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Siegburger StadtteilWolsdorf und seine heile Welt am Fuß der Zwillingshügel

Lesezeit 6 Minuten

Die Straße „Auf der Papagei“.

  1. Wir stellen Wolsdorf und die Menschen des charmanten Siegburger Stadtteils vor.
  2. Die Leute erzählen ihre Geschichten.

Siegburg – Draußen in der Welt nennen sie sich selbstbewusst „Siegburger“, in ihrer Stadt sind sie Brückberger, Stallberger oder Wolsdorfer. Zwölf Stadtteile hat Siegburg und dazu ein paar Veedel. Sie alle sind „Das Dorf in der Stadt“. Und jedes hat seinen eigenen Charme.

Nur in der Walpurgisnacht öffnet sich der Berg. Und wer sich hineinwagt zur Geisterstunde, erblickt eine unterirdische Ritterburg, in deren Felsspalten tausend und abertausend Edelsteine blitzen und blinken. Der König thront auf einem mächtigen Steinblock, im Labyrinth der Höhlen schlummern Krieger und Knappen auf ihren Waffen, und lauter Heistermänner wuseln umher. Von einem Schmied, der nächtens in den Berg entführt wurde, dort die ganze Nacht durcharbeiten musste und dann anderntags mit Gold belohnt wurde, erzählen die Geschichten.

Die Aussichtsplattform auf dem Wolsberg ist leider abgesperrt.

Keine Frage: Wolsdorf ist sagenhaft! Um keinen zweiten Stadtteil von Siegburg ranken sich so viele Mythen und Märchen. So auch das von den Heinzelmännchen von Köln, die sich tief in die Wolsberge geflüchtet haben. Was vielleicht eine Eigenschaft erklärt, die den Menschen am Fuß der Zwillingshügel nachgesagt wird: ihre Hilfsbereitschaft.

„Keiner sagt nein“

„Keiner sagt nein, wenn man um Hilfe bittet. Das klappt hier wunderbar“, sagt Stefan Groß. Der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Wolsdorfer Vereine (IGWo) schwärmt von einem sagenhaften Miteinander, von den vielen Vereinen, die dem Wandel der Zeit trotzten oder anderen, die wie „Phönix aus der Asche“ auferstanden sind, und von neuen Grüppchen wie der „Bumskapelle“, in der Groß auf die Pauke haut. Die Kapelle tritt gratis auf, „für die, die es sich nicht leisten können“, sagt Groß und ist begeistert von dem florierenden Gemeinschaftsleben.

Eingangsschild nach Wolsdorf mit Blick auf dei Michaelsberg.

Da geht in der Riembergstraße noch alle Jahre der Nikolaus um, anschließend trifft sich die Nachbarschaft zum Grillen unter dem Carport. Da wird die Hubertuskapelle, das Wahrzeichen des Stadtteils, liebevoll von der Familie Möckel gepflegt, während Vorstandsmitglied Bernd Junkersfeld den Stadtputztag organisiert, andere die jährliche Schiffstour für alle ab 65, „die immer schon nach drei Stunden ausgebucht ist“. Jeder hat seine Aufgabe, und alle machen mit. Für Groß nicht überraschend: „Wir haben fast alle das gleiche Alter und sind zusammen in die selbe Schule gegangen.“ Aber auch Neubürger werden schnell vereinnahmt wie Sonja Boddenberg. Als sie 2008 die Leitung des Kinderheims Pauline von Mallinckrodt übernahm, zog sie mit der Familie von der Nordstadt nach Wolsdorf um und findet sich nun im Organisationskomitee der IGWo wieder. Zusammen mit Geschäftsführer Ludger Ellenberger bastelt sie am Festprogramm zum 50-jährigen Bestehen des Netzwerks der 15 Vereine und weiterer Gruppen. Dass ihre rund 120 Schützlinge vom Kinderheim dabei sind, ist keine Frage: „Unsere Kinder“, sagt Sonja Boddenberg, „gehören selbstverständlich zur Gesellschaft“.

Die Dreifaltigkeitskirche.

„Ich dachte, das ist ein Gefängnis“

Das war freilich nicht immer so. „Ich dachte, das ist ein Gefängnis“, erinnert sich Stefan Groß an seine eigene Schulzeit, als noch eine hohe Mauer das Kinderheim von der Nachbarschaft trennte. Erst Schwester Matthäa Held, die Vorgängerin von Sonja Boddenberg, hat die Mauer aus Stein und die in den Köpfen niedergerissen. Seitdem machen die Kinder begeistert beim Veedelszug mit, sind bei der Kirmes dabei und spielen Fußball im Verein. „Das sind stinknormale Kinder“, meint die Heimleiterin, wenngleich sie bisweilen etwas „verhaltensspeziell“ seien. Da fliegt auch schon mal ein Stein über den Zaun oder wird in Nachbars Teich geangelt. Aber: „Die Nachbarn haben ein Auge drauf. Das Dorf erzieht mit“, freut sich Boddenberg und will das Kinderheim mit dem geplanten Neubau, in dem unter anderem Mutter/Kind-Appartements und Wohnungen für Behinderte entstehen, noch mehr öffnen. Das Foyer soll zu einem Bistro werden, zu einem Stadtteiltreff mit regelmäßigen Öffnungszeiten.

Sonja Boddenberg liebt die kleine heile Welt in Wolsdorf.

