Zum ersten Mal spielte das Ensemble „Spätausgabe“ unter den Fittichen des Bürgertheaters der Studiobühne Siegburg.
Gefeiertes TheaterSenioren rechnen im Kaufhof in Siegburg mit der Konsumgesellschaft ab
Wiedererkennung en masse gab es im Theaterstück „Deutschland von gestern“, welches das Ensemble „Spätausgabe“ als sein erstes Projekt unter den Fittichen des Bürgertheaters der Studiobühne Siegburg aufführte. Mit vier Vorstellungen, drei davon am Wochenende vom 3. bis zum 5. Januar, geht das Ensemble im Kaufhof-Gebäude, dem derzeitigen Domizil der Studiobühne, in die Vollen.
Autor Stephan Hehls Zweiakter ist eine ebenso tiefgründige wie freche und zynische Abrechnung mit der Gesellschaft, deren Goldenes Kalb Konsum, Selbstsucht, Schönheitswahn und Egomanie heißen. Hauptprotagonisten sind die Königin (Iris Wicharz) und der König (Irmgard Kemp ), die wie die übrigen spätberufenen Eleven und Elevinnen in einer urkomischen Weise mimten, wie sie von Laien selten zu sehen ist.
Dauerkichern der Gäste begleitet die textreichen Dialoge im Kaufhof in Siegburg
Mit seiner Entourage begibt sich das Königspaar auf Ideensuche, wie die Zukunft „in dieser schrecklichen Realität da draußen“ besser gemacht werden könnte. Für den König, der sich sein „Königssein hart ererbt“ und dem sein Leibarzt „eine Konsumverzichts-Intoleranz attestiert“ habe, besteht die Suche vor allem darin, unentwegt die Online-Lieferdienste auszulasten.
Ein zündender Running Gag waren die Auftritte der Paketbotin (Maria-Luise Krautwurst), welche dem König die neuste Technik wie Multifunktions-Zahnbürste mit Milchaufschäum-Funktion für weißere Zähne oder den Föhn in Laubbläser-Größe liefert. Dauerkichern der Gäste begleitet die textreichen Dialoge der Regenten. Wenngleich ihr Umgang miteinander nie in den höfischen Knigge gefunden hätte. Was der Königin „Wertschätzung“ über den Gemahl zeigt: „Wenn ich doch nur narkotisch einschlafen könnte, dann müsste ich auch dich nicht mehr sehen.“
Die Hofnärrin (Barbara Beghelli) ist die erste Anlaufstelle für die an Zukunftsangst leidenden Schlossherren, die zunächst um Zerstreuung bitten. Das macht die Trainerin erst mit einem royalen Tänzchen, dem später eine Lachyoga folgt, die sich schnell in die Sitzreihen überträgt. Sodann wird „das Volk“ hereingerufen, das lautstark mit dem „Bumsfallera“ einzieht, um dies sogleich mit „Die Gedanken sind frei, wir denken jetzt quer“ zu kontrastieren. Ihr Protest richtet sich unteranderem „gegen die grausame Trennung von Aldi Süd und Aldi Nord“.
Pointendichte, Freude und Engagement zeichnen das Siegburger Theater aus
Die Turbulenzen mit unglaublicher Pointendichte dauerten an. So beim Einzug der Senioren zu Steppenwolfs „Born To Be Wild“ und ihrer Tradition, sich beim Crystal-Meth-Konsum Kompressionsstrümpfe über den Kopf zu ziehen. Das mündet in ernüchternde Nachdenklichkeit, als Hannes Waders „Moorsoldaten“ ertönt. Auch die Auftritte von Esoterikern Glo Buli (Waltraud Korten), den Außergalaktischen (Basia Peterko, Karin Ittenbach, Markus Schmeling), des Preppers (Karin Hames), der strengen Soldatin (Angelika Heuer) sowie des Reichsbürgers (Trixi Schmidt) und der Domina (Anke Brinkmann-Lücke) sorgen nicht nur für Brüller, sondern zeigen auch, dass in jedem Unsinn ein Stück Wahrheit steckt. Großes Theater - erstklassig umgesetzt.
Geleitet wird das 2007 gegründete Ensemble Spätausgabe seit Anbeginn von der Theaterpädagogin und Regisseurin Maria Havermann-Feye. Das Stück habe ihrer Intention entsprochen, mit dem Ensemble „nicht bloß Sketche und Witze nachzuspielen, sondern Theater zu spielen, das im Theater stattfindet.“ Im Fall des aktuellen Stücks wollte sie auch das Thema „Opfer und Täter“ herausstellen.
Strahlend berichtet sie im Gespräch mit dieser Zeitung von ihren „Laien, denen man natürlich zugesteht, dass nicht immer alles klappt, aber eben dazugehört.“ Sie sehe „soviel Freude und Engagement in der Gruppe, das Stück rüberzubringen. Sie haben Freude am Inhalt und lassen spüren: Mensch, wir können damit jemanden erreichen.“
Am Samstag, 11. Januar, spielt das Theater Spätausgabe um 18 Uhr nochmals im Kaufhof in Siegburg, Tickets kosten 15 Euro.