Möglicher ProblemwolfDieser Schäfer sorgt sich um seine Schafe – und die Angreiferin
Hünxe – Als Kurt Opriel mit seinem Auto vorfährt, kommt Leben in die Herde. 90 Augenpaare schauen in seine Richtung und die Schafe stimmen ihr Begrüßungs-Konzert an. Auch das heisere Rufen zweier Ziegen ist darunter. Alle Tiere munter, alle heil. Die Erleichterung ist dem Schafhalter äußerlich nicht anzumerken. Zu oft hat er diesen Anblick ertragen müssen: tot gebissene Tiere, Blut und der Gedanke, wie seine Schafe in Panik versucht haben, der Wölfin zu entkommen.
Die Wölfin! Ein Tier mit der wissenschaftlichen Kennung GW954f. In der Region wird sie auch Gloria genannt. Der Name stammt noch aus der Zeit, in der man hoffte, dass das gut gehen würde mit dem Menschen und dem Wolf. Ein Jahr später hat sich die Diskussion auf die Frage zugespitzt, ob die Wölfin ein Problemwolf ist und „weg muss“.
Opriel ist Experte für Zäune – trotzdem überwand die Wölfin sie
Opriel hat die Befürchtung, dass sich diese Frage bei ihm entscheiden könnte. Vier Mal hat die Wölfin in seinen Herden zugeschlagen. Der Mann kennt sich mit Zäunen aus. Beruflich vertreibt er sie, zeigt, wie sie aufgestellt werden müssen, welche Fehler die Leute nicht machen dürfen. Natürlich achtet er penibel darauf, selbst keine zu machen.
Auch hier draußen hat er das Gras für den Zaun runtergeschnitten, damit die Halme keinen Strom vom Zaun ableiten: 9200 Volt zeigt sein Messgerät an. Die Werte speichert auch sein Computer zuhause ab. Für alle Fälle. Leute - wahrscheinlich aus dem Lager der Wolfsschützer - hatten in den sozialen Medien suggeriert, er habe keinen Strom auf seinen Zäunen gehabt. Nach den Wolfsangriffen hat er seine Zäune immer weiter hochgerüstet: Von 90 Zentimeter auf gut einen Meter Höhe, jetzt 1,20 Meter. Trotzdem sei der Wolf reingekommen, sagt er.
Wenn Blut fließt, kommt die Spurensicherung, wie der Wolfs-Experte beim Landesumweltamt, Matthias Kaiser, im übertragenen Sinne sagt. 25 Mal allein wegen dieser Wölfin. Die Fachleute sichern DNA-Spuren und dokumentieren am „Tatort“ die Schutzmaßnahmen. War genug Strom auf dem Zaun? Gab es Übersprung-Hilfen etwa einen Holzstapel außerhalb des Zauns? War er zum Boden hin dicht?
Sprich: Wurden alle empfohlenen Maßnahmen sorgfältig umgesetzt? „Bislang ist nicht einmal der empfohlene Herdenschutz überwunden worden“, sagt Kaiser. Übersetzt heißt das: Bisher gab es immer Schwachstellen - ausgenommen die noch nicht abschließend geprüften Fälle von Schäfer Opriel.
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Für die Vorsitzende des Schafzuchtverbands in NRW, Ortrun Humpert, klingt das wie eine Unterstellung, dass die Schafhalter ihre Tiere nicht ordentlich schützten. „Die Halter versuchen wirklich, alles zu machen. Und immer heißt es: War nicht genug“, sagt sie. Dass das Land bei der ersten eingewanderten Wölfin ungern von einem Problem sprechen wolle, sei ihr schon klar. Aber das Tier sei nicht mehr tragbar und müsse „weg“.
Dieses „weg“ bedeutet: Dauerhaft verscheuchen oder zum Abschuss freigeben. Tatsächlich gibt es einen Punkt, der am Ende zu dieser Entscheidung führen könnte: Wenn es einem Wolf gelinge, die empfohlenen und „zumutbaren“ Schutzmaßnahmen zu überwinden, „ist das ein Indiz dafür, dass der Wolf aus Sicht des Menschen ein problematisches Verhalten hat“, sagt Kaiser.
Ob genau das bei dem Schafhalter Opriel der Fall war, prüfen zurzeit Experten, die viel Erfahrung mit Wölfen und Herdenschutz haben. Es sind Fachleute der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf.
Dem Schafhalter vom Niederrhein ist aber nicht wohl bei dem Gedanken, dass Gloria ausgerechnet wegen ihm und seiner Schafe zur Problemwölfin werden könnte. Das fühle sich für ihn an, wie schuldig auf der Anklagebank. (dpa)