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Vernichtende BilanzWeniger wäre mehr - Eltern kritisieren das NRW-Inklusionsgesetz

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Symbolbild

Nordrhein-Westfalen – Stefan Ilchmanns Sohn ist acht Jahre alt, und er hat Angstzustände und wenig Selbstbewusstsein.

Er leidet an einer sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung. Der kleine Junge kam als Dreijähriger aus Haiti, wo er das Erdbeben 2010 überlebt hatte. „Deutsch hat er in einem Jahr gelernt“, sagt Adoptivvater.

„Er hat Inselbegabungen und ist intelligent.“ Doch mit den Anforderungen der Grundschule kam der Kleine nicht klar. „Er stand mit sechs Jahren auf dem Tisch und hat die Lehrer angeschrien.“ Schon bei der Aufforderung „Nehmt die Federmäppchen aus der Tasche“ habe er abgeschaltet.

Zwei Grundschulen versuchte die Familie, dann schickte sie den Sohn auf eine Förderschule. „Seitdem ist er glücklich und bringt sehr gute Leistungen.“ Statt 30 Kindern seien in der Klasse nur 8, sie würden ganztägig von Sonderpädagogen betreut. „Das gab es in der Grundschule nicht.“

Elternbündnis zieht vernichtende Bilanz der Inklusion

Ilchmanns Beispiel ist das Gegenteil von dem, was die nordrhein-westfälische Landesregierung mit ihrem Gesetz zum gemeinsamen Lernen von behinderten und nicht behinderten Kindern an Regelschulen erreichen wollte. Rund zwei Jahre, seitdem der Rechtsanspruch behinderter Kinder auf Unterricht in Regelschulen in Kraft trat, zieht ein Elternbündnis nun eine vernichtende Bilanz der Inklusion.

Das Gesetz habe zu einer Verschlechterung der Förderung von Kindern mit Handicap geführt, sagt Bündnissprecher Jochen-Peter Wirths. Die Klassen seien zu groß, es gebe zu wenige Sonderpädagogen. Sowohl Regel- als auch Förderschulen drohten ihr Niveau zu verlieren.

Denn viele ausgebildete Sonderpädagogen würden inzwischen an Regelschulen abgeordnet und an den Förderschulen etwa durch Ingenieure oder Sozialpädagogen ersetzt. Eltern hätten weniger Wahlmöglichkeiten, weil in vielen Regionen Förderschulen geschlossen würden.

Auch Ilchmann sagt über das gemeinsame Lernen: „Der Anspruch ist hervorragend, aber in der Praxis sind wir noch weit davon entfernt.“ In der Förderschule etwa könne sein Sohn in einem durch eine Glaswand abgetrennten Raum eine Auszeit nehmen. „In der Regelschule stand er regelmäßig vor der Tür.“ Der Lehrer habe bei Fehlverhalten eines Kindes die Klasse darüber abstimmen lassen.

Hilflose Eltern, über- oder unterforderte Kinder, frustrierte Lehrer - Angesichts der massiven Kritik fordert das Elternbündnis „Rette die Inklusion“ nun, das gemeinsame Lernen langsamer umzusetzen, und zwar zunächst an ausgewählten regionalen Schulen.Von fast 128 000 Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden in diesem Schuljahr laut einer Prognose des Schulministeriums gut 42 Prozent in der Primar- und Sekundarstufe I unterrichtet.

Im vergangenen Schuljahr lag die Quote bei 38 Prozent. Die Zahl der Förderschulen ist seit 2002 in NRW von 726 auf 571 gesunken.Für eine Förderschule nehmen Eltern inzwischen auch lange Fahrtwege in Kauf. Der zwölfjährige autistische Sohn von Karsten Bünemann aus Meerbusch etwa fährt jeden Tag eineinhalb Stunden zu seiner Schule und eineinhalb Stunden zurück. Auch er ging zuerst in eine Regelschule.

„Am Anfang waren wir noch euphorisch, dann wurden wir auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt“, sagt Bünemann. Ihr Sohn sei „intensiv gemobbt“ und „jeden Tag frustrierter“ geworden. „Man kann ein autistische Kind auch nicht in eine Klasse mit 30 Kindern schicken, ohne Rückzugsmöglichkeit.“

Klassen für gemeinsames Lernen müssten in Regelschulen kleiner sein, und durchgängig einen Sonderpädagogen haben, sagt Wirths. „Wir sind auf einem Weg, der nicht zur Inklusion führt, sondern weg davon.“ (dpa)