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Siegburger BlätterGeschichte in Stoff und Druckfarbe – Bildertücher aus Kattunfabrik

Lesezeit 3 Minuten

Mitarbeiter der Fabrik im Jahr 1889. Immer mehr Beschäftigte ließen sich von besserer Bezahlung in die Munitionsfabriken der Königlichen Werke abwerben.

  1. „Eine Gesellschaft, die nicht um ihre Wurzeln weiß, hat keine Zukunft“, sagte Bürgermeister Franz Huhn bei der Vorstellung des Hefts im Stadtmuseum.
  2. Wandel habe es immer gegeben, auch in früheren Zeiten habe die technische Entwicklung Arbeitsplätze entbehrlich gemacht.
  3. „Was damals das Tuch war, ist heute das iPhone“, sagt der Bürgermeister.

Siegburg – Ein „Fenster ins 19. Jahrhundert“ hat die jüngste Ausgabe der Siegburger Blätter aufgestoßen: Im ersten vom Stadtarchivar Jan Gerull verantworteten Heft – bis Ende 2018 hatte seine Vorgängerin Andrea Korte-Böger die Redaktion der Hefte inne – geht es um die Bildertücher aus der Siegburger Kattunfabrik. Ein internationaler Exportschlager, der dem Betrachter wichtige Einblicke in die Gesellschaft ihrer Zeit eröffnet.

Bereits im Mai hatte es eine Ausstellung im Museumsfoyer und eine international besetzte Tagung des „Arbeitskreises Tuchgespräche“ gegeben, der wie einmal mehr Grafiker Reinhard Zado ebenfalls zum neuen Heft beigetragen hat.

Die Gebrauchsanleitung für einen Karabiner wurde ebenso gedruckt wie das Lager französischer Kriegsgefangener in der Wahner Heide.

„Mir kam es darauf an, die Bildertuchmotive zu erklären“, sagte Jan Gerull nun bei der Vorstellung des Heftes. „Wir können sehen, wie das 19. Jahrhundert gelebt hat.“

Reichsgründung bringt Erfolg

Bereits Mitte des Jahrhunderts hatte die Siegburger Fabrik derartige Tücher für die Weltausstellung in London produziert, mit der Reichsgründung 1870/71 beginnt endgültig ihr Erfolg: Die Erziehung der Kinder mit Drohung und Lehre wird ebenso abgebildet wie Fortschrittsglaube oder Nationalismus.

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„Die Wacht am Rhein“ findet sich auf einem Tuch, eine traute Familienidylle um den weihnachtlich geschmückten Baum auf einem anderen. Auch Turnvater Jahn und beispielhafte Leibesübungen werden im 1840 gegründeten ersten Industriebetrieb der Stadt auf Tuch verewigt.

Gebrauchsanleitungen auf Waffen auf Tüchern

Ein Hauptprodukt waren die militärischen Instruktionstücher. Zeichnungen, die dem Rekruten den Zusammenbau seines Gewehrs bildhaft erläuterten, waren, auf Stoff gedruckt, wetterfest und somit weit stabiler als solche aus Papier und Pappe.

Für die Zukunft

„Eine Gesellschaft, die nicht um ihre Wurzeln weiß, hat keine Zukunft“, sagte Bürgermeister Franz Huhn bei der Vorstellung des Hefts im Stadtmuseum. „Es muss für nachfolgende Generationen transparent sein.“

Huhn regte an, den Schulen der Stadt je ein Exemplar zukommen zu lassen. Wandel habe es immer gegeben, auch in früheren Zeiten habe die technische Entwicklung Arbeitsplätze entbehrlich gemacht. „Was damals das Tuch war, ist heute das iPhone.“

Das Heft Nr. 65 der Siegburger Blätter ist für vier Euro an der Kasse des Siegburger Stadtmuseums erhältlich. Online kann die Publikation beim Grafiker Reinhard Zado bestellt werden. (dk)

www.blattwelt.de

Gebrauchsanleitungen gab es für Karabiner und Granatzünder der Fußartillerie. Ein Sortiment an Kanonen ziert ein weiteres Tuch, „pro Gloria et patria“ (für Ruhm und Vaterland) wird die Kavallerie abgebildet.

Die Gebrauchsanleitung für einen Karabiner wurde ebenso gedruckt wie das Lager französischer Kriegsgefangener in der Wahner Heide.

Derartige Tücher setzen sich schnell bei allen europäischen Großmächten durch, von einer Fabrik im böhmischen Friedland aus beliefert die Kattunfabrik nicht zuletzt die k.u.k.-Monarchie mit Tüchern in den unterschiedlichen Sprachen des Vielvölkerstaats.

Gemeinsam aktiv: (von links) Siegwerk-Unternehmensarchivarin Angela Joseph, Franz-Josef Wiegelmann, Franz Huhn, Bertrand Stern und Stadtarchivar Jan Gerull.

So sehr das Militär zunächst den Erfolg der Tücher beförderte, so sehr ist es auch am Ende der Kattunfabrik beteiligt: Immer mehr Beschäftigte lassen sich vor dem 1. Weltkrieg von besserer Bezahlung zum Wechsel in die Rüstungsproduktion der Königlichen Werke bewegen. Im Juli 1914 schließlich stellt Firmenchef Alfred Keller die Produktion der Tücher ein und entlässt die verbliebenen 700 Mitarbeiter.