AboAbonnieren

Knastkulturwoche in der JVASiegburger Häftlinge produzieren ihren eigenen Film

Lesezeit 4 Minuten
15 Leute verschiedenen Alters stehen für ein Gruppenfoto zusammen.

Das Filmteam aus der JVA Siegburg gemeinsam mit Regisseurin Paula Wehmeyer, dem Kultur- und Freizeitbeauftragten der JVA Jörg Gieseking, der stellvertretenden JVA-Leiterin Daniela Siewert sowie Stephanie Assmann von der LAG Kunst und Medien NRW und Carsten Baschlewe vom Siegburger Lions Club.

Inhaftierte der JVA Siegburg haben mit der Regisseurin Paula Wehmeyer einen Film über ihr Leben gedreht.

„Ich bin heute sehr stolz auf euch.“ Die Regisseurin Paula Wehmeyer ist sichtbar gerührt. „Ich schätze, wir sind anders?! – Scheiße, ja“ heißt der Film, den sie gemeinsam mit Inhaftierten der JVA Siegburg produziert hat. Im Rahmen des Festivals „Knastkultur“ wurde er in der Siegburger Haftanstalt zum ersten Mal vor allen Beteiligten, anderen Häftlingen und einigen externen Gästen gezeigt. „Wir auch auf dich!“, ruft ein Inhaftierter aus dem Publikum. Der Raum beginnt laut zu jubeln und zu klatschen.

Zwölf Häftlinge haben gemeinsam mit Wehmeyer und Jörg Gieseking, dem Kultur- und Freizeitbeauftragten der JVA, ein halbes Jahr lang an dem Film gearbeitet. Das Team hatte sich etwa ein- bis dreimal pro Woche getroffen, streng begrenzte Zeitfenster für die Freizeit der Inhaftierten schränkten die Möglichkeiten ein.

Einblicke in das Leben im Siegburger Gefängnis

Das Ergebnis ist eine Mischung aus Interviews, in denen die Häftlinge persönliche Einblicke in ihr Leben im Gefängnis geben, und einem kreativen Part, in dem sie selbst zu Schauspielern werden. Gemeinsam haben sie sich mit filmischer Gestaltung auseinandergesetzt, ein Drehbuch geschrieben, einzelne Szenen gedreht und geschnitten. Inspiration war der Filmklassiker „Die Outsider“ von Susan E. Hinton.

Während wir an dem Film gearbeitet haben, habe ich oft vergessen, dass ich hier in Haft bin.
Durim

„Man hat einen freien Kopf bekommen, konnte viel lachen und die Sorgen und Probleme, die man hier hat, für einen Moment ausschalten. Während wir an dem Film gearbeitet haben, habe ich oft vergessen, dass ich hier in Haft bin“, erzählt der Inhaftierte Durim von der gemeinsamen Arbeit. „Ich konnte mal einen Einblick in einen Bereich bekommen, den ich schon immer interessant fand“, sagt Rene, der sich gerade in einer abschließenden Therapie am Ende seiner Haftstrafe befindet und daher nicht mehr mit den anderen aus seinem Filmteam in der JVA lebt. Heute ist er zum ersten Mal als Besucher hier. „Danke an die Jungs, ihr seid mir total ans Herz gewachsen!“

Die Gefangenen sprechen im Film über ihre Vorgeschichte und Kindheit, über Kontakt zur eigenen Familie und Selbstreflexion in Gefangenschaft. Darüber, wie es ist, Kinder zu haben und in Haft zu sein. Über Zukunftsvisionen und Verantwortung. Über Freundschaft und über den Umgang mit Gewalt.

