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Zweiter WeltkriegAls der Krieg in die Dörfer im Rhein-Sieg-Kreis kam

Lesezeit 4 Minuten

Wehrmachtsoldaten auf dem Weg in die Gefangenschaft. Für die Lohmarer endete der Krieg, als am Nachmittag des 10. April 1945 der US-amerikanische Kampfzug 303 der 97. Infanteriedivision den Ort einnahm.

  1. Drei Jahre lang hat Gerd Streichardt aus Lohmar recherchiert, hat betagte Zeitzeugen befragt zum Ende des Zweiten Weltkriegs.
  2. Ergebnis ist das Buch „Die letzten Kriegstage in der Heimat“.

Rhein-Sieg-Kreis – „In wenigen Minuten kann Ihre Ortschaft in einen brennenden Trümmerhaufen verwandelt werden“, hieß es auf dem Flugblatt der Alliierten an die deutschen Bürgermeister. „Flugzeuge stehen bereit, mit Bomben beladen, Panzerspitzen und Geschütze mit Phosphorgranaten sind auf Ihre Ortschaft gerichtet“.

Im Frühjahr 1945 blieb es für viele Opfer der letzten Kriegstage nicht bei diesen Drohungen, wenn die Gemeindeoberen nicht die weißen Fahne hissten.

Drei Jahre Recherche

Tausende von Menschen starben im Granatenhagel, verschüttet im Luftschutzkeller oder durch das Feuer der Tiefflieger. Die Kinder, die damals überlebten, sind heute hoch betagte Senioren, deren Erinnerungen der Vergessenheit anheimzufallen drohen. Eingedenk dieser Tatsache hat Gerd Streichardt, Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsvereins Lohmar, drei Jahre lang für sein Buch „die letzten Kriegstage in der Heimat“ recherchiert. Zeitzeugen berichten über das Ende des Zweiten Weltkriegs in Siegburg, Troisdorf, Seelscheid und Lohmar – und die Texte zeigen, dass der Schrecken dieser Tage viele ein Leben lang nicht mehr losgelassen hat.

Gerd Streichardt.

Bernhard Willscheid war einer von vielen Jugendlichen, die in schon aussichtsloser Lage „zum Schanzen“ vergattert wurden. Der 14-Jährige war arglos über die Kaiserstraße in Siegburg gelaufen, als ihn zwei „NS-Bonzen“ nach dem Ausweis fragten. Bereits am nächsten Tag musste er sich am Bahnhof einfinden, von dem aus es nach Bedburg ging: zu harter Knochenarbeit, bei der die Jugendlichen Panzergräben aushoben und kaum etwas zu essen bekamen. „Mit meinen Kameraden habe ich mich abgestimmt, dann sind wir nachts abgehauen“, schildert Willscheid. „Damit man uns nicht fand, haben wir uns durch Felder und Wälder geschlagen.“ Dank eines ungewöhnlichen Transportmittels ging es etwas schneller heim. Die Besatzung eines Wehrmachtpanzers nahm die Ausreißer ein Stück mit.

Auch Siegburger Frauen zeigten durchaus Widerstandsgeist und schafften es Ende März sogar in das Tagebuch von Joseph Goebbels. „In Siegburg beispielsweise hat eine Frauendemonstration zur Stadtkommandantur stattgefunden, die eine Niederlegung der Waffen und die Kapitulation verlangte“, schrieb der Reichspropagandaminister. In dem Bericht, auf den er sich bezog, war von einer „Demoralisierung größeren Stils“ die Rede, zitiert Streichardt die Siegburger 65er Nachrichten.

Der Lohmarer Wilhelm Pape (Jahrgang 1929) erinnert sich daran, wie der Lohmarer Bahnhof durch Granaten zerstört und im Warteraum zwei Soldaten getötet wurden. Er notierte, wie er knapp dem Feuer einer „Lightning“, eines gefürchteten US-Jagdbombers, entkam. Nur um Haaresbreite überlebte er auch einen nächtlichen Luftangriff. Er schlief zunächst in seinem Zimmer im oberen Stockwerk und konnte gerade noch in den Keller stürzen. „Das Haus zitterte, der Kalk rieselte, die Erde bebte. Das war bei uns. Gott sei Dank, dass Du unten bist, Du Narr.“ Am nächsten Tag zeigte sich, dass der obere Teil des Hauses an der Kirchstraße zerstört war.

Schrecken verbreiteten auch die deutschen V 1-Flugkörper, die ihre Hunderte von Kilometern entfernten Ziele oft nicht erreichten und schon kurz nach dem Start auf den hiesigen Abschussrampen abstürzten. Pape berichtet von einem solchen Zwischenfall Am Bungert.

In Troisdorf- Bergheim weigerte sich die Bevölkerung trotz stärkstem Artillerie-Beschuss, einem Befehl zur Evakuierung zu folgen: „Als die Polizei dies verordnete, zogen nur zwei Personen von 2300 Einwohnern fort“, zitiert Streichardt den Bergheimer Heimatforscher Heinrich Brodeßer. „Alle weigerten sich. Lieber zugrunde gehen, als auf der Landstraße und in der Fremde umzukommen.“

Streichardt trug für den 320 Seiten starken Band neben Zeitzeugenberichten, Flugblättern und Dokumenten rares Fotomaterial zusammen. Von einem Militärarchiv der US-Streitkräfte in Washington erhielt er etwa die Abbildung eines Sherman-Panzers, der gerade eine Pontonbrücke zwischen Buisdorf und Siegburg-Deichhaus quert. „Das Bild war bislang noch nirgendwo zu sehen“, so der Heimatforscher.

Streichardt (72) hebt hervor, dass nicht mehr viel Zeit bleibt, um die letzten Zeitzeugen zu hören. Vier Befragte starben während seiner Recherche, darunter auch unlängst Wilhelm Pape, der als Mitglied des Heimat- und Geschichtsvereins viele Beiträge für die Lohmarer Heimblätter verfasste. Seine Beerdigung war just an dem Tag, als Streichardt das neue Buch jetzt vor rund 100 Gästen im Lohmarer Ratssaal präsentierte. „In einigen Jahren kann niemand mehr über diese Zeit sprechen. Dann geht das alles verloren“, so der Autor. Deshalb solle das Buch „aufrütteln, mahnen, den Folgegenerationen den Mut geben, sich dem Aufkommen einer Neonazi-Gesinnung entgegenzustemmen und sie im Keim zu ersticken“.

Gerd Streichardts Buch „Die letzten Kriegstage in der Heimat“ ist für 22 Euro im Buchhandel und beim Verlag Ratio-Books zum Subskriptionspreis von 18 Euro erhältlich.

www.ratio-books.de