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Nach GroßbrandBis zur Normalität ist es ein weiter Weg

Lesezeit 5 Minuten

Jörg Grabowski auf dem Hof seiner Werkstatt, die direkt gegenüber der betroffenen Straße liegt

Siegburg – Die Gaffer stören Jörg Grabowski an meisten. Am Abend kommen sie, parken ihre Autos mit den auswärtigen Kennzeichen überall in den kleinen Straßen auf dem Brückberg und gehen gucken.

Die durch den verheerenden Großbrand am 6. August zerstörten Häuser in der Straße Im Urnenfeld wollen sie sehen. Möglichst auch noch einen Blick auf die Menschen werfen, deren Besitz Opfer des Feuers geworden ist. „Mit dem Feldstecher stehen sie auf der Brücke“, erzählt Grabowski, der direkt neben der kleinen Fußgängerbrücke seinen Kfz-Service „Car Kur“ betreibt. „Wir kommen uns hier vor wie im Zoo.“

Gaffer drangen in Privatgärten ein

In die Privatgärten drangen die Neugierigen ein, schildert er, quetschten sich durch die verkohlten Hecken. Ein Bauzaun riegelt nun die Häuser ab. Zuletzt kam sogar eine Familie mit einem Kind, das so klein war, dass es kaum laufen konnte. Er schüttelt den Kopf. „Das macht man doch nicht. Das gehört sich einfach nicht.“

Wenn er dann noch Sätze aufschnappt wie „Da wollte wohl jemand warm sanieren“ oder „Och, so schlimm ist das hier doch gar nicht“, dann platzt ihm der Kragen. Dann muss er hin, sofort, den Leuten ins Gesicht sagen: „Ich war Augenzeuge, ich war dabei, halten Sie sich mal zurück!“

Laut muss er das sagen, „die begreifen das sonst nicht“. Er muss ihnen sagen: „Stellen Sie sich mal vor, Sie gehen morgens zur Arbeit. Und abends, wenn Sie nach Hause kommen, dann ist Ihre Kleidung alles, was Sie noch haben. Stellen Sie sich vor, Sie haben alles verloren!“

Schwer vorzustellen

Nur: Das kann sich niemand vorstellen. Nicht mal Grabowski selbst, der den Brückberg schon so lange kennt, die Bewohner kennt, die meisten mit Vornamen.

Er versucht, sich vorzustellen, wie das ist, kein Zuhause mehr zu haben. „Den Begriff muss man sich ja erst einmal klarmachen. Das ist der Ort, wo man geborgen ist, wo man durchatmen und Kraft schöpfen kann. Und das haben die Leute hier verloren.“ Die tägliche Routine ist weg: „Man weiß ja, welche Autos hier wann fahren. Der Postbote, der Paketmann – die kamen immer um dieselbe Uhrzeit. Jetzt kommt niemand mehr. Von jetzt auf gleich ist alles abgeschnitten.“

Ein Bauzaun sperrt die zerstörten Häuser ab, die mit Planen gegen Regen gesichert sind.

Auch seine Werkstatt war abgeschnitten, als das Siegburger Ordnungsamt zwei Tage nach dem Großfeuer das Viertel großräumig abgesperrt hatte und bis auf die Anwohner niemanden durchließ. „Meine Kunden hätten durchgekonnt“, sagt er, „aber ich wollte das gar nicht; ich war weder körperlich noch mental in der Lage, hier zu arbeiten“.

Nur 15 Meter zum Feuer

Gerade mal 15 Meter trennten ihn von der Feuerwand, die sieben Häuser mit neun Wohneinheiten zerstörte. Er war einer der ersten, die den Böschungsbrand bei der Feuerwehr meldeten. Binnen Sekunden sprangen die Flammen auf die andere Seite der Gleise über. „Dieser Wind, diese Hitze!“ Die Funken flogen über seine Werkstatt und den Hof, wo zehn Autos standen. Mit dem Gartenschlauch und einem Mundschutz stellte er sich den Flammen entgegen. „Man funktioniert nur noch. Dass Lebensgefahr bestand, das habe ich erst viel später verstanden.“

Zwei Tage hatte er Kopfschmerzen von dem dicken, dunklen Rauch, der alles eingehüllt hatte. Nachts lag er im Bett und konnte nicht schlafen. „Der Körper will Ruhe, aber der Kopf kann nicht aufhören zu denken. Das kann man gar nicht verarbeiten.“

Von Normalität weit entfernt

Er ist froh, dass er seine Werkstatt jetzt wieder geöffnet hat und etwas Alltag zurückgekehrt ist. Doch Normalität herrscht in dem Siegburger Viertel noch lange nicht. Jeden Morgen, wenn Grabowski aus der Nordstadt mit dem Fahrrad auf den Brückberg kommt, hat er den Brandgeruch in der Nase. Jeden Tag arbeitet er mit Blick auf die schwarz verkohlte Ödnis neben den Gleisen, sieht die zerstörten Dachstühle der Häuser, die nun mit Planen gegen Regen gesichert sind. „Ich habe hier glücklicherweise so viel zu tun, da habe ich keine Zeit, zu viel zu denken.“ Bis spät abends arbeitet er meist, spielt häufig noch im Anschluss Handball. „Dann ist man müde.“

Seine Schwester, Polizistin in Sankt Augustin, hat ihm angeboten: „Tag und Nacht kannst du mich anrufen, wenn du reden willst.“ Aber er sei kein Mensch, der das alles zu hoch hängen wolle, sagt er.

„Hier hält man zusammen”

Er hoffe nur, dass die Familien es schafften, wieder in ihre Häuser zurückzukommen. „Wirklich zurückkommen. Ins Wohnzimmer, in ihr Leben. Jetzt herrscht ja noch eine Ausnahmesituation.“ Eine Nachbarin, weiß er, kann es im Moment noch nicht ertragen, die Straße zu betreten. „Aber das hier ist der Brückberg. Hier hält man zusammen. Die Leute denken positiv. Wir schaffen das.“

Der Zusammenhalt unter den Anwohnern sei noch enger geworden. „Früher hat man sich kurz zugewunken, wenn man sich auf der Straße gesehen hat. Heute bleibt man stehen.“ Immer wieder erzählten sich die Menschen auf dem Brückberg, wie sie das Feuer erlebten, wo sie waren, als es ausbrach. „Man spürt, die Leute sind wie in einem Loch unterwegs. Man sieht es ihren Gesichtern an“, sagt er. „Viele sind sehr angekratzt, sehr dünnhäutig.“

Ein Betroffener hat ihn kürzlich mitgenommen in seinen Garten, damit er die Zerstörung mit eigenen Augen sehen konnte. Die Fotos und Filme im Fernsehen oder im Internet hat er bis jetzt gemieden. „Ich bin noch nicht soweit.“