Ihr habt Humor, ihr seid ein starkes Team geworden, und ihr seid super mutig.
Paula Wehmeyer

„Mich hat es am meisten beeindruckt, wie ihr euch in den Interviews geöffnet habt“, sagt Daniela Siewert, die stellvertretende Leiterin der JVA, im Gespräch mit den Häftlingen nach dem Film. „Am Anfang war das auch nicht so einfach“, erzählt Rene, „man musste erstmal mit der Gruppe warm werden, dann konnte man auch offen reden.“ Paula Wehmeyer spricht dem Filmteam gegenüber ihren Respekt aus: „Ihr habt Humor, ihr seid ein starkes Team geworden, und ihr seid super mutig.“

Fünf Leute sitzen auf Stühlen vor einer Leinwand, ein Mann hält ein Mikrophon, im Vordergrund sieht man eine Kamera.

Der Kultur- und Freizeitbeauftragte Jörg Gieseking interviewt nach der Filmpremiere Regisseurin Paula Wehmeyer, zwei Beteiligte des Projekts und Stephanie Assmann von der LAG Medien und Kultur NRW.

Manche der Inhaftierten teilten in den gefilmten Interviews viel Persönliches. Da ist der Vater eines Sohnes, der erzählt, wie er sein Kind nur ein paar Mal pro Woche sehen kann und trotzdem ein Vater sein will. Wie er ein selbstgemaltes Bild geschenkt bekommt, es tagelang anstarrt und sich fragt, was die Farben wohl bedeuten. Ein anderer erzählt von seinen heroinabhängigen Eltern. Davon, wie er zu gewalttätigen Pflegeeltern geschickt wurde, wie er als Teenager von zu Hause weglief und in fremden Autos schlief, bis er von der Polizei gefunden wurde.

Filmprojekt in der JVA Siegburg: Einfach kreativ sein

Andere Häftlinge arbeiten lieber hinter der Kamera. Die Autorin und Filmschaffende Paula Wehmeyer wollte allen Beteiligten die Möglichkeit geben, auf ihre bevorzugte Weise mitzuwirken. „Die Leute werden in Haft viel und oft bewertet und müssen Erfolg zeigen, und bei unserem Projekt geht es Mal gar nicht darum. Wir können einfach kreativ sein. Und das macht total Bock“, so Wehmeyer. Zur heutigen Filmpremiere sind zehn der zwölf Häftlinge da, die den Film zusammen erstellt haben. Einer wurde in eine andere Haftanstalt verlegt, ein anderer wurde abgeschoben, plötzlich und über Nacht, erzählt Wehmeyer.

Jetzt, wo wir so lange zusammen gearbeitet haben, fehlt schon echt was.
Raymond

Wenn sich die Möglichkeit ergibt, würde sie jederzeit wieder ein Filmprojekt mit den Häftlingen starten, so Wehmeyer: „Ich hab die Jungs alle echt gerne.“ Das Projekt wurde gefördert von der LAG Medien und Kultur NRW und dem Siegburger Lions Club. Vertreterinnen und Vertreter beider Einrichtungen sowie vom Justizministerium sind zur Filmpremiere in die JVA Siegburg gekommen. Im Anschluss haben die Gäste Zeit, bei Essen und Getränken mit den Häftlingen ins Gespräch zu kommen, bevor um 20 Uhr Nachteinschluss ist.

Inhaftierte berichten von den Dreharbeiten, die völlig ohne Stress untereinander abliefen

„Wir hatten echt keinen Stress während der ganzen Zeit“, sagt der Inhaftierte Raymond über die Projektarbeit, „dabei gab es zwischen den Leuten aus Haus 1 und Haus 2 schon viele Vorurteile.“ In Haus 1 der JVA wohnen Inhaftierte mit kürzeren Haftstrafen, während in Haus 2 und der sozialtherapeutischen Abteilung Häftlinge mit mehrjährigen Strafen leben. Für den Film haben Häftlinge aus beiden Häusern in einem Team gearbeitet, die sich sonst in der JVA nur selten über den Weg laufen, erzählt Raymond. Er werde die gemeinsame Filmarbeit vermissen: „Jetzt, wo wir so lange zusammen gearbeitet haben, fehlt schon echt was. Man hat sich sehr aneinander gewöhnt.“