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Workshop für JVA-InsassenGefangene aus Siegburg schreiben ergreifende Texte

Lesezeit 4 Minuten
JVA_Siegburg_Lesung

Aus Texten des Workshops lasem (am Tisch von links) Leonard Kuhnen, Sven Heuchert und ein Häftling.

  1. Der Schriftsteller Sven Heuchert hat die Siegburger JVA besucht, um mit den Insassen einen Schreibworkshop durchzuführen.
  2. Die beeindruckenden Texte der Gefangenen trug er vor Ort gemeinsam mit Schauspieler Leonard Kuhnen vor.
  3. Zuhörern von außerhalb erschlossen sich Einblicke in den Gefängnisalltag.

Siegburg – „Den testen wir erstmal, den lassen wir erstmal übers Seilchen springen.“ Darauf sei er zum Auftakt seines Literatur-Workshops in der JVA durchaus gefasst gewesen, erzählt der Siegburger Schriftsteller Sven Heuchert. Doch es kam anders. Überhaupt nicht aggressiv sei die Stimmung in der Gruppe gewesen, sauer seien die Häftlinge nur geworden, als er die wöchentliche Schreibwerkstatt einmal habe absagen müssen.

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Leonard Kuhnen und Sven Heuchert

„Es ist eine völlig andere Welt, in die du dich begibst“, diese Erkenntnis brachte Heuchert aus der JVA mit – und überaus beachtliche Workshop-Ergebnisse, die er vor Ort mit Rezitator und Schauspieler Leonard Kuhnen in einer Textmontage vortrug. Die Lesung fand im Zuge der NRW-weiten „Knastkultur“ statt, die auch ein Klassik-Crossover-Konzert und einen Auftritt der Band Candyman in der JVA ermöglichte.

Einblicke in Gefängnisalltag

Zuhörern von außerhalb erschlossen sich Einblicke in den Gefängnisalltag. „Der Drang nach Freiheit ist beim Menschen so tief verankert, dass selbst die Flucht aus einem Gefängnis nicht strafbar ist“, heißt es in einer Passage. Familie, Arbeit und Freunde seien das, was man brauche. Sei man erst einmal eingesperrt, merke man schnell, dass es kein Scherz, sondern bitterer Ernst sei. „Das Eingesperrtsein, das macht etwas mit dir, es verändert deinen Blick. Ständig sind da Mauern, ist da eine Wand, endlose Gänge.“

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Freiheit und Knastalltag waren das Thema einer großen Kunst-Installation.

Auch eine Schilderung des Justizbeamten Jörg Gieseking, der für die Kultur in der JVA verantwortlich zeichnet, fand sich: Er beschreibt, wie ein Häftling einen Koller bekam und seine Zelle auseinandernahm. „In all dem Durcheinander sitzt er jetzt, völlig fertig mit der Welt. Er ist 33 Jahre alt, hat dunkle, lange Haare, ist kräftig gebaut. Das alles erfasse ich in Sekundenbruchteilen. Fesseln anlegen. Zum Glück wehrt er sich nicht.“ Die Reaktion auf seine Gewalt heiße Schlichtzelle, Beobachtung rund um die Uhr. „Jetzt trägt er nur noch einen schwarzen Einwegoverall. Tür zu.“

„Botox für Bitches“

„Ich verkaufte Tilidin an Teenager, Ritalin an Schüler und Studenten, Anabolika an Sportler, Opiate und Beruhigungsmittel an Junkies, Botox für Bitches, Ketamin fürs Feiern und Viagras und Morphin an Rentner“, beschreibt ein Inhaftierter. Nie habe er sich besser gefühlt. Der einzige Nachteil sei gewesen, dass er selbst sein bester Kunde geworden sei.

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Ausgemusterte Kleiderbügel verarbeiten Häftlinge zu einer Installation mit ungewöhnlichen Kunstwerken.

Ein Insasse namens Eckard las selbst vor, einen bitter-lakonischen Text, der ebenso präzise wie atmosphärisch dicht eine kurze „Ausführung“ aus der Haft beschreibt, die Fahrt zu einer allzu kurzen Begegnung mit der Familie. Und den Weg zurück ins Gefängnis, den er auf der Hinfahrt schon durch den Blick in den Rückspiegel des Transporters erlebt hatte. „Am Ende warten meine letzten fünf Jahre auf mich.“

Eine besondere Bindung

Eine „ganz enge Bindung zu den Jungs“ habe er bekommen, sagt Heuchert, der in seinem Roman „Dunkels Gesetz“ oder der Story-Sammlung „Könige von Nichts“ einen harten, mitunter brutalen Realismus pflegt. Besonders habe er geschätzt, dass ihm im Workshop niemand etwas vorgemacht habe. „Jeder hier weiß, warum er sitzt, warum er Knast schiebt, da redet sich keiner raus, auch wenn sie vielleicht halb im Scherz sagen, sie hätten nur im Kino geraucht.“

Viele Biografien hätten etwas schicksalhaftes. „Niemand wacht morgens auf und sagt: ,Ich werde Drogendealer.’“ Ob er sich mit den Texten identifizieren könne, wurde Leonard Kuhnen nach der Lesung gefragt: „Auf jeden Fall. Das Thema Freiheit beschäftigt uns alle.“

Aus Kleiderbügeln wurde eine Kunstinstallation

Freiheit und Knastalltag waren das Thema einer großen Kunstinstallation aus einem ungewöhnlichen Material: Ein Mitarbeiter der Kleiderkammer hatte die Gefängnisseelsorgerin Angelika Knaak-Sareyko angesprochen, was er mit alten Kleiderbügeln machen solle, die sonst aussortiert worden wären. Häftlinge schufen daraus ein großes begehbares Artefakt.

An einem Bügel findet sich ein Kreuz mit Texttafeln zu den Einschränkungen durch die Haft: nur eine Stunde Freigang am Tag, fehlende Kommunikation, die auf zwei Stunden pro Monat begrenzte Besuchszeit.

Ein anderes Thema wählte der Schöpfer einer Plastik aus Kunststoffmüll, die eine kurze Geschichte über einen Wal ergänzt, dem der Plastikmüll im Meer zum Verhängnis wird. Auch ein gezeichneter Kommentar zum Thema Tätowierung ist zu finden: In Freiheit, so die Aussage, seien die Körperbilder Kunst, in der JVA dagegen verboten. (ah)

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