Die Verteilung läuft fast ausschließlich über private Netzwerke, die Helferinnen und Helfer sind dafür sechs Tage in der Woche unterwegs.
Initiative aus SiegburgBrauchbare Lebensmittel retten, nicht wegwerfen

Die Verteilerstation vor dem Haus von Familie Korsch in Kaldauen wird rege genutzt. Zwei Mal die Woche ist Abholtag.
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Das Mindesthaltbarkeitsdatum des Joghurts ist überschritten, das Brot ist vom Vortag, der Apfel hat eine Delle. Tonnen von Lebensmitteln landen im Müll, obwohl sie noch genießbar wären. Verschiedene Initiativen und Gruppen im Rhein-Sieg-Kreis greifen Lebensmittel ab, die Supermärkte aussortieren und verwerten sie weiter.
Die „Lebensmittelretter mit Herz“ aus Siegburg sind dafür an sechs Tagen in der Woche unterwegs. Gegründet haben den Verein Jessica und Alexander Korsch aus Kaldauen. „Wir haben uns schon vorher bei Foodsharing beteiligt, uns dann vor sechs Jahren aber gedacht: Das können wir auch selber machen“, sagt Alexander Korsch. So etablierten sie ein Netzwerk aus „Rettern“ die die Lebensmittel bei den Supermärkten abholten. An mehreren Tagen in der Woche können Menschen sie abholen und weiter verteilen oder selbst aufbrauchen.
Sammelpunkt im Supermarkt in Troisdorf-Sieglar
Einer der Sammelpunkte ist der Hit-Markt in Troisdorf-Sieglar. „Wir haben eine Vereinbarung mit dem Filialleiter getroffen, dass wir aussortierte Lebensmittel mitnehmen dürfen“, sagt Jessica Korsch. Vor der Warenannahme auf der Rückseite des Markts haben die Mitarbeitenden die Waren bereitgestellt, es sind mehr als 20 Kisten – an nur einem Tag.
Darin liegen Brot und süße Backwaren vom Vortag, außerdem Obst und Gemüse. „Da liegt eine faule Mandarine im Netz, das kann der Supermarkt nicht mehr verkaufen. Also fliegt das ganze Netz raus“, sagt Korsch. Noch bevor es die Kisten in den Anhänger lädt, nimmt das Team auf dem Parkplatz eine Vorsortierung vor.

Jessica und Alexander Korsch aus Siegburg-Kaldauen haben die "Lebensmittelretter mit Herz" gegründet.
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Früchte mit Faulstellen kommen tatsächlich in eine Tonne, matschiges Gemüse in eine Kiste für Tierfutter. Auch Blumensträuße nehmen die Lebensmittelretter mit. „Die päppele ich zu Hause wieder ein bisschen auf, die Omis freuen sich, wenn sie die mit auf den Friedhof nehmen können“, sagt Alexander Korsch.
Apropos Oma: „Sie ist im Zweiten Weltkrieg aus Danzig geflohen. Wenn sie sehen würde, was hier alles weggeschmissen werden soll und was wir eben wieder aufbereiteten, dann würde sie weinen“, sagt er. „Sie hat sich sogar die Finger feucht gemacht und damit die Krümel vom Teller gewischt und abgeleckt – das ist in dieser Generation so drin.“
Bei höheren Temperaturen werden Fleisch und Fisch zum Risiko
Fisch und Fleisch nähmen sie nicht mit. „Im Winter schon, aber bei höheren Temperaturen können wir kein Risiko eingehen“, sagt Jessica Korsch. Kühlsachen verwendeten sie noch – sie lädt Korsch als Letztes ins Auto. Vor ihrem Haus in Kaldauen betreiben sie eine Foodsharing-Station. Unter einem Carport stehen die Kisten mit Brot, Obst und Gemüse, ebenso die Kühlschränke mit Wurst und Käse und vielem mehr.
An zwei Tagen in der Woche – Korsch schreibt dafür in eine WhatsApp-Gruppe – kommen Menschen vorbei und nehmen sich, was sie brauchen. Die Lebensmittelretter beliefern außerdem den Verein „Siegburg hilft“ und das Ronald McDonald-Haus in Sankt Augustin. Was übrig bleibt, gehe an die Tara Tierhilfe und umliegende Bauern.

Noch auf dem Supermarktparkplatz werden die unbrauchbaren Teile aussortiert. Den Großteil können die Lebensmittelretter verwerten.
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Rund elf Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle fallen dem Landwirtschaftsministerium zufolge jedes Jahr an. Darunter fallen allerdings auch nicht essbare Bestandteile wie Knochen oder Schalen. Über die Hälfte der Abfallmenge entsteht daher in privaten Haushalten, wo sich Endverbraucher befinden.
In Windeck und Umgebung agiert der Verein „Die Tonne bleibt leer“, der private Abholstellen in Rosbach, Herchen und Neunkirchen-Seelscheid hat. „Wir holen Lebensmittel nach Rücksprache mit den Geschäften ab, denn die Tafeln haben immer Vorrang“, erklärt der Vorsitzende Matthias Groß. Zudem prüfe der Verein die Bedürftigkeit der Abholenden, das sei Auflage für die Gemeinnützigkeit.
Probleme an der oberen Sieg
Auch über die Plattform Foodsharing können Lebensmittel bei sogenannten „Fairteilern“ vorbeigebracht und abgeholt werden. Von den Problemen an der oberen Sieg berichtet Anja Teichert, die zuständige Botschafterin für Eitorf und Windeck. „Leider gibt es hier nur drei Betriebe, die mit Foodsharing kooperieren. Es wird zunehmend schwieriger, kleine Betriebe zu gewinnen beziehungsweise zu begeistern“, sagt sie.
Größere Supermarktketten kooperierten hauptsächlich nur mit Vereinen. „Hier auf dem Land haben wir große Probleme, zuverlässige und engagierte Lebensmittelretter zu finden. Meist haben die Leute keine Lust mehr, wenn sie merken, dass das Zeit in Anspruch nimmt“, so Teichert. „Einen Fairteiler haben wir aufgrund dessen ebenfalls nicht. Er benötigt sehr viel Pflege und regelmäßige Kontrollen.“
Von Claudia und Martina Müller, Botschafterinnen für Siegburg, Lohmar, Neunkirchen-Seelscheid und Much, ist Ähnliches zu hören. „Der einzige Fairteiler entfiel leider mit der Schließung des Ladens, in den er integriert war. Unsere Mitglieder verteilen die von ihnen geretteten Lebensmittel über private Verteilerkreise.“ Diese seien aufgrund der niedrigen Zahl der sich beteiligenden Supermärkte meistens voll, ergänzt Anja Teichert. „Die Lebensmittelverteilungen finden über WhatsApp-Gruppen statt. Jeder, der in einem Betrieb rettet, hat eine eigene Verteilergruppe und verteilt in seiner Umgebung. Daher können wir die Menschen in verschiedenen kleinen Nachbarorten mit etwas Lebensmitteln unterstützen.“
Wer „Lebensmittelretter mit Herz“ werden will oder in die WhatsApp-Gruppe zum Abholen hinzugefügt werden will, kann eine Mail an mitherz.su@gmx.net schreiben. Es gibt dort eine Warteliste. Mitglieder des Vereins betreiben außerdem eine Verteilerstation in Troisdorf-Sieglar. Informationen gibt es ebenfalls per Mail. Über www.tonne-leer.de und www.foodsharing.de/karte lassen sich lokale Ortsgruppen finden und kontaktieren, die Verteilung läuft ebenfalls über private WhatsApp-Gruppen.