Tote Dreijährige in ViersenPolizei vermutet Muster bei beschuldigter Erzieherin
Viersen – Als Sandra M. ihr Anerkennungsjahr als Erzieherin in einer Kita in Krefeld beendet hatte, gaben ihr ihre Vorgesetzten offenbar eine vernichtende Beurteilung mit auf den Weg. Die junge Frau sei für den Beruf schlicht nicht geeignet. Schon in den ersten Tagen sei aufgefallen, dass sie wenig empathisch sei, keine Beziehung zu Kindern aufbauen könne und nicht in der Lage sei zu erkennen, wann man bei einem Streit dazwischen gehen und wann man ihn als normale Reiberei laufen lassen sollte.
Trotz der negativen Empfehlung wurde M. nach der mündlichen Prüfung an der Fachschule im Sommer 2017 die Urkunde als staatlich anerkannte Erzieherin verliehen. Eine folgenschwere Fehlentscheidung, wie sich herausstellen sollte.
Luftzufuhr abgeschnitten
Sandra M. soll laut Staatsanwaltschaft Mönchengladbach am 21. April 2020 ein dreijähriges Mädchen in einer Kita in Viersen heimtückisch ermordet haben. Es war Gretas erster Tag in der Notbetreuung. Als sie das Mädchen nach dem Essen zum Mittagsschlaf gebettet hat, soll M. dem Kind wenig später die Luftzufuhr abgeschnürt haben. Danach, so schilderten es Polizei und Staatsanwaltschaft Mönchengladbach am Donnerstag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz, soll die Beschuldigte zuerst die Kollegen verständigt und das Kind dann selbst per Mund-zu-Mund-Beatmung reanimiert haben. Mehrere Tage hielten Maschinen Greta im Krankenhaus am Leben. Am 4. Mai trat der Hirntod ein, einen Tag nach ihrem dritten Geburtstag.
Weitere Fälle von Atemstillstand
Bei ihren Ermittlungen machten die Beamten erschreckende Entdeckungen. Sie stießen auf eine ganze Serie ähnlicher Vorfälle. Die Polizei spricht von mehreren Tatkomplexen. In vier Kitas hat M. in den vergangenen drei Jahren gearbeitet – Krefeld, Kempen, Tönisvorst, Viersen – und alle Einrichtungen konnten von rätselhaften Atemstillständen oder krampfartigen Anfällen bei insgesamt vier Kindern berichten. In allen Fällen soll demnach Sandra M. die Aufsicht gehabt haben.
Offenbar, so der Verdacht, handelte die Erzieherin nach einem Muster: Wenn sie allein mit den Kindern war, unterbrach sie ihnen gewaltsam die Luftzufuhr bis sie blau anliefen, krampften oder nur noch regungslos da lagen und alarmierte dann die Kollegen und den Notarzt. „Mit dem Kind stimmt was nicht“, soll sie dann gesagt haben.
Unabhängig von den Vorfällen kamen sämtliche Kindertagesstätten bei der Bewertung der Erzieherin laut Ermittler mehr oder minder zum selben Ergebnis: Für den Job war sie vor allem mangels Empathie ungeeignet.
Eine der drängendsten Fragen ist nun, warum erst ein Kind sterben musste, bis man der mutmaßlichen Täterin auf die Schliche kam. In den Kliniken schöpften die Ärzte offenbar keinen Verdacht – obwohl sämtliche Opfer zuvor kerngesund gewesen seien, wie die Eltern laut Polizei in den Vernehmungen aussagten. Erst bei dem Mädchen in Viersen informierten die Ärzte die Polizei. Allerdings auch hier erst acht Tage nachdem das Kind ins Krankenhaus gebracht worden war. Bis zur Festnahme von Sandra M. vergingen weitere 15 Tage.
Vorfall im Oktober 2019
Unklar bleibt zudem, warum die betroffene Kita in Tönisvorst nach einem Vorfall am 29. Oktober 2019 nicht bereits die Behörden verständigt hat. Damals war ein zwei Jahre altes Mädchen mit Atemstillstand ins Krankenhaus gebracht worden. Als die Polizei nun im Zuge der Ermittlungen im Fall Viersen den Vater befragte, soll dieser folgendes ausgesagt haben: Seine Tochter habe ihm erzählt, dass eine Erzieherin ihr fest mit der Hand auf den Bauch gedrückt habe.
Bei ihren Nachforschungen wurden die Beamten zudem auf ein Verfahren gegen die Erzieherin aus dem Mai 2019 aufmerksam. Dieses könnte Aufschluss über ihre psychische Verfassung geben. Damals wurde gegen sie wegen Vortäuschung einer Straftat ermittelt. Sie hatte den Polizisten erzählt, sie sei bei einem Waldspaziergang einer am Boden liegenden alten Frau zu Hilfe geeilt, die gerade von einem Mann überfallen worden sei. Dieser sei dann auf sie zugegangen, habe sie bedroht und mit einem Messer geschnitten. Wie sich später herausstellte, hatte sich die Erzieherin die Verletzungen selbst zugefügt.
Ihr sei damals dringend geraten worden, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen.