AboAbonnieren

Umgang mit TabusWarum es auf dem Siegburger Nordfriedhof Lieder und Literatur gibt

Lesezeit 3 Minuten
Zwischen Gräbern singt eine Frau in ein Mikrfofon, neben ihr steht ein Mann und spielt Gitarre.

Lieder und Literatur gab es bei den literarischen Momenten des Vereins Café T.o.d. auf dem Nordfriedhof in Siegburg. Für wunderschönen Gesang und feines Gitarrenspiel sorgten Ruth Zimmermann und Siegfried Powalla.

Der Verein Café T.o.d. hatte zu „literarischen Momenten“ zwischen Grabsteinen eingeladen.

Reinhard Meys „Über den Wolken“ und Rod Stewarts „Sailing“ lassen sich durchaus mit Tod oder Transzendenz assoziieren. Doch dürfte es für Nichtbeteiligte ungewöhnlich gewesen sein, dass die bekannten Lieder auf dem Siegburger Nordfriedhof erklangen.

Der Verein Café T.o.d. hatte eingeladen zu „literarischen Momenten“, die es seit acht Jahren zweimal jährlich gibt. Dass derartige Veranstaltungen auf einem Friedhof stattfinden, mag für manchen befremdlich sein, doch entspricht sie durchaus der Idee des Vereins, sich mit scheinbaren Tabus in diesem Kontext auseinanderzusetzen. Was mit dem Namenszusatz T.o.d. unterstrichen wird: „Tabus offen diskutieren“.

Drei Stationen gab es auf dem Themenabend auf dem Friedhof in Siegburg

„Es ist uns einfach eine Herzensangelegenheit“, sagte Vorsitzende Uschi Stenz. Sie band damit ihre Vertreterin Dr. Susanne Haase-Mühlbauer und Charly Halft, Vorsitzender des mitorganisierenden Freundeskreises der Stadtbibliothek Siegburg, ein. Das Trio übernahm nicht nur die thematische Ausgestaltung des Mottos „Sehnsucht“, sondern teilte sich auch die Vorträge im literarischen Teil der beschaulichen Wanderung. Die habe sich mittlerweile etabliert und werde angenommen, betonte Haase-Mühlbauer.

Charly Halft beleuchtete zu Beginn die Vielschichtigkeit der Sehnsucht. Sie passe in unsere Zeit als Wunsch nach Frieden oder wende sich an die Vergangenheit mit einer vielleicht unbeschwerten Kindheit. Manchmal zeige sie sich „als schmerzhaftes Verlangen nach etwas, von dem es keine Hoffnung gibt, es realisieren zu können“.

Mehrere verwitterte Grabsteine in der Rasenfläche, um sie herum stehen viele Menschen.

Das Nonnengrab auf dem Nordfriedhof in Siegburg, einem Geviert mit vielen Grabsteinen von Nonnen vom Orden der Armen-Schwestern vom Heiligen Franziskus aus Aachen.

Die drei Stationen auf dem Weg zum Abschluss im Michaelsgarten spiegelten die Mannigfaltigkeit des Themas. So beim ersten Aufenthalt am Nonnengrab, einem Geviert mit vielen Grabsteinen von Nonnen des Ordens der Armen-Schwestern vom Heiligen Franziskus aus Aachen. „Ihre Art von Sehnsucht ist die Gottessehnsucht“, sagte Haase Mühlbauer. Wobei sich das Wort doppelt verstehen lasse: „Als Sehnsucht Gottes nach den Menschen und als Sehnsucht des Menschen nach Gott.“ Mit eindringlicher, gleichwohl warmherziger Intonation sang Ruth Zimmermann das Kirchenlied „Da wohnt ein Sehnen tief in uns“, das Siegfried Powalla nicht minder zartfühlend mit der Gitarre begleitete.

Lieder und Literatur auf dem Friedhof: Bei Reinhard Mey sangen die Gäste mit

Beim nächsten Halt verwies das auf einem Grabstein verewigte Segelflugzeug auf die Sehnsucht der Menschen nach Fliegen. Den Grund kannte Leonardo da Vinci schon im 15. Jahrhundert, wie Halft zitierte: „Wenn du das Fliegen einmal erlebt hast, wirst du für immer auf Erden wandeln, mit deinen Augen himmelwärts gerichtet. Denn dort bist du gewesen und dort wird es dich immer wieder hinziehen.“ Reinhard Meys Ohrwurm regte besonders im Refrain „Über den Wolken...“ die Gäste zum Mitsingen an.

Mit Meereswellen war ein anderer Grabstein versehen, weshalb die Gestalter hier Wasser und Sehnsucht nach der Ferne verknüpften. Uschi Stenz bebilderte dies mit Goethes Versen „Alles ist aus dem Wasser entsprungen“ und das Musik-Duo mit dem Rod-Stewart-Klassiker. Das Gedicht „Sehnsucht“ von Joseph von Eichendorff, den Vizebürgermeisterin Haase-Mühlbauer als „herausragenden Kopf der deutschen Romantik“ bezeichnete, beendete im Michaelsgarten den literarischen Teil.

Zu Eichendorffs Bildern von Gärten, Palästen, Mondenschein und von am Fenster lauschenden Mädchen gesellte sich „Somewhere Over The Rainbow“ aus dem Film „Der Zauberer von Oz“ mit Judy Garland, das ein weiteres Mal das harmonische Miteinander von Gitarre und Gesang unterstrich. Gut passten der frische Weißburgunder und die Käsebrötchen, die von T.o.d.-Mitgliedern aufgetischt wurden.