Im Sommer verlässt die Stadtverwaltung ihre Räume auf dem ehemaligen Phrixgelände, und Inhaber Hannspaul Egge fasst die Zeit danach ins Auge.
Turm-Center SiegburgEine alte Zellulosefabrik macht noch einmal Karriere
Kommunalpolitiker, die sich in langen Ausschusssitzungen die Köpfe heiß reden, Bebauungspläne, die im Planungsamt vorbereitet werden, Kämmerei und Sozialamt, all das und mehr war seit 2021 Alltag im Turm-Center auf dem ehemaligen Phrix-Gelände, doch die Zeit nähert sich dem Ende: Bis zum 19. Juli muss die Stadtverwaltung das sanierte Rathaus in der Innenstadt wieder beziehen, sonst droht der Kreisstadt der Verlust von neun Millionen Euro Fördermitteln.
Der Besitzer der markanten Immobilie mit dem 55 Meter hohen Turm sieht den frei werdenden Raumkapazitäten gelassen entgegen: „Es wird sich etwas finden“, ist Hannspaul Egge überzeugt, der noch nie um Ideen für seine rund 35 000 Quadratmeter Nutzfläche verlegen war.
45 Unternehmen listet das Mieterverzeichnis auf der ehemaligen Siegburger Industriebrache
45 Unternehmen listet das Mieterverzeichnis derzeit, darunter eine Kinderarztpraxis, die Firma Lok Space, die Lokomotivführer ausbildet, Ingenieur- und Beratungsbüros, ein Installationsbetrieb, die Deutsche Post, die Firma Taube, die sich auf Archivierungssysteme spezialisiert hat, eine Medien-Produktionsfirma und viele mehr. Das Siegburger Theater Studiobühne hat Räume im Turm selbst bezogen, der früher das Wasser für die Zellulose-Produktion lieferte.
Die Bw Fuhrpark Service GmbH, ein Staatsunternehmen des Verteidigungsministeriums und der Deutschen Bahn, zählt seit vergangenem Jahr mit 350 Mitarbeitenden zur Mieterschaft und sorgt im Hochhaus des Centers für „eine erhebliche Belebung“, so Egge. Ein Ingenieurbüro, das zunächst mit einigen Mitarbeitenden ins Turmcenter gekommen war, zog später mit der ganzen Belegschaft nach Siegburg.
„Hier wird mutmaßlich mehr Gewerbesteuer erwirtschaftet als in der Innenstadt“, so Egge, der derzeit auch dem Siegburger Boxclub zu einem neuen Domizil samt Ring verhilft: Die Sportler müssen ihre angestammten Räume in der alten Schule Innere Stadt im Haufeld räumen, die für den Bau einer großen Wohnanlage abgerissen wird. Zunächst drei Jahre kann der Boxclub im Turmcenter bleiben. Und wenn es den Sportlern gefalle und sich das finanziell darstellen lasse, auch gerne länger, so der Hausherr.
Die alte Stahlbeton-Architektur bietet heute noch viele Möglichkeiten
In wenigen Wochen sollen die Räume bezugsfertig sein. 1996 übernahm Egge das erste Teilstück des Areals, das seit der Stilllegung der Produktion 1971 lange brach gelegen hatte. Heute noch lobt er die wertige Stahlbeton-Architektur, die Statik, die ihm bei Umbauten entgegenkommt. Oft zieht Egge zusätzliche Decken in sechs bis acht hohe Hallen, die ihren architektonisch reizvollen Industriecharme aber stets behalten.
„Multifunktionale Flächen“ sind das Ziel, wobei Egge großen Wert auf eine gute Akustik legt, die ein angenehmes Arbeitsklima ermöglicht. In dem Zusammenhang räumt er mit einem Missverständnis auf: „Großraumbüros sind wegen des Schallschutzes teurer als kleine Büros.“ Beim Bau des Callcenters für meine.stadt.de vor einigen Jahren habe er dazu viel lernen können. „Da mussten wir hundert Leute ans Telefonieren bringen.“
Schwer gearbeitet wird derzeit in der ehemaligen Diskothek Klangfabrik, Arbeiter tragen Schichten von Beton, Mörtel, Fliesen und anderen Materialien ab, wie „beim Schälen einer Zwiebel“, so Egge. Früher einmal standen in der weitläufigen Halle mit den schweren Stahlsäulen die Spinnmaschinen für die Zellulose. Egge plant für die Zukunft im weitesten Sinne Veranstaltungen als Nutzung.
Eine Bar im alten Laugentank der Zellulosefabrik
Kleiner und intimer könnte ein Club in den Kellerräumen unter dem Parkplatz werden, wo ein ehemaliger Laugentank aufgeschnitten wurde. Acht Räume sind für Bands vorgesehen, wobei Egge aber noch untersuchen muss, inwieweit das Untergeschoss vor eindringendem Wasser geschützt werden muss – ein typisches Siegburger Problem, das auch vor dem Turmcenter nicht Halt macht.
Der 62-Jährige ist sicher, dass die Geschichte des Areals auch nach ihm weitergehen wird. „Mein Beitrag macht gerade einmal ein Viertel der bald hundertjährigen Geschichte aus.“
Der Bau der Zellulose-Fabrik im Ortsteil Deichhaus begann Ende der 20er Jahre, die Produktion lief in der NS-Zeit aber erst richtig an. Bis zu 3000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, größtenteils aus Osteuropa, arbeiteten bei der Rheinischen Zellwoll AG (RZW) und gefährdeten ihre Gesundheit. 1955 erfolgte die Fusion mit den Hamburger Phrix-Werken, 1968 führte die BASF die Produktion fort, die aber durch neue Technologien und internationale Konkurrenz zunehmend unwirtschaftlich wurde. 1600 Beschäftigte verloren durch die Stilllegung 1971 ihre Arbeit.