ihm der damalige Bischof von Dresden-Meißen, Heiner Koch, gesagt, heute Erzbischof von Berlin. „Ich spüre deine Berufung als Mönch, aber du kannst auch im Pfarrhaus wohnen.“
Als „Einsiedler im Erzgebirge“ sehe er sich nicht, betont der 60-Jährige. Zunächst hätten sich die Stollberger gewundert, wenn er in seinem Habit durch den Ort ging, eine Frau habe ihm gar erzählt, sie kenne derart gewandete Mönche nur aus dem Film. Das hat sich offenbar geändert. Wenn er jetzt „in zivil“ im Supermarkt einkaufen gehe, werde er mitunter angesprochen: „Sie sind aber nicht richtig angezogen.“