AboAbonnieren

Pressegespräch in SiegburgWohlfahrtsverbände zahlen bei der Sozialberatung drauf

Lesezeit 4 Minuten
Zwei Männer und zwei Frauen an einem Tisch.

Pressegespräch zur Lage der Sozialberatung, von links Awo-Geschäftsführerin Barbara König, Berater Nathanael Wedler, Klient Hans-Walter Ahr und Fachbereichsleiterin Christiane Kaspari.

Die Awo und andere Träger kritisieren eine Finanzierungslücke für ihre Beratungsarbeit und fordern mehr Geld vom Kreis.

Auf eine Milliarde Euro summiert sich laut Bundesregierung der Segen, den das Bürokratieentlastungsgesetz der deutschen Wirtschaft bringen soll. Doch die Unternehmen sind nicht die einzigen, die sich weniger Papierkrieg wünschen: Viele Bürgerinnen Bürger schaffen das nur mithilfe von Fachleuten, wie sie etwa die allgemeine Sozialberatung für den Rhein-Sieg-Kreis der Arbeiterwohlfahrt anbietet. Doch dort, und auch bei anderen Trägern, sehen sich die Beraterinnen und Berater am Limit. Der Beratungsbedarf ist laut Awo sprunghaft gestiegen.

Die Arbeiterwohlfahrt Bonn/Rhein-Sieg schlägt Alarm

„Wir schlagen Alarm, weil diese Arbeit nicht mehr gut refinanziert wird“, sagte Barbara König, Geschäftsführerin der Awo Bonn/Rhein-Sieg anlässlich eines Pressegesprächs in Siegburg. Sie fürchtet, es werde im kommenden Haushalt des Rhein-Sieg-Kreises bestenfalls eine Nullrunde geben. „Das ist ein Skandal“, findet sie.

Einem Bedarf von 200.000 Euro stehe nur eine Haushaltsstelle von 115.000 Euro gegenüber, die Lücke von 85.000 Euro schließen die Träger der insgesamt sieben Beratungsstellen von Awo, Caritas, SKM, SKF, Diakonie, Evangelischer Kirchenkreis und Kurdische Gemeinschaft. „Die Probleme werden immer komplexer“, so die Geschäftsführerin, „es gibt immer mehr Bürokratie.“

Awo-Berater Nathanael Wedler schilderte, mit welchen Sorgen Klientinnen und Klienten zu ihm kommen. Es geht um die Durchsetzung von Sozialleistungen, Kommunikation mit Behörden oder gar die Not, sich nicht mehr zu Hause versorgen zu können. Unlängst habe er mit einer jungen Frau gesprochen, die sich die Unterlagen ihrer Mutter genauer angesehen hatte: Die Sozialleistungen waren anhand eines gar nicht vorhandenen Einkommens und einer zu niedrig angesetzten Miete falsch angesetzt worden.

In einer verzweifelten Situation fand sich eine Frau mit drei Kindern nach dem Tod ihres Mannes wieder. Sie sah sich einem Wust von Formalitäten gegenüber, Bürgergeld und Wohngeld musste sie beantragen, zudem lief ihr Aufenthaltstitel für Deutschland aus. „Sie kam alle zwei Wochen mit zehn bis 15 Behördenschreiben in die Beratung“, berichtete Wedler.

Hilfe bei der Beantragung der Pflegestufe für einen Demenzkranken

Am Gespräch nahm auch Rentner und Klient Hans-Walter Ahr teil, der schilderte, dass er wegen seiner Demenz sehr auf die Beratung angewiesen sei. „Da vergisst man so einiges, ich bin von Herrn Wedler immer gut beraten worden.“ Unter anderem half ihm der Berater, bei der Krankenkasse eine Pflegestufe zu beantragen, wovon der 85-Jährige, der mit seiner ebenfalls dementen Frau in einer Seniorenwohnung der Awo lebte, heute sehr profitiert.

Die zuständige Fachbereichsleiterin Christiane Kaspari sagte, sie sehe in der zunehmenden Digitalisierung nicht nur Vorteile, sondern auch Benachteiligungen für ältere Nutzer oder die Sprachbarriere für Menschen aus anderen Ländern. Einige Anwendungen könnten nur in einem Vorgang ausgefüllt werden, wobei alle Unterlagen vorliegen müssten und nicht gespeichert werden könnten.

Zwei Männer sitzen sich an einem Tisch gegenüber

Sozialberatung bei der Awo: Berater Nathanael Wedler (links) mit Klient Hans-Walter Ahr.

„Jedes Formular ist anders aufgebaut“, bemängelte sie, „die Masken sollten gleich sein, egal, bei welcher Behörde.“ Als kritisch beschrieb sie auch lange Bearbeitungszeiten wie bei Wohngeld-Plus, das gerade besonders Thema sei. Manche Klienten müssten sechs bis zwölf Monate auf eine Antwort warten. „In der Zeit laufen dann Schulden auf, die nicht beglichen werden können. Wenn das nicht in der Familie aufgefangen wird, gibt es ein großes Problem.“

Kaspari bemängelte, dass die Beratung im Rhein-Sieg-Kreis mit seinen 610.000 Einwohnern besonders schlecht aufgestellt sei. Gerade einmal zusammengerechnet 1,5 Stellen gebe es für die sieben Träger. In Bad Godesberg (76.000 Einwohner) seien es, zum Vergleich, zwei Stellen. Arbeit gebe es im Kreis für zehn bis 15 Beraterinnen und Berater in Vollzeit, schätzt die Fachbereichsleiterin. „Bonn sieht Sozialberatung als gesetzliche Verpflichtung an, der Rhein-Sieg-Kreis leider nicht.“ Barbara König argumentierte, Personal-, Büro- und Materialkosten für die Beratung müssten besser finanziert werden, um Tarifsteigerungen und Inflation auszugleichen. Die Forderung richte sich „an die gesamte Politik“.


Rundreise der Wohlfahrtspflege durch den Rhein-Sieg-Kreis

Das Pressegespräch stellte den Auftakt „einer Rundreise der Wohlfahrtspflege“ dar, mit der die Awo, die Caritas, der Paritätische, das Deutsche Rote Kreuz und die Diakonie soziale Einrichtungen und ihre Arbeit vorstellen. In der Arbeitsgemeinschaft Rhein-Sieg (AGW), zu der sich die Verbände zusammengeschlossen haben, arbeiten nach eigenen Angaben 9650 Beschäftigte. 140 Mitgliedsorganisationen stellen 350 Dienste und Einrichtungen sicher.