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RehalehrerinWie eine Troisdorferin blinde Menschen für den Alltag schult

Lesezeit 4 Minuten
Susanne Kemper aus Troisdorf bietet Schulungen in Orieniterung und Mobilität sowie in lebenspraktischen Fähigkeiten für Blinde und stark sehbehinderte Menschen an.

Susanne Kemper aus Troisdorf bietet Schulungen in Orieniterung und Mobilität sowie in lebenspraktischen Fähigkeiten für Blinde und stark sehbehinderte Menschen an.

Wenn Menschen ihr Augenlicht verlieren, trainiert Susanne Kemper sie im Umgang mit dem Langstock, damit sie sich in Alltagslagen zurechtfinden.

„Gehen Sie drei Schritte weg von der Bahnsteigtreppe“, rät die Frau mit dem Kurzhaarschnitt; „das ist wichtig für Ihre Sicherheit.“ Ein weißer Langstock macht ihre Begleiterin als Mensch mit Sehbehinderung kenntlich, „Ausbildung“ steht auf dem Reflektorband, das Susanne Kemper an ihrem Rucksack befestigt hat. Seit vier Jahren arbeitet sie als selbstständige Mobilitätstrainerin für blinde und stark sehbehinderte Menschen.

Klienten der Troisdorferin fahren gerne mit Bus und Bahn

„Es geht sehr viel um Selbstständigkeit und Selbstbestimmung“, benennt die Troisdorferin das Ziel des Trainings: Die Klienten, mehrheitlich Menschen, die durch eine Erkrankung das Augenlicht verloren haben, sollen lernen, sich im öffentlichen Raum sicher zu bewegen. Und das nicht nur zu Fuß. „Ich habe viele Klienten, die gerne mit Bus und Bahn fahren“, auch das geht mit etwas Übung.

Hin und her bewegt sich der Langstock, die bewegliche Kugel an der Spitze rollt über das Pflaster, üblicherweise geht man links oder rechts vom Blindenleitystem. Der Stock überträgt die Bodenstruktur in die Hand, möglichst eben sollte daher das angrenzende Pflaster sein. Für Menschen mit einem restlichen Sehvermögen sind zudem starke  optische Kontraste hilfreich.

E-Roller sind nicht meine Freunde
Susanne Kemper, Rehalehrerin für Blinde und Sehbehinderte

Und dann, wenn die Sehenden mitdenken. „E-Roller sind nicht meine Freunde“, stellt Susanne Kemper fest. Und nicht überall ist das Leitsystem für blinde und stark sehbehinderte Menschen gleichermaßen konsequent umgesetzt. Licht und Schatten gibt es vor der Stadthalle in Troisdorf.

Ein Überweg an der Stadthalle: links der Streifen für Sehbehinderte und Blinde, die abschließende Kante ist drei Zentimeter hoch und mit dem Stock tastbar. Rechts gibt es keine derartige Kante und mit den Querrillen das Signal, stehen zu bleiben.

Ein Überweg an der Stadthalle: links der Streifen für Sehbehinderte und Blinde, die abschließende Kante ist drei Zentimeter hoch und mit dem Stock tastbar. Rechts gibt es keine derartige Kante und mit den Querrillen das Signal, stehen zu bleiben.

So gibt es Lob  von der Trainerin für die Gestaltung des Überwegs zur Sieglarer Straße: Noppen auf dem quer zum Gehweg liegenden weißen Pflasterstreifen machen dem blinden Menschen klar, dass hier eine Richtungsänderung ansteht.

Das gelbe Kästchen am Ampelmast liefert viele Informationen

„Halt!“ signalisieren kurz vor der Gehwegkante querliegende Rippen, eine drei Zentimeter hohe Kante ist mit dem Langstock zu ertasten. Ohne jeden Höhenunterschied ist die rechte Seite ausgebildet: barrierefrei für Menschen zum Beispiel im Rollstuhl. Ein sogenannter Pilot-Ton führt den Passanten zum Ampelpfosten.

Weit mehr Informationen, als man gemeinhin weiß, liefert das dort montierte gelbe Kästchen dem blinden oder stark sehbehinderten Menschen. Per Knopfdruck wird das akustische Signal für „Grün“ angefordert; ein Pfeil auf dem Knopf signalisiert dem Tastenden die Gehrichtung. Trägt dieser Pfeil auch noch  eine kleine Erhebung, teilt eine Verkehrsinsel die Straßenquerung.

Rillen im Leitsystem zeigen eine Gehrichtung an, die Noppen einen Kreuzungspunkt oder Richtungswechsel

Rillen im Leitsystem zeigen eine Gehrichtung an, die Noppen einen Kreuzungspunkt oder Richtungswechsel

Auch die nahe Bushaltestelle ist für Blinde ausgerüstet. Das Leitsystem ist vorhanden, auch der gelbe Infoknopf. Defekt – „das ist oft so“ – ist an diesem Nachmittag allerdings die Fahrplanansage. Und den Weg ins nahe Bürgeramt müssen Blinde ganz ohne Leitsystem finden.

„Blinde können das ja nicht von Geburt an“, macht die 49-Jährige die Notwendigkeit ihres Trainings klar, das im Regelfall auf Antrag von den Krankenkassen oder dem Landschaftsverband bezahlt wird. „Alles, was man mit dem Langstock lernen kann“, steht auf dem Lehrplan der üblicherweise 20 bis 40 Unterrichtsstunden. Ihre Ausbildung qualifiziert Susanne Kemper aber auch zum Training lebenspraktischer Fähigkeiten, „alles, was im Haushalt stattfindet“.

Die Troisdorfer Rehalehrerin wirbt um mehr Nachwuchs für ihren Beruf

Kemper selbst hatte nach der Schule eine Ausbildung zur Augenoptikerin abgeschlossen und viele Jahre im erlernten Beruf gearbeitet. „Dann hat mich das nicht mehr erfüllt“, bei der Suche nach einer neuen Aufgabe stieß sie auf die Berufsbeschreibung der Rehalehrerin.18 Monate dauerte die Weiterbildung in Vollzeit, für die sie nach Marburg zog, wo es eine der bundesweit nur zwei Schulen gibt.

„Viele Ärzte wissen nicht, dass es uns gibt“, hat Susanne Kemper festgestellt. Dabei ist die weit überwiegende Zahl der Menschen, die sie trainiert, nicht „geburtsblind“. Makuladegeneration und Diabetes sind die häufigsten Ursachen von Blindheit, vor allem Menschen im mittleren Alter sind betroffen. Und während die einen motiviert zu ihr finden, weil sie mobil bleiben wollen, brauchen andere Klienten auch Hilfe für die Psyche. „Es gibt auch ein Sträuben“, weiß Kemper.

Da sei es manchmal sogar gut, dass sie eine lange Warteliste hat: Ein Jahr muss Geduld haben, wer mit Susanne Kemper trainieren möchte. „Wir sind viel zu wenige Lehrer“, sagt die Troisdorferin, „händeringend“ werde Nachwuchs gesucht. Mehr Auskunft gibt es auf der Internetseite des Bundesverbands.