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Kleptomanin aus Troisdorf„Manchmal muss ich mir fast auf die Finger hauen“

Lesezeit 3 Minuten
Kleptomanie_Symbolbild

Der Zwang zum Stehlen: Von Kleptomanie sind überwiegend Frauen betroffen.

Troisdorf – Hollywood-Stars wurden schon beim Ladendiebstahle erwischt, aber auch Showmaster und Profi-Sportler, Hausfrauen, Angestellte und Rentner. Gerade wenn es um Promis geht, die es wirklich nicht nötig haben, etwas zu stehlen, um es zu besitzen, ist die Rede von Kleptomanie, dem schier unbezwingbaren Drang, sich etwas anzueignen, ohne dafür zu bezahlen.

Spielfilme wie Hitchcocks „Marnie“ prägen bis heute die Wahrnehmung der Impulskontrollstörung Kleptomanie. Ina (Name der Redaktion bekannt) kennt sie aus eigener Erfahrung. Mit der Hilfe des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Rhein-Sieg-Kreis baut sie in Troisdorf eine Selbsthilfegruppe für Kleptomanie-Betroffene auf.

„Manchmal muss ich mir fast auf die Finger hauen“

„Man lässt hier und da mal etwas mitgehen, ich weiß gar nicht, warum; manchmal ist die Versuchung so groß, dass ich mir fast auf die Finger hauen muss“, erzählt sie. Ein ganz normaler Einkauf kann so zur Herausforderung werden. Meist hat sie dabei Artikel aus dem Laden geschmuggelt, die sie mühelos auch hätte erwerben können.

Kleptomanen geht es nicht um die Beute

Der Begriff Kleptomanie steht für wiederkehrende Diebstähle ohne erkennbaren Nutzen oder Motiv. Der Reiz liegt für die Betroffenen im Akt des Stehlens, nicht in ihrer Beute.

Gemessen an der Gesamtbevölkerung tritt diese Störung sehr selten auf, die Betroffenen sind überwiegend weiblich. Nur etwa fünf Prozent aller Ladendiebstähle werden mit Kleptomanie in Verbindung gebracht. Diagnostizierte Kleptomanie ist vor Gericht in der Regel nicht strafmildernd. (mfu)

Inzwischen sieht Ina die Wurzeln ihres Problems in dem, was sie eine „vermurkste Kindheit“ nennt. Geboren als ungewolltes und ungeliebtes Einzelkind in der Nachkriegszeit, war sie schon früh auf sich gestellt, praktisch und emotional. „Alles, was ich später in meinem Leben erreicht habe, musste ich mir ganz allein erarbeiten.“

Sie hat eine Menge geschafft: eine beachtliche berufliche Karriere, sportliche Erfolge. Aber sie musste auch immer wieder harte persönliche Rückschläge einstecken.

Kurz vor dem Eintritt ins Rentenalter, endlich glücklich verheiratet, lässt sie zum ersten Mal in einem Geschäft etwas mitgehen. „Über die Jahrzehnte hatte sich in mir etwas aufgestaut.“ Wenn man dann tatsächlich nicht erwischt werde, sei das eine enorme Selbstbestätigung. „Ich kann noch etwas, ich bin noch etwas wert.“

Einkauf in Begleitung hilft

Der Regelverstoß und seine möglichen Konsequenzen sind ihr bewusst: „Aber mir geht es gut, wenn ich nicht erwischt werde. Dazu stehe ich.“ Wenn der Drang zum Stehlen besonders stark wird, hilft ihr mitunter ein ausgedehnter Spaziergang. Auch wenn ihr Mann mit ihr einkaufen geht, kann sie sich beherrschen. „Wir lieben uns, und er steht voll hinter mir. Es wäre für mich zu beschämend, in seiner Gegenwart von einem Detektiv gestellt zu werden.“

In der Selbsthilfegruppe sollen die Teilnehmer anonym über ihre Probleme sprechen können. Vergleichbare Angebote für Kleptomanie-Betroffene gebe es deutschlandweit kaum, sagt Heike Trapphoff, die das Projekt von Seiten des Paritätischen Wohlfahrtsverbands begleiten. „Es ist ein sehr persönliches Thema, bei dem es besonders schwer fällt, mit anderen offen darüber zu reden.“

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Andererseits erfahre man im Austausch auch von Techniken und Tricks, um mit Krisensituationen besser umzugehen, die schlimmstenfalls ins Gefängnis führen können.

Ina wünscht sich daher auch den Austausch mit Juristen, um in diesem Berufsstand ein besseres Verständnis für dieses Phänomen zu erreichen. Ein erster Anlauf, eine solche Selbsthilfegruppe aufzubauen, schlief vor Jahren wieder ein.

Doch habe sich schon damals in den Erzählungen der Teilnehmer gezeigt, wie groß der Leidensdruck bei den Betroffenen sei, erinnert sich die Initiatorin. „Wer mit einem ganzen Stapel unbezahlter T-Shirts aus einer Boutique geht, der will gefasst werden.“ Wann sich die neue Gruppe zum ersten Mal trifft, steht noch nicht fest. Interessenten können sich per E-Mail – selbsthilfe-rhein-sieg@paritaet-nrw.org – melden.