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Rollstuhlfahrer gequältNachbarn sollen Siegburger gefangen gehalten haben

Lesezeit 3 Minuten
Justitia 3

Justitia vor blauem Himmel (Symbolbild)

Bonn/Siegburg – Einen Monat lang war ein Siegburger von der Bildfläche verschwunden – und keinem war die Abwesenheit des 53-jährigen Mannes aufgefallen. Was niemand ahnte: Der Rollstuhlfahrer soll im Februar 2021 vier Wochen lang bei einer benachbarten Familie, die in derselben Straße wohnte, gefangen gehalten worden sein. Fünf Menschen müssen sich deshalb jetzt vor dem Bonner Landgericht verantworten.

Ein 29-Jähriger und seine Schwester hatten ihn ein Jahr zuvor zufällig im Supermarkt kennengelernt. Als die Geschwister erfuhren, dass der Nachbar geerbt hatte, wurden sie zunehmend aufdringlich und forderten immer mehr Geld. Als der 53-Jährige schließlich nach einem stationären Krankenhausaufenthalt bei der Familie seinen dort deponierten Hausschlüssel abholen wollte, wurde er laut Anklage ihr Gefangener. In deren Wohnung soll er bis zu seiner Befreiung gefesselt, misshandelt und ausgeraubt worden sein.

Nachbarn in Siegburg wegen 52 Taten angeklagt

Wie Gerichtssprecherin Patricia Meyer auf Anfrage mitteilte, hat die Bonner Staatsanwaltschaft den 29-jährigen mutmaßlichen Haupttäter und seine 32-jährige Schwester unter anderem wegen schwerer Freiheitsberaubung angeklagt, den 34-jährigen Ehemann der Schwester, der in der Tatortwohnung lebte, wegen Beihilfe.

Insgesamt sind 52 Taten angeklagt, darunter gefährliche Körperverletzung, schwerer Raub, Computerbetrug, Diebstahl. Zwei weiteren Mitangeklagten (42 und 44 Jahre alt) wird zudem unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen.

Schläge, Kopfnüsse, Demütigungen

Von einem Martyrium mit Schlägen, Kopfnüssen, gezielten Tritten gegen die Wunde eines frisch operierten Unterschenkels schreibt die Anklage, aber auch von Demütigungen, dass etwa ein rasierter Schädel bemalt und mit Farbe besprüht worden sei.

Oder Horrorszenen, als eine Deo-Spraydose vor seinem Gesicht mit einem Feuerzeug angezündet worden sein soll. Der Initiator soll die Misshandlungen und Erniedrigungen laut Anklage nicht nur wegen der Geldforderungen inszeniert haben, sondern weil es ihm auch Spaß gemacht habe.

Für das Konto des scheinbar so vermögenden Nachbarn besorgte sich der 29-Jährige, der wie alle anderen keinen Job hatte und von Hartz IV lebte, mit dessen Namen eine neue PIN-Nummer. Dann hob er bei 42 Transaktionen insgesamt 25.000 Euro ab, davon bezahlte er in elf Fällen einen Versandhandel. Bei den Versuchen, durch Online-Banking an insgesamt weitere 34.149 Euro zu kommen, scheiterte der Haupttäter am System. Die Überweisungen wurden nicht ausgeführt.

Bankangestellter schöpfte Verdacht

Die vielen Kontobewegungen waren letztlich die Rettung des 53-Jährigen, wie Sebastian Buß, Sprecher der Bonner Staatsanwaltschaft, auf Nachfrage bestätigte: Einem Bankmitarbeiter seien die Unregelmäßigkeiten aufgefallen, und da er den Kontoinhaber nicht erreichen konnte, schaltete er – besorgt und misstrauisch – die Polizei ein.

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Als die Beamten den Vermissten am 3. März nicht zuhause antrafen, klingelten sie bei den „befreundeten“ Nachbarn – und fanden den Gesuchten in der Küche, an seinen Rollstuhl gefesselt, voller Hämatome und schwer verletzt.

Der 29-Jährige wurde festgenommen, bis zu seiner Haftverschonung im Juli 2021 saß er in Untersuchungshaft. Zu den Vorwürfen haben alle bislang geschwiegen.

Der Prozess vor der 1. Großen Strafkammer des Bonner Landgerichts soll im Sommer beginnen.