ProzessauftaktSiegburger Familie soll Rollstuhlfahrer wochenlang misshandelt haben
Siegburg/Bonn – Es muss ein Martyrium gewesen sein: Fast einen Monat lang soll eine Familie aus Siegburg einen 54-jährigen Nachbarn, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist, in ihrer Wohnung festgehalten, ihn misshandelt und ausgeraubt haben. Die Staatsanwaltschaft Bonn hat fünf Frauen und Männer im Alter von 29 bis 44 Jahren wegen schwerer Freiheitsberaubung, gefährlicher Körperverletzung, Beihilfe sowie unterlassener Hilfeleistung angeklagt.
Zum Prozessauftakt am Dienstag vor der 1. Großen Strafkammer des Bonner Landgerichts machten die Angeklagten keine Angaben, weder zur Sache noch zur Person.
29-Jähriger soll Opfer in Siegburger Wohnung massiv misshandelt haben
Laut Staatsanwaltschaft soll eine 32 Jahre alte Frau den Mann vor einem Jahr beim Einkaufen im Supermarkt kennengelernt haben. Er fasste offenbar so viel Vertrauen zu ihr und ihrem Ehemann (34), dass er ihnen von einem Erbe erzählte und ihnen für die Dauer seines Krankenhausaufenthalts den Hausschlüssel anvertraute. Als er diesen am 8. Februar vergangenen Jahres nach der Entlassung aus der Klinik zurückforderte, soll der offenbar vermögende Mann von dem Ehepaar und dem Bruder (29) der Frau, der mit im Haushalt lebte, in der Wohnung festgehalten, gequält und gedemütigt worden sein.
Für die Misshandlungen macht Oberstaatsanwalt Patrick Wilhelm vor allem den 29-Jährigen verantwortlich. Er soll das Opfer mit der Handkante in den Nacken geschlagen, Kopfnüsse verteilt, ihm den Schädel rasiert und den kahlen Kopf mit Farbe beschmiert sowie eine Deo-Spraydose vor seinen Augen mit einem Feuerzeug angezündet haben. Zudem hat der mutmaßliche Haupttäter laut Anklage den Behinderten gegen eine frisch operierte Wunde am Schienbein getreten und damit in Kauf genommen, dass er das Bein verlieren könnte.
Angeklagte sollen 25.000 Euro vom Konto ihres Opfers abgehoben haben
Nur einmal war es dem 54-Jährigen gelungen, sich ohne Rollstuhl vom Tatort zu entfernen, nach 50 Metern wurde er eingeholt und zurückgebracht. Der 29-Jährige soll dem Mann eine Bauchtasche, in dem sich 800 Euro befanden, abgeschnitten und das Geld eingesteckt haben. Bei dem Raub soll ihm ein 44-jähriger Bekannter, der zu Besuch war, geholfen haben. Dessen Freundin (42) und die Schwester (32) des Anführers standen laut Anklage daneben, ohne einzugreifen. Schließlich sollen aus der Wohnung des 54-Jährigen 5000 Euro in bar, Goldmünzen und ein Laptop gestohlen worden sein.
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Der 29-Jährige, so ein weiterer Vorwurf, soll vom Konto des 54-Jährigen rund 25.000 Euro abgehoben und damit elfmal Bestellungen in einem Versandhaus bezahlt haben. Das erstattete Geld für zurückgeschickte Ware habe er auf sein Konto geleitet. Weitere Versuche, durch Online-Banking an 35.000 Euro zu gelangen, scheiterten am Banksystem.
Einem Mitarbeiter der Bank waren schließlich die Bewegungen auf dem Konto des 54-Jährigen aufgefallen, so dass er die Polizei informierte, die das gefesselte Opfer am 5. März befreite. Der Mann blieb drei Wochen im Krankenhaus, die Ärzte behandelten außer der entzündeten Beinwunde zahlreiche Hämatome und Prellungen.
Misshandlungen in Siegburg: Gericht ist auf Indizien angewiesen
Danach nahm die Polizei die Ermittlungen auf. Aus der Riege der fünf Verteidiger war indes zu hören, dass die Beweislage nicht so eindeutig sei, wie sie die Staatsanwaltschaft vorgetragen habe.
Da die Angeklagten nicht aussagten, ist die Kammer auf Indizien angewiesen, zum Beispiel auf Akten. Danach wurde der 29-Jährige in Eitorf geboren, aber schon früh wegen Kindeswohlgefährdung und drohender Verwahrlosung seiner alkoholabhängigen Mutter weggenommen und in ein Heim gebracht.
Landgericht Bonn: Hauptangeklagter und Mitangeklagter sind justizbekannt
Er hat keinen Schulabschluss, eine Bäckerlehre hat er abgebrochen, ist aber so fit am Computer, dass er Chaträume einrichten konnte. Die nutzte er laut drei rechtskräftigen Urteilen des Amtsgerichts Siegburg, um Kontakt zu Kindern zu suchen. Wegen Kindesmissbrauchs, Nötigung sowie des Besitzes von Dateien mit der Darstellung von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen wurde er zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Der 44-jährige Mitangeklagte ist ebenfalls justizbekannt wegen Betrugs und Schwarzfahrens. Zudem hatte er sich in den 90er Jahren als wehrpflichtiger Panzergrenadier dreimal unerlaubt so lange von der Truppe entfernt, bis ihn Feldjäger festnahmen.