So etwas kann Wolsdorf noch gebrauchen. Seit die meisten Gaststätten dichtgemacht haben, treffen sich die Vereine in der Unterkirche von St. Dreifaltigkeit oder im Mehrzweckraum der Grundschule, vor allem aber „beim Kosta“ im „Wirtshaus zur Sieg“. Obschon etwas weit vom Schuss, ist es der Dreh- und Angelpunkt des Vereinslebens . „Hier kennt jeder jeden“, meint Sonja Boddenberg, doch: „Man muss die Nähe mögen“, sagt die Heimleiterin, selbst Mutter von zwei kleinen Kindern, und fügt hinzu: „Ich mag die Nähe, ich will hier nicht mehr weg“ aus der „kleinen heilen Welt“.

Jahre im „Exil“ in Bonn-Duisdorf

Stefan Groß liebt die Hubertuskapelle.

Jahre im „Exil“ in Bonn-Duisdorf

So war denn auch Kerstin May „heilfroh“ als sie nach Jahren im „Exil“ in Bonn-Duisdorf wieder zurückziehen konnte in den Ort ihrer Kindheit. Im früheren Lebensmittelladen, den 1928 ihre Großeltern an der Wolsdorfer Straße gegründet und ihre Eltern bis in die 90er Jahre geführt haben, hat sie als Kind schon an der Kasse gestanden und im September 2014 den kleinen „Wols-Dorfladen“ eröffnet: Nicht viel mehr als ein Kiosk, der vor allem von den Handwerkern lebt, die eine Frühstückspause einlegen. „Das ist mein Kerngeschäft“, räumt Kerstin May ein, doch auch viele Wolsdorfer kommen vorbei, „wenn sie im Supermarkt was vergessen haben“. Dass sie sich fürs Wochenende bei Aldi und Co. eindecken, stört Wolsdorfs „Tante Emma“ nicht: „Das mache ich auch so, mit zwei Kindern muss man auf den Preis gucken.“ Und da kann Kerstin May nicht mithalten, wohl aber mit ihrem Sortiment. Frisches Brot liefert die Bäckerei Schäfer von der Papagei, Wurst und Fleisch eine Kölner Metzgerei und einmal in der Woche frisches Mett. „Das ist der Renner“, meint die Geschäftsfrau, die mit viel Herzblut dabei ist.

Josef und Renate Busch führten 40 Jahre die Hubertusklause.

In ihrem Lädchen trifft sich halb Wolsdorf zum Klääfchen beim Käffchen, und auch wenn sie Senioren die Lebensmittel frei Haus liefert, ist der Smalltalk inklusive. „Das brauchen die alten Leute“, und schließlich lautet Kerstin Mays Werbeslogan: „Alles was das Dorf braucht.“ Das hat Wolsdorf. Doch gab’s Zeiten, da hatte Wolsdorf mehr, da hatte der Stadtteil Theatervereine, zwei Kinos, mehrere Gaststätten, Lebensmittelläden und eine Metzgerei. An die alten Zeiten kann sich noch gut Josef Busch erinnern. Sein Vater war als „Busche Iesmännche“ bekannt wie ein bunter Hund. Anfangs mit einem Pferdefuhrwerk, später mit einer zum Verkaufswagen umgebauten Vespa fuhr er über die Dörfer und verkaufte sein selbst gemachtes Eis mit „extra viel Milch“, betont der Sohn: „So etwas gibt’s heute nicht mehr.“ Später baute Wilhelm Busch mit seinem Filius die „Hubertusklause“. 40 Jahre hat Josef Busch, mittlerweile 83, die Gaststätte geführt: Die Gäste, erzählt er, „haben damals jesuffe wie die Haubitzen“, während Ehefrau Renate (80) am Herd stand. Zeitweise hat sie bis zu 30 Portionen Jägerschnitzel mit Fritten pro Tag ins Siegwerk geliefert. Doch die „ganz alten Stammkunden sind fast alle weg“, erklärt der Wirt, warum er die Hubertusklause irgendwann zum Wohnzimmer umbaute. „Bei Dir wor et immer schön“, sagen die Alten, wenn er ihnen in der Stadt begegnet.

Kerstin May steht mit Herzblut ihrem „WolsDorfladen“.

Wolsdorf bei jungen Familien beliebt

Schön ist es in Wolsdorf heute noch. Der Stadtteil ist bei jungen Familien beliebt, viele haben in der zweiten Reihe bebaut. Die Nähe zur City und zum ICE-Bahnhof mache den Reiz aus, meint Stefan Groß: „Hier kann man sich vom Stress der Stadt erholen und ist doch in wenigen Minuten in Frankfurt.“ Freilich sei die Zentrumsnähe Fluch und Segen zugleich und Ursache dafür, dass Geschäfte und Gaststätten der Reihe nach das Handtuch warfen. Und auch, dass die Immobilienpreise nach oben schnellen. „Junge Familien“, so Kerstin May, „können sich Wolsdorf bald nicht mehr leisten. Das bricht uns irgendwann das Genick.“

Die Jakobstraße.

Das ist aber eher unwahrscheinlich. Denn in Wolsdorf, so erzählt eine Legende, bringt nicht der Klapperstorch die Kinder, sondern die Heinzelmännchen – aus der Höhle des Wolsbergs.