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Von China fasziniertTroisdorfer ist Pfarrer einer „Geh-Hin-Kirche“ in Shanghai

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Michael Bauer aus Troisdorf leitet seit 18 Jahren die deutschsprachige christliche Gemeinde in Shanghai.

Troisdorf – Michael Bauer ist immer in Bewegung. Selbst wenn der katholische Priester mit den kurzen lockigen Haaren vor dem Computer sitzt, wippt sein Oberkörper auf dem Stuhl nach vorne und zurück. Geschichten erzählt er mit den Händen, er gestikuliert viel.

21. Tag des Lockdown

Es ist der 21. Tag des strengen Lockdowns in China, als die Redaktion Bauer Ende April in seiner Wohnung in Shanghai erreicht. Seit drei Wochen kann der Seelsorger der deutschsprachigen christlichen Gemeinde seine Wohnung nicht verlassen. Doch gerade jetzt wird seine Arbeit dringend benötigt. Jeden Tag ruft er deshalb die Gemeindemitglieder an, die an Corona erkrankt sind. Denn wer in China positiv getestet wird, kommt in ein provisorisches Massenkrankenhaus. Der Seelsorger fragt die Betroffenen, wie es ihnen geht – und macht ihnen Hoffnung.

Seit über 18 Jahren wirkt der Troisdorfer bereits als Pfarrer in Shanghai. Gemeinsam mit einer evangelischen Kollegin leitet er dort die deutschsprachige christliche Gemeinde – eine Anlaufstelle für Deutsche beider Konfessionen, die für einige Jahre in China arbeiten und weiterhin ihren Glauben leben möchten. Es ist eine „Geh-Hin-Kirche“, wie Bauer sie bezeichnet. „Die Gemeinde ist ein Ort, an dem man die Seele baumeln lassen kann und die Wirtschaft nicht im Mittelpunkt steht.“

Bibelkreis und Seelsorge

Bauers Aufgaben sind ähnlich wie in deutschen Kirchengemeinden: Er hält Gottesdienste, kümmert sich um die Kommunion- und Firmgruppen, leitet einen Bibelkreis und hat viel Zeit für Seelsorge. Mit seiner Arbeit gibt Bauer Deutschen in der Fremde auch ein Gefühl von Heimat. So feiert die Gemeinde auch deutsche Feste wie das Oktoberfest und Karneval. Zwei Feste sind Bauer besonders wichtig: Das Martins- und das Nikolausfest. Am Sankt Martinstag gibt es einen Umzug, wie man ihn aus Deutschland kennt. „Zwar ohne Feuer und ohne Pferd, aber trotzdem sind die Menschen sehr dankbar, dass es das gibt“, erklärt Bauer.

Von China fasziniert

Schon seit seinem ersten Besuch während des Theologiestudiums ist Bauer von China fasziniert. Im Jahr 1994 lernt er das Land kennen, das seinen Boom noch nicht erlebt hat: Auf den Straßen fahren fast nur Fahrräder, kaum jemand besitzt ein Auto. Auf der Reise lernt er Chinesisch, bekommt Einzelunterricht. Eines Nachmittags beschließt er, eine katholische Kirche zu besuchen – mitten in einem Staat, in dem es schwierig ist, den christlichen Glauben offen auszuleben. Als er den Kirchhof betritt, drehen sich einige Jugendliche zu ihm um und sind auf einmal ganz aufgeregt. „Komm mal mit“, rufen sie ihm zu. Mehr versteht er nicht. Trotzdem folgt er ihnen in die Kirche – und steht plötzlich vor einem chinesischen Bischof.

Sein Leben verändert

Diese Begegnung vor 28 Jahren hat sein Leben verändert. „Da dachte ich zum ersten Mal darüber nach, länger in China zu bleiben und in der Seelsorge tätig zu sein“, erklärt er. Nach der Reise fliegt er nach Deutschland zurück – mit einem Empfehlungsbrief des Bischofs aus China im Gepäck. Trotzdem dauert es noch knapp zehn Jahre, bis Bauer nach Shanghai zieht. Im August 2004 kommt er als erster katholischer Pfarrer zur deutschsprachigen christlichen Gemeinde.

Das Land, das er nun kennenlernt, ist anders als noch vor zehn Jahren: China ist im Aufbruch. Ganze Stadtteile verändern sich innerhalb kürzester Zeit. Er ist mittendrin, als Shanghai 2010 die Weltausstellung ausrichtet und sich das U-Bahn-Netz plötzlich vervielfacht. Er erlebt den Aufstieg der Stadt zu einer Wirtschaftsmetropole mit Wolkenkratzern, zieht immer wieder um, um verschiedene Stadtteile kennenzulernen. Bauer lernt Chinesisch, promoviert sogar über die Sprache. „Ich höre auch heute noch jeden Tag eine chinesischsprachige Messe, um mein religiöses Chinesisch weiter zu verbessern.“

Anpassen ist nötig

Wer in China lebt, muss sich anpassen können. Die Gemeinde bewegt sich oft in rechtlichen Graubereichen. Schon vor dem Interview stellt Bauer klar, dass er keine politischen oder religionspolitischen Fragen beantworten wird und dankt für das Verständnis. Wenn er diese Seite des Landes trotzdem anklingen lässt, wählt er jedes Wort mit Bedacht. „Auch hier im Reich der Mitte gibt es in vielen Bereichen Möglichkeiten“, sagt Bauer. „Das gilt nicht für den engeren Bereich der Politik. Aber in anderen Bereichen ist doch ein Spielraum da.“ Wo genau? Unklar. Eines steht jedoch fest: Die Freiräume sind kleiner geworden.

Das zeigt sich zum Beispiel an der Coronapolitik im Jahr 2020: Obwohl es in Shanghai längst keine Fälle mehr gibt, bleiben die Kirchen geschlossen. Aus Gründen der Covidprävention, heißt es. Restaurants und Hotels haben allerdings schon wieder auf. Kurzerhand sprechen Bauer und der Gemeinderat die chinesische Besitzerin eines Restaurants an. Ob sie in der Bar im Keller Gottesdienst feiern könnten? Sie sagt zu, auch in Hotels und anderen Lokalen feiern sie nun Messen. „Wir haben dann Gottesdienste in Lokalen mit Namen wie »Papas Bierstube« gehabt“, sagt er und lacht. Im strengen Lockdown finden alle Gottesdienste wieder online statt.

Selten Heimweh

Heimweh hat Bauer nur selten. „Ich hatte das erste Mal Heimweh, als ich plötzlich Weihnachtsmusik in China hörte“, sagt er. Auch wenn er Fußball schaut, wird ihm warm ums Herz. „Wenn ich sehe, wie mein Lieblingsverein, der 1. FC Köln, gewinnt, dann fühle ich mich mit Deutschland verbunden.“ Außerdem vermisst er Wald und Berge. Wenn möglich besucht er jeden Sommer seine Schwester in Troisdorf für einige Wochen. „China ist heute mein Zuhause, aber Troisdorf ist weiterhin meine Heimat.“

Inzwischen ist der Lockdown beendet. Gottesdienste konnten wieder in Präsenz stattfinden, außerdem hat Bauer zwei Jugendliche gefirmt und auch die Erstkommunion steht an. In einer Mail schreibt er: „Shanghai ist wieder auferstanden!“