Besonderes JubiläumDie „Anti-Corona-Singers“ treffen sich zum 200. Mal
Troisdorf – Es lässt sich schwer nachprüfen, ob es tatsächlich noch eine andere Nachbarschaftsgruppe in der Republik gibt, die es seit Beginn des Lockdowns den italienischen Balkonsängern gleichtut und allabendlich Lieder singt.
Die nach ihrer Straße benannten „Landgrafenstraße-Anticorona-Singers“ aus Oberlar zeigen Beharrlichkeit und muntern seit dem 18. März Abend für Abend ihre Nachbarn auf, durchzuhalten. Eine Woche nach ihrer Premiere trat das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ in Kraft.
Bis Corona besiegt ist
Die treibenden Kräfte, die Ehepaare Halm und Kieseier, sind sich sicher: Der harte Kern werde durchhalten, bis Corona besiegt sei. Am Sonntagabend war ein Tischchen vor dem Vorsänger-Duo Rosemarie und Heinz Kieseier aufgebaut, darauf ein mit der Zahl 200 verzierter Kuchen.
Denn so oft traten die gewöhnlich zehn bis 15 Nachbarn – mit Ausnahme des stillen Feiertages Karfreitag – ohne Unterbrechung auf die Straße für die gemeinsame Sing-Viertelstunde.
Fast immer dabei waren Stella Wolter (9) und Kim Mia Marie Krogull (10), die mit sichtbarer Freude bei der Sache sind. „Es macht so viel Spaß“, sagt Kim Mia Marie. Ihre Freundin Stella, die am Abend vorher als Kommunionkind im weißen Kleid erschienen war, ergänzt: „Weil alle Leute nett sind.“
Niemand bisher erkrankt
Nicht minder engagiert und „so oft es geht“ erscheint Margot Stroß, die mit 83 Jahren die Älteste in der Runde ist. Wie sie das tägliche Treffen vor Hausnummer 20 findet? „Gut, sonst wäre ich nicht hier. Ich will, dass die Leute gesund bleiben.“ In dieser Hinsicht wirkte das gemeinsame Bemühen bisher anscheinend, wie Norbert Halm, der Kieseier bei Abwesenheit als Leiter vertritt („Aber nur mit einfachen Liedern, die jeder kennt“), unterstreicht dies: „Niemand in unserer Straße ist bislang erkrankt.“
Auch den Händen des ehemaligen Pastors Heinz Kieseier (82), die, wie er sagt, schon etwas länger „eingerostet“ waren, tut das viele Gitarrenspielen gut. Er ist der musikalische Kopf, eröffnet obligatorisch mit dem Jagdhorn-Signal „Hoch lebe Elisabeth“ das Singen. Als Reverenz an Elisabeth Halm, sagt der Hornist schmunzelnd.
Er schöpft aus einem mittlerweile riesigen Fundus an Abend-, Volks-, Frühlings- und Wanderliedern, den Liederbücher aus einem Seniorenzentrum ergänzen. Einige Lieder hat Kieseier außerdem um „Corona“-Adaptionen (siehe Kasten) ergänzt, die dem Nachbarschaftschor mit hörbarer Sangesfreude von den Lippen gehen.
Ein Rückschlag für die Singers
Einen Rückschlag hatte die Truppe einen Monat nach dem Start zu verkraften, als das Ordnungsamt mit zwei Autos und mehrköpfigem Team anrückte und dem Gesang Einhalt gebot. „Das Singen ist eine Versammlung und deshalb verboten“, habe es geheißen. Da die Abstandsregeln eingehalten worden waren, beließ es der Einsatzleiter bei einer Verwarnung.
Nach „dem Schuss vor den Bug“ zogen sich die Anticorona-Singers in offene Schlaf- und Wohnzimmerfenster zurück, bis die Auflagen kurz darauf gelockert wurden. Ralf und Monika Schnorpfeil bleiben ihrem Fensterplatz treu, sie wohnen direkt gegenüber vom Ort des Geschehens. „So gut wir können“ singen sie mit und sind sich sicher, den Winter zu überstehen: Ihr Heizkörper sei direkt unter dem Fenster.
Warum das Ordnungsamt damals überhaupt kam, wissen die Sangesleute bis heute nicht. „Das war keine zufällige Streife, die kamen zu sechst“, vermutet Norbert Halm. „Es ist aber egal, wir haben uns die Freude nicht nehmen lassen.“ Die kam, für Zaungäste und Außenstehende intensiv wahrnehmbar, ebenso von Herzen wie der obligatorische Schlussdialog. Kieseier: „Und?“ Alle im Chor: „Schön gesund bleiben!“