„Der Laden gehörte zu Rheinbach“Traditionsgeschäft Lederwaren Fingerhuth schließt
Rheinbach – „Das ist zu eng“, stellte die fünfjährige Sophia fest, als sie am Samstag beim Räumungsverkauf des Rheinbacher Traditionsgeschäfts Lederwaren Fingerhuth einen blauen Schulranzen mit Eisprinzessinnen-Motiv anprobierte. Katharina Stollenwerk, Enkeltochter der 81-jährigen Inhaberin Agnes Heuel, wusste Rat und stellte den Brustgurt richtig ein. „Ein guter Sitz ist bei Schulranzen wichtig“, sagte die 24-Jährige zu Mutter Kirsten Schember.
Vor mehr als 25 Jahren hatte die 33-jährige Rheinbacherin ihren eigenen „Ranzen“ bei Fingerhuth am Voigtstor bekommen, erzählte sie. Jetzt war Ausverkauf im Traditionsgeschäft, das nach mehr als 70 Jahren seine Pforten geschlossen hat.
Inzwischen hatte die lebhafte Sophia, die im Sommer eingeschult wird, den Inhalt des Ranzens inspiziert und Mäppchen und Sporttasche zutage gefördert. Das i-Dötzchen staunte: „Das gehört noch alles mit dazu?“ Mutter Kirsten bedauerte die Schließung: „Es ist traurig, dass so ein langjähriges Familienunternehmen wegen des Internethandels geschlossen werden muss. Der Einzelhandel im Ort sollte mehr unterstützt werden.“
Schließung nach Corona und Flut unvermeidlich
Diese Feststellung kann Ulrike Stollenwerk, Tochter der Besitzerin, nur unterschreiben. Schweren Herzens habe sich die Familie zur Aufgabe des Geschäfts entschlossen, sagte sie. Doch als auf Corona die Flutkatastrophe folgte, sei der Schritt unvermeidlich gewesen. Zumal auch noch der gesamte Warenbestand im Keller zerstört worden war.
So sei das Wasser in der Katastrophennacht durch den Laden geflossen und habe sich im unteren Geschoss gesammelt. Dort habe es 1,50 Meter hoch gestanden, bekräftigte David Esser, der Verlobte von Tochter Barbara Stollenwerk, der im Sommer beim Aufräumen mitgeholfen hatte und der auch beim Ausverkauf mit dabei war: „Die Koffer schwammen im Wasser und waren nicht mehr zu gebrauchen“.
Aus diesem Grunde hätten sie sich „nach langen Überlegungen und vielen Gesprächen schweren Herzens doch dazu entschlossen“, das Familienunternehmen nicht mehr zu eröffnen, so Stollenwerk. Zu hoch wäre die Investition für den Neuaufbau gewesen, außerdem sei „der Internethandel einfach zu groß und das Risiko zu hoch.“
Die 57-Jährige wird jetzt in den wohlverdienten Ruhestand gehen, die Töchter Katharina (24 Jahre) und Barbara (25), die eine ist Bankkauffrau und die andere pädagogische Fachkraft, werden sich auf die Berufe konzentrieren, die sie hauptsächlich ausüben.
„Dass es so zu Ende geht, damit haben wir nicht gerechnet“, ergänzte Mann Gerd Stollenwerk. Doch werde der Laden ja nicht abgerissen. Für die Räume werde vielmehr ein Mieter gesucht. „Ich habe mich damit abgefunden.“
Großvater begann als Sattler und Polsterer
Mit dem Familienunternehmen verbindet Ulrike Stollenwerk viele Erinnerungen. Im Gebäude Am Voigtstor Nummer 5, das inzwischen verkauft ist und in dem der Großvater den Laden noch als Polsterei und Sattlerei führte, habe sie schon als Kleinkind gestanden, erzählte sie. Im jetzigen Geschäft, Am Voigtstor Nummer 7, hätten ihre eigenen Kinder als Babys auf einer Decke gespielt.
Das könnte Sie auch interessieren:
1984 hatte ihre Mutter Agnes Heuel den Betrieb übernommen, gemeinsam mit dem vor zwei Jahren verstorbenen Bruder Matthias Fingerhuth. Als Raumausstatter habe der Onkel noch bis vor fünf Jahren Gardinen ausgemessen. Für ihre Treue über mehr als 70 Jahre hinweg sagt Ulrike Stollenwerk mit ihren Angehörigen den Kunden Danke. Gerne denke sie „in diesem Moment an die vielen guten Gespräche“. Besonders freute sie sich, am Tag des Räumungsverkaufs loyale Stammkunden noch einmal zu sehen.
nter ihnen waren Friedhelm und Doris Schurz aus Niederdrees, die seit Jahrzehnten bei Fingerhuths einkauften und die Beratung und das familiäre Umfeld schätzten, wie sie sagten. Das Paar war auf der Suche nach einem Rucksack und einer Handtasche.
Den Geschäftsgründer Jacob Fingerhuth habe er noch persönlich gekannt, erinnert sich Friedhelm Schurz: „Er hat Tauben gezüchtet und damals in den 50ern noch Pferdegeschirre repariert.“ Die Geschäftsaufgabe bezeichneten beide als „sehr traurig“. Sie sagten: „Wir könnten weinen.“
Zahlreiche Stammkunden kamen ein letztes Mal
Beim Ausverkauf am Samstag setzte die Familie wie stets auf Zusammenhalt und begegnete dem überwältigenden Ansturm auf Schulranzen und Taschen, Regenschirmen, Handschuhen und Portemonnaies gemeinsam. Auch Vater Gerd Stollenwerk, inzwischen schon pensioniert und früher bei der Stadt Rheinbach tätig, gab sein Bestes, dem Ansturm der Kunden gerecht zu werden. Bereits kurz nach 9 Uhr standen die ersten vor dem Geschäft, obgleich der Verkauf eigentlich erst um 10 Uhr starten sollte. Dann wurde die Tür doch schon um 9.30 Uhr aufgeschlossen.
Marvin Moschny, der Freund von Katharina Stollenwerk, regelte den Einlass, der coronabedingt auf etwa 30 Personen begrenzt wurde. Viele der Kunden, die geduldig in der langen Schlange vor dem Geschäft standen und darauf warteten, bis sie an der Reihe waren, äußerten sich bestürzt und traurig: „So ein Fachgeschäft, das alles hat, das sehen wir nicht oft“, sagte etwa Familie Schneider: „Es ist schon traurig, der Laden gehörte zu Rheinbach